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Wie Dresden Fotogeschichte schrieb

An 160 Standorten in der Stadt wurde produziert und geforscht. Erhalten davon blieb aber nur wenig.

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© Technische Sammlungen Dresden

Von Bettina Klemm

Pentacon, Ernemann-Bau und Spiegelreflexkamera, das kennt wohl fast jeder Dresdner. Die sächsische Landeshauptstadt war einst das Zentrum der Fotoindustrie in Europa. Es gibt aber viel mehr als die bekannten Beispiele: Mit einem Klick werden auf einer digitalen Stadtkarte in den Technischen Sammlungen 160 Standorte der Fotogeschichte in Dresden sichtbar.

Hier ist der Kinoprojektor Ernemann II von Zeiss zu sehen.
Hier ist der Kinoprojektor Ernemann II von Zeiss zu sehen. © Carl Zeiss Archiv Jena

Mehr als zwei Jahre haben die Technischen Sammlungen in Zusammenarbeit mit der Geoinformatik der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW), der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek (SLUB) und dem Stadtarchiv das digitale Kartenmaterial erarbeitet. Gefördert wurde das Projekt von der Koordinierungsstelle Sächsische Industriekultur. Dabei galt es