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Wie dieser sächsische Bäcker ein Imperium aufbaute

Kleine Brötchen backen die Hennigs schon lange nicht mehr. Aus der Familienbäckerei bei Leipzig machten sie nach der Wende eine Kette mit 77 Filialen.

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Jens Hennig (rechts) und Sohn Martin am Verkaufstresen des Backhauses Hennig in Zwenkau bei Leipzig.
Jens Hennig (rechts) und Sohn Martin am Verkaufstresen des Backhauses Hennig in Zwenkau bei Leipzig. © Andre Kempner

Von Frank Johannsen

Was macht ein DDR-Bäcker am Tag zwei nach der Maueröffnung? Nach Bayern fahren – und sich eine Bäckerei anschauen. Zumindest, wenn er Hennig heißt und aus Pegau bei Leipzig kommt. „Als die Mauer aufging, sind wir gleich am nächsten Tag rüber gefahren und haben uns eine Bäckerei angesehen“, erinnert sich Jens Hennig, damals Juniorchef der elterlichen Bäckerei in Pegau. „Mich hat nicht interessiert, was es dort in den Läden gibt. Ich wollte wissen, wie dort die Bäcker arbeiten und auf was wir uns einstellen müssen.“ Und so stand er am 11. November 1989 – keine 48 Stunden nach der Maueröffnung – erstmals „drüben in einer Backstube“. Und nicht nur er. Mit dabei war auch schon sein Sohn Martin, der gerade erst fünf geworden war.

Heute ist aus der „Dorfbäckerei“, wie Hennig sie selbst nennt, eine Kette mit 77 Filialen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, 905 Mitarbeitern und fast 50 Millionen Euro Jahresumsatz geworden. Jens Hennig, inzwischen 57, ist längst der Seniorchef, Sohn Martin (35) als Teilhaber und Mitgeschäftsführer an Bord. Und der Grundstein für die rasante Entwicklung, die der Familienbetrieb nach der Wende nahm, wurde an jenem 11. November 1989 gelegt.

Backshops sind Hauptstandbein

Mit der Bäckerfamilie, deren Betrieb in Neuburg an der Donau er damals besichtigte, sind die Hennigs noch heute befreundet. „Von denen haben wir gleich in den ersten zwei, drei Monaten nach der Wende das gesamte Know-how erhalten“, erinnert sich Hennig. Das wurde dann sofort zuhause umgesetzt: Schon vor Einführung der D-Mark wurden aus Bayern neue Zutaten beschafft, die Backrezepte umgestellt. „Vorher hatten wir ja nur Mischbrot, Weißbrot, Doppelbrötchen, Malfa-Brot – und fertsch.“ Jetzt gab es im Backhaus Hennig plötzlich Kaiserbrötchen. „Die hatte hier damals sonst niemand. Da haben die Leute Schlange gestanden bei uns, 50 Meter lang. Wir konnten hinten gar nicht so schnell backen, wie meine Frau und meine Mutter vorn im Laden verkauft haben. Und dabei waren wir für DDR-Verhältnisse schon eine ziemlich große Bäckerei.“

Die wurde nun schnell noch größer. „In der DDR durften wir als Privatunternehmen ja nicht mehr als zehn Mitarbeiter haben – inklusive uns selbst.“ Die Obergrenze galt jetzt nicht mehr – und Hennig stellte fleißig ein. Mit der Einführung der D-Mark im Juli 1990 hielt dann auch neue Backtechnik Einzug. „Wir hatten da eine echte Vorreiterrolle. Und wir haben dann auch sofort angefangen mit den ersten Filialen.“

Schon damals war Hennig angesichts der neuen Supermärkte, die überall aus dem Boden schossen, klar: „Entweder du bist da drin, oder du verlierst.“ Und Hennig wollte lieber drin sein. „Damit ging es dann so richtig los.“ Jahr für Jahr eröffneten neue Filialen. Aber immer mit Augenmaß, wie Hennig hinzufügt. „Wir haben nie mehr als drei oder vier in einem Jahr gemacht. Das Maximum waren mal sechs.“ Die Backshops in den Supermärkten wurden dann schnell zum Hauptstandbein: Von den heute 77 Hennig-Filialen sind 60 in Supermärkten, vor allem bei Netto, Lidl und Kaufland.

