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Wenn sogar das Handy unwichtig wird

Im Sebnitzer Kiez treffen deutsche und ukrainische Jugendliche aufeinander. Barrieren kennen sie kaum.

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© Daniel Schäfer

Von Dirk Schulze

Sebnitz. Vier frisch verliebte Pärchen haben sich zur Halbzeit des zweiwöchigen Feriencamps schon gefunden. Für mindestens zwei weitere haben die Betreuer deutliche Signale der Anbahnung ausgemacht. Einen besseren Beleg für das Funktionieren des deutsch-ukrainischen Austauschs im Sebnitzer Kinder- und Jugendfreizeitzentrum Kiez gibt es vermutlich nicht.

Das dritte Jahr in Folge verbringen dort 30 Jugendliche aus Kiew und der Region um Nikolajew im Süden der Ukraine gemeinsam mit ebenso vielen junge Menschen aus Deutschland einen Teil ihrer Sommerferien. Aufgeteilt in zwei Altersgruppen, ein Erlebnis-Camp für die 12- bis 14-Jährigen und ein Teenie-Camp für die 14- bis 17-Jährigen, erkunden sie auf Ausflügen die Felsenwelt der Sächsischen Schweiz, die Sehenswürdigkeiten der nahegelegenen Landeshauptstadt Dresden und genießen vor allem all das, was ein Ferienlager ausmacht: Geländespiele, Schlauchboottouren, Schlafsacknächte unter freiem Himmel, gemeinsames Kochen und die freitägliche Flirtdisco. Die eventuelle Sprachbarriere ist dabei schnell überwunden. Die Ukrainer lernen Deutsch als zweite Fremdsprache in der Schule, einige der Deutschen Russisch und Englisch sowieso alle. Für alle Fälle sind erwachsene Dolmetscher dabei.

„Die Aufgeschlossenheit gegenüber den anderen ist sehr groß“, sagt Betreuerin Heike Allerdt. Durch den engen Austausch lernen die Jugendlichen die Kultur des jeweils anderen Landes kennen. So wissen jetzt beispielsweise alle, dass Schewtschenko nicht nur der Name eines Fußballers und heutigen ukrainischen Nationaltrainers ist, sondern dass auch der bedeutendste Dichter des Landes diesen Namen trug. Dieses Miteinander führe dazu, dass so etwas wie Fremdenhass gar nicht erst entsteht. Die Lebenswelt der Jugendlichen sei letztlich sehr ähnlich, sagt die Betreuerin. Sie teilen dieselben alterstypischen Sorgen, Freuden und Wünsche. Nur die Muttersprache ist eine andere, was aber kein Hindernis sein muss.

Zur großen Überraschung bleiben sogar die Handys immer öfter unbeachtet in der Tasche, berichtet Lena Ryshowa, Lehrerin im ukrainischen Nikolajev, die eine der Gruppen begleitet. Spätestens am Abend melden sich dann aber die neugierigen Eltern in der eigens angelegten Chatgruppe, die unbedingt Bilder der neuesten Aktivitäten ihrer Kinder geschickt haben möchten.

Die Nachfrage nach den durch eine Förderung günstig angebotenen Feriencamps ist sowohl auf ukrainischer wie auch auf deutscher Seite groß. Schon im Spätherbst sind die Plätze für den Sommer ausgebucht, berichtet Katja Hartmann, Geschäftsführerin des Kiez in Sebnitz. Seit der deutsch-ukrainische Austausch läuft,,gibt es dauerhafte Freundschaften. Einige Kids waren schon mehrfach dabei und freuen sich jedes Jahr auf ein Wiedersehen.

Das gilt auch für die Betreuer der Camps, die ihre Arbeit ehrenamtlich leisten. Für die freiberufliche Bauingenieurin Heike Allert und den Leipziger Lehrer Christian Richter sind die Ferienlager im Kiez eine willkommene Abwechslung zum Berufsalltag. Viele der jüngeren Betreuer nutzen die Feriencamps, um sich auf einen pädagogischen Berufsweg vorzubereiten und zu testen, ob dies das Richtige für sie ist. Sie absolvieren vorab Lehrgänge für den Erhalt der Jugendleitercard.