Merken

Wer hatte Schuld am Absturz vom Baade-Flugzeug 152?

Das Ende des ersten in Dresden gebauten Düsenjets bewegt noch immer. In alten Stasi-Akten tauchte ein neues Puzzleteil der Geschichte auf.

Teilen
Folgen
© BStU Dresden

Von Ralf Hübner

Es muss ein fürchterlicher Albtraum gewesen sein, der Karl Hansel den Schlaf geraubt hat. In diesem sah der stellvertretende Direktor für Kader und Sicherheit des VEB Flugzeugwerke Dresden und Stasi-Offizier, wie das Flugzeug 152, der in Dresden gebaute erste deutsche Düsenjet, bei einem Testflug nahe Weixdorf brennend vom Himmel fiel.

Der Prototyp der „152“ (Kennzeichen DM-ZYA), dem ersten eigenentwickelten Passagierstrahlflugzeug der DDR, wird auf dem Flughafen Dresden den Massen präsentiert (Archivfoto vom 30.04.1958).
Der Prototyp der „152“ (Kennzeichen DM-ZYA), dem ersten eigenentwickelten Passagierstrahlflugzeug der DDR, wird auf dem Flughafen Dresden den Massen präsentiert (Archivfoto vom 30.04.1958). © Ulrich Hässler/dpa

Diese nächtliche Vision muss Hansel so beschäftigt haben, dass er zwei Testpiloten davon berichtete. Wenig später wurde die Katastrophe am 4. März 1959 Wirklichkeit. Bei einem Testflug zerschellte eine 152 bei Ottendorf-Okrilla am Boden. Die vier Besatzungsmitglieder kamen ums Leben.

Ulli Dienel von der Stasi-Unterlagenbehörde in Dresden ist in alten Akten der DDR-Staatssicherheit auf diese Begebenheit gestoßen. Er hat 600 Seiten dazu gefunden. Das Werk wurde von Partei und Stasi immer gut überwacht. Deutsche Spezialisten der ehemaligen Dessauer Junkerswerke hatten nach dem Krieg praktisch als Reparationsleistung in der Sowjetunion zwangsweise strahlgetriebene Bombenflugzeuge entwickelt. Möglicherweise schon dort erhielten die Techniker und Ingenieure um Brunolf Baade (1904 –1969) vom sowjetischen Luftfahrtministerium Ende 1953 den Auftrag für ein Passagierflugzeug, das später in der DDR gebaut werden sollte. Die Entwürfe für die 152 basierten auf dem zuvor entwickelten Bomber 150. Der Flieger wurde für 40 Passagiere, eine Reisegeschwindigkeit von etwa 800 Kilometern je Stunde und eine Reichweite von etwa 2 500 Kilometern konzipiert.

Die Bezeichnung 152 war nicht zufällig gewählt. Sie sollte an die Ju 52 erinnern, ein äußerst erfolgreiches dreimotoriges Junkers-Zivilflugzeug aus der Zeit vor dem Krieg. Eigentlich wäre ein Aufbau der Flugzeugindustrie im vorhandenen alten Junkerswerk in Dessau zweckmäßiger gewesen. Doch gab es wohl wegen des so nahe gelegenen Westens Bedenken. Und so entstand das größte Industriebauvorhaben jener Jahre am Flugplatz Dresden-Klotzsche. Die Folge war, dass die Flugzeugbauer, als sie 1954 in die DDR zurückkehrten, anfangs viel Zeit damit zubrachten, Wohnräume, Büros und Fachkräfte zu suchen. Ab 1955 wurden in Klotzsche 50 Meter breite, 25 Meter hohe und 170 Meter lange Flugzeughallen sowie Konstruktionsbüros errichtet.

Er hätte nie so tief fliegen dürfen

Bis zum Produktionsanlauf der 152 wurden Flugzeuge des sowjetischen Typs IL 14 gefertigt. In Pirna wurden die Triebwerke für die 152 entwickelt und in Karl-Marx-Stadt die Fluggeräte. Eigentlich sollte die erste 152 schon im Herbst 1956 fliegen. Doch es dauerte noch mehr als zwei Jahre, ehe sich am 4. Dezember 1958 die erste von ihnen in den Himmel erhob.

Am 4. März des Folgejahres kam es dann bei einem weiteren Testflug zur Katastrophe. Über deren Ursachen wurde lange spekuliert. An jenem Tage waren Filmleute und Fotografen auf den Flughafen nach Klotzsche gekommen. Sie sollten bei einem Überflug Fotos und Filmaufnahmen machen, die zum Teil später auf der Leipziger Frühjahrsmesse gezeigt werden sollten. Als das Flugzeug relativ rasch auf etwa 100 Meter Höhe gesunken war, versagten plötzlich die Triebwerke, Es sei deshalb zu einem Abriss der Luftströmung gekommen, hieß es später in dem Bericht einer Untersuchungskommission. Der Pilot hätte nie so tief fliegen dürfen. An dieser Stelle kommt der Staatssicherheitsdienst, der einen eigenen geheimen Bericht anfertigte, jedoch zu einer abweichenden Bewertung. „Es wird Baade und nicht der Pilot verantwortlich gemacht“, sagte Dienel. Denn dieser habe den Überflug wegen der guten Bilder vom Flugzeug zuvor angeordnet. Es ist nicht bekannt, ob diese Einschätzung Folgen für Baade hatte. Er wurde später Direktor des Instituts für Leichtbau.

Bemerkenswert ist zudem ein Gespräch, von dem berichtet wird, bei dem SED-Chef-Walter Ulbricht Wochen vor dem Unglück Baade Vorhaltungen macht. Er nennt die 152 eine Fehlkonstruktion. Diese sei unwirtschaftlich und habe schwerwiegende technische Mängel. Baade reagierte wütend. Die Sowjets hätten die 152 so gefordert, argumentierte er. Die Vorschläge der deutschen Spezialisten seien hingegen kaum beachtet worden. Diese Unterredung erwecke den Eindruck, als habe die SED-Führung schon zu diesem Zeitpunkt begonnen, sich von dem Projekt abzuwenden, sagte Dienel.

Eine weiterentwickelte Version der 152 ist 1960 noch zwei Mal zu Testflügen aufgestiegen. Dann wurde bei Versuchen ein schwerer Fehler in der Kraftstoffanlage bemerkt. Zudem ergaben Untersuchungen, das weitere Änderungen notwendig waren. Der Zeitpunkt für die Auslieferung verzögerte sich immer mehr. Inzwischen hatte die UdSSR das Interesse an dem Flugzeug verloren, und auch der Westen wollte es nicht kaufen. Die 152 drohte zum Fass ohne Boden zu werden. Noch bevor 1961 die Erprobungen fortgesetzt werden konnten, beschloss das SED-Politbüro das Aus der Flugzeugindustrie.