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Wie der Lausitz der Kohle-Ausstieg erleichtert werden soll

Die Kohlekommission hat 171 Ideen für Sachsen formuliert. Ob sie auch umgesetzt werden, ist offen.

Von Irmela Hennig & Nora Miethke
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Morgenstimmung nahe dem Kraftwerk Boxberg.
Morgenstimmung nahe dem Kraftwerk Boxberg. © Foto: Kairospress

Seit Sonnabend 4.52 Uhr stehen die Vorschläge der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ fest, mit deren Hilfe Deutschland den Ausstieg aus der Kohleverstromung stemmen soll. Was das 336 Seiten starke Papier für Sachsen bedeutet, fasst die SZ zusammen.

In welcher Form soll Deutschland aus der Kohleverstromung aussteigen?

Die Kommission schlägt einen schrittweisen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bis 2038 vor. Dann soll der letzte Kraftwerksblock vom Netz gehen. Im Jahr 2032 soll überprüft werden, ob ein Ausstieg auf 2035 vorgezogen werden kann. Möglichst freiwillig sollen die Kraftwerksbetreiber ihre Kapazitäten zurückfahren. 2023, 2026 und 2029 ist zu prüfen, was die Maßnahmen auslösen – mit Blick unter anderem auf Versorgungssicherheit, Strompreise und Klimaschutz. Für Steinkohle soll die Bundesregierung „einen möglichst stetigen Abbau der Kapazitäten im Markt verfolgen“.

Wie viele Jobs gehen durch das Kohle-Aus verloren?

Dazu macht die Kommission keine genauen Angaben. Sie hat ermittelt, dass derzeit 5 700 Menschen in der Steinkohle beschäftigt sind. In der Braunkohlewirtschaft sind es in allen vier Revieren rund 20 000 Menschen. Rechnet man Jobs dazu, die direkt oder indirekt an der Braunkohle hängen, sind es bis zu 60 000. In der Lausitz arbeiten mit 8 000 Männern und Frauen zwei Prozent aller Beschäftigten in der Kohle, in Mitteldeutschland 0,3 Prozent. Die Innovationskraft der Lausitz wird als unterdurchschnittlich im bundesweiten Vergleich eingeschätzt. Auch gebe es wenige Firmenneugründungen, Fachkräfte fehlen.

Wie viel Geld bekommt die Lausitz, um den Wandel zu bewältigen?

Das steht noch nicht fest. Laut Kommissionspapier soll die Bundesregierung den Ausstieg aus der Kohle mit 1,3 Milliarden Euro jährlich über 20 Jahre hinweg finanzieren. Zusätzlich sollen die betroffenen Bundesländer pro Jahr 0,7 Milliarden Euro erhalten. Wie Kommunalpolitiker sagen, soll die Lausitz 45 Prozent des Geldes erhalten. Noch offen ist, ob die von der Kohlekommission angeregten Infrastrukturmaßnahmen (Schiene, Straße, Digitales) auch aus diesem Topf finanziert werden. Wäre dem so, wäre mit den Mitteln nicht viel zu schaffen. Steinkohlereviere sollen gesonderte Mittel erhalten.

Womit soll der Strukturwandel in der Lausitz geschafft werden?

Der Bericht schlägt für Sachsen ein Paket von 171 Einzelmaßnahmen vor, für Brandenburg 67. An der Liste haben Bürgermeister und Landräte mitgearbeitet. Darum gibt es auch so ins Klein-Klein gehende Vorschläge wie die Sanierung des Bahnhofes von Weißwasser und seine Nutzung als Touristinformation, Reisecenter und Ärztestandort. Insgesamt reichen die Ideen von Wirtschafts- und Forschungsförderung über kulturelle Ansätze bis zum Ausbau von Infrastruktur. Beispielsweise soll die Bahnstrecke Dresden – Görlitz elektrifiziert und eine ICE-Verbindung von Dresden über Görlitz, Breslau bis Kiew geschaffen werden. Für die betroffenen Reviere schlägt die Kommission vor, Behörden gezielt vor Ort anzusiedeln, um so 5 000 Jobs zu schaffen. Ob und was Sachsen davon abbekommt, bleibt offen.

