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Wer sind wir?

Wenn die Deutschen spielen, darf man wohl auch für die Deutschen sein, oder?

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© Robert Mmichael

Von Heinrich Maria Löbbers

Eine der ganz schlimmen Unsitten unserer Gesellschaft ist der Pluralis benevolentiae. Für Nichtlateiner: der Krankenschwesternplural. Kennt jeder, der mal im Krankenhaus lag. „Na, haben wir gut geschlafen? – Haben wir unsere Tabletten schon genommen? – Hatten wir Stuhlgang?“ So fragt die Schwester und meint doch ausschließlich den Patienten. Auch unter Friseuren („Was machen wir denn mal mit Ihren Haaren?“) oder Lehrern („Haben wir verstanden?“) ist das verbreitet.

Anders ist die Situation beim Fußball. Wer dabei „Wir“ sagt, meint uns alle. Wir gewinnen oder verlieren, wenn unsere Jungs auf dem Rasen sind. Wer sonst?

Es gibt jedoch Menschen, die das schon für gefährliche Deutschtümelei halten. Fernsehmoderatoren müssten mehr Distanz halten und sich nicht so mit der Mannschaft gemein machen, fordern sie. Außerdem würden so die Fernsehzuschauer mit Migrationshintergrund ausgegrenzt.

Vermutlich halten es diese Bedenkenträger auch für Kriegstreiberei, wenn jemand gehofft hat, dass Deutschland Frankreich besiegt. Diese Sauertöpfe sollen bitte mal versuchen, ihr Problem den Isländern oder Iren zu erklären. Man kann doch kein EM-Spiel genießen, ohne sich auf eine Seite zu schlagen. Und für einen Deutschen ist das in der Regel das Team Deutschland, oder? „La Mannschaft“ nennt sich das Team jetzt. Das wiederum ist allzu national gesinnten Fußballfreunden suspekt, weil das Wort deutsch gar nicht mehr vorkommt. Den einen macht Boatengs Hautfarbe Angst. Andere jammern, weil Özil die Hymne nicht singt. Wieder andere wollen schwarz-rot-goldene Fahnen verbieten. Können all diese spaßbefreiten Spielverderber nicht mal aufhören, den Fußball zu politisieren.

Dazu kommt gerade eine passende Umfrage von Spiegel-Online herein. Zwei Drittel aller Teilnehmer finden es gut oder zumindest okay, wenn Moderatoren von „unserer Mannschaft“ reden. Wir wollten ja auch von Anfang an Europameister werden. Schließlich sind wir auch Papst gewesen.