Betrieb platzt aus allen Nähten

Die alte Familienbäckerei in Pegau, von der aus all die neuen Filialen beliefert wurden, quoll irgendwann aus allen Nähten. „Wir haben da sukzessive in alle Richtungen angebaut“, erzählt Hennig. „Das war zum Teil total verrückt.“ Der Hof wurde komplett als Lager unterkellert, Garagen und Mietwohnungen, die es vorher noch auf dem Grundstück gab, wurden nach und nach der Bäckerei einverleibt. Und weil in der Backstube irgendwann kein Platz mehr war, wurde ein Fenster herausgebrochen und der Backofen einfach auf den angrenzenden Gehweg gestellt.

Bis es 2007 dann einfach nicht mehr ging – und sich die Hennigs entschlossen, im Nachbarort Zwenkau noch einmal komplett neu zu bauen. Auf der grünen Wiese entstand das neue Backhaus, mit angeschlossenem Café und Restaurant. Aus den 800 Quadratmetern Produktionsfläche, die es am Ende in Pegau gab, wurden mit einem Schlag mehr als 3.000.

„Die Träumende“, eine vergoldete Bronzestatue von Malgorzata Chodakowska, ist der Preis für die oder den Unternehmer des Jahres. 
„Die Träumende“, eine vergoldete Bronzestatue von Malgorzata Chodakowska, ist der Preis für die oder den Unternehmer des Jahres.  © Ronald Bonß

Aber auch die reichten nicht lange. Schon nach drei Jahre gab es den ersten Anbau, zwei weitere folgten 2011 und 2015. Die Produktionsfläche hat sich inzwischen auf 7.000 Quadratmeter mehr als verdoppelt. Schließlich hat sich auch die Zahl der Filialen seit dem Umzug mehr als verdoppelt, der Umsatz sogar fast verfünffacht. Rund 20 Millionen Euro wurden bisher in den Standort investiert. Und der nächste Ausbau steht schon an: Noch in diesem Jahr soll ein weiterer Anbau entstehen mit zusätzlichen Produktions- und Lagerräumen. Kostenpunkt: weitere fünf bis sechs Millionen Euro.

Am neuen Standort wurde 2013 dann auch das 100-jährige Firmenjubiläum gefeiert. Dabei reicht die Geschichte eigentlich noch weiter zurück: 1887 war Jens Hennigs Urgroßvater, der wie der heutige Juniorchef Martin hieß, aus Schlesien nach Muschwitz bei Hohenmölsen im heutigen Sachsen-Anhalt gekommen. Eigentlich als Dorfschullehrer, doch nebenbei betrieb er eine kleine Backstube, mit der er per Pferdewagen die Bauern der Umgebung belieferte. 1913 hing er dann den Lehrerjob an den Nagel – und baute im zehn Kilometer entfernten Pegau die Bäckerei Hennig auf, erstmals mit eigenem Laden.

In fünfter Generation

Gebacken wird auch heute noch zentral im Haupthaus. 21 Lkw rücken dann ab früh um drei aus, um die Ware an die Verkaufsstellen zu liefern, eine zweite Tour folgt ab halb zehn. „Wir machen 15.000 bis 18.000 Brote am Tag“, sagt Juniorchef Martin Hennig. „Und ungefähr 120.000 Teiglinge für Brötchen.“ Denn die werden anders als Brot und Kuchen nicht zentral gebacken, sondern vor Ort in den Filialen. „Damit die immer frisch aus dem Ofen kommen.“ 220 der gut 900 Mitarbeiter arbeiten in der Zentrale, darunter 14 Bäcker- und Konditormeister. 