Was ist kurzfristig für die Oberlausitz geplant?

Unter dem Punkt „Sofortmaßnahmen“ finden sich 62 Ideen. Für Weißwasser beispielsweise müsse eine Alternative zur Fernwärmeversorgung geschaffen werden, die jetzt über das Kraftwerk Boxberg kommt. Angeregt dafür wird die Entwicklung eines Langzeitenergiespeichers mit extrem hoher Energiedichte und zusätzlicher Heizfunktion. Auf der Bahnstrecke Dresden – Bautzen – Görlitz soll der Personenzug stündlich fahren, zwischen Kamenz und Dresden halbstündlich. Die Lausitz soll Modellregion für den Internetstandard 5G werden, im Forschungsbereich ist sogar von 6G die Rede. Programme für Bildung und Weiterbildung sind aufgelistet. Auch die Minderheit der Sorben findet Beachtung, unter anderem mit einem Sorbischen Kompetenzzentrum Wirtschaft und Strukturwandel. Ein Kultur-Vorschlag betrifft die Schaffung eines Filmförderfonds für die Lausitz und eines Görlitzer Filmzentrums. Vielen Ideen fehlt die Ausformulierung. So wird ein Zukunftscluster „Lausitzer Handwerk für sportliche Höchstleistung“ genannt, ohne zu erklären, was dahintersteckt.

Was ist geplant, damit die Lausitz Energieregion bleibt?

Der eher schmal aufgestellte Forschungs- und Entwicklungssektor soll massiv ausgebaut werden. An der Hochschule Zittau/Görlitz sollen neue Institute entstehen, so ein Institut für Energie- und Transformationsforschung und ein Fraunhofer-Institut für Energieforschung. Sächsische Akteure sollen unterstützt werden dabei, sich in ein Dekra-Vorhaben zum Test des autonomen Fahrens auf der Rennstrecke Lausitzring zu beteiligen. In Versuchen sollen vollelektrische Rufshuttle (Wohnort – Arbeitsplatz) verkehren. Empfohlen wird der Bau eines großen Speichers für regenerative Energien. Auch soll erforscht werden, wie man Braunkohle stofflich und energetisch nutzen kann, bei wenig Kohlendioxidemissionen. Kohleausstieg bedeute nicht nur Abschaltung. So soll das Kraftwerk Jänschwalde in Südbrandenburg umgerüstet und eine innovative Technologie eingesetzt werden, mit der 90 Prozent CO2 eingespart wird, ohne dass dies zulasten der Beschäftigten geht, heißt es aus Sachsen.

Was braucht länger Zeit oder ist schwierig zu schaffen?

Kupferbergbau im Raum Cottbus ist etwas, das eher mittel- oder langfristig gestartet werden könnte. Ähnliches gilt für die Fertigstellung der Bundesstraße 178n zwischen Zittau und der Autobahn 4 sowie die Verlängerung nach Norden, oder auch den Bau einer großen Haftanstalt. Denn solche Projekte brauchen eine lange, gesetzlich vorgeschriebene Vorplanung. Grundsätzlich schlägt die Kommission darum vor, Gesetze teilweise anzupassen, um zum Beispiel Vorhaben nicht völlig auszubremsen, wenn sie lediglich teilweise strittig sind.

Werden die genannten Maßnahmen tatsächlich umgesetzt?

Das ist offen. Das Papier ist ein Vorschlag. Die Bundesregierung kann es ganz oder teilweise ablehnen. Der Bundestag muss zustimmen, wenn Gesetze dafür beschlossen oder verändert werden müssen. Teilweise ist dafür sogar das Okay der Europäischen Union nötig. Zudem wollen Umweltverbände für eine schnellere Reduzierung des Kohlendioxid-Ausstoßes kämpfen, Regionalpolitiker für einen langsameren Ausstieg aus der Kohle.