Selbst Jens Hennigs Vater Peter, inzwischen 77, ist noch mit dabei. Mit dem Umzug ins neue Backhaus gab er den Betrieb zwar an seinen Sohn weiter. „Er werkelt aber immer noch mit.“ Und gleichzeitig bereitet sich sein eigener Sohn Martin bereits darauf vor, den Betrieb in fünfter Generation zu übernehmen. Nach Bäckerlehre in Dresden und Wirtschaftsstudium in Leipzig stieg er dann 2011 mit 26 als Geschäftsführer in den Betrieb ein. 40 Prozent gehören dem Junior, die restlichen 60 dem Vater.

Bis Martin den Betrieb ganz übernehmen kann, wird es aber noch etwas dauern. „Eigentlich wollte ich ja mit 57 in den Ruhestand treten“, sagt Jens Hennig. Das wäre im vergangenen Oktober gewesen. Den Plan hat er aber längst verworfen. „Das wäre ohnehin nur ein Unruhestand geworden. Da kann ich auch jeden Tag weiter in die Bäckerei fahren.“ Das werde er sicher auch noch einige Jahre so machen. „Mit 68 muss ich dann vielleicht ans Aufhören denken.“

Bisher in der Serie "Unternehmer des Jahres" erschienen:

Fakten zum Unternehmerpreis:

  • „Sachsens Unternehmer des Jahres“, der wichtigste Wirtschaftspreis im Freistaat, wird bereits zum 15. Mal vergeben
  • Am Wettbewerb sind alle großen Tageszeitungen im Freistaat und MDR beteiligt.
  • Der/die Sieger/in erhält im Mai in Dresdens Gläserner VW-Manufaktur „Die Träumende“, eine vergoldete Bronzestatue von Malgorzata Chodakowska.
  • Bis zum 7.2.20 können sich Unternehmer/innen bewerben oder von Dritten vorgeschlagen werden.
  • Die Teilnahmebedingungen: mindestens zehn Mitarbeiter, 500.000 Euro Jahresumsatz, fünf Jahre oder länger am Markt, eigene Anteile am Unternehmen, das mehrheitlich in Privatbesitz sein muss.
  • Die Auszeichnungskriterien: besondere unternehmerische Leistung 2019 – z. B. Erhalt oder Schaffung von Jobs, Lehrstellen, Innovationen, Akquisitionen, Engagement für die Region, Krisenbewältigung.
  • Besonderes Augenmerk wird auf herausragende Leistungen bei der Mitarbeitergewinnung und -bindung gelegt, die in der neuen Sonderkategorie „FokusX – bester Arbeitgeber“ gewürdigt werden.
  • Dabei geht es zum Beispiel um das Arbeitsumfeld, Gesundheit, Mitarbeiterentwicklung, Unternehmenskultur und Vorteile für Beschäftigte.
  • Der Sieger erhält ein Mediabudget in Höhe von 60.000 Euro in der Sächsischen Zeitung, der Leipziger Volkszeitung und der Freien Presse.
  • Der Start-up-Preis wird zum 4. Mal vergeben. Bewerber für „Sachsen gründet – Start-up 2020“ müssen ihre Firma im Zeitraum 2015-18 gegründet haben, eine tolle Geschäftsidee und einen überzeugenden Businessplan vorweisen.
  • Dem Champion dort winken ebenfalls Medialeistungen im Wert von 60.000 Euro.
  • Der Wirtschaftspreis „Sachsens Unternehmer des Jahres“ ist eine Initiative von Sächsischer Zeitung, Freier Presse, Leipziger Volkszeitung und Mitteldeutschem Rundfunk sowie von Volkswagen Sachsen, der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft KPMG, der LBBW und Gesundheitskasse AOK Plus.
  • www.unternehmerpreis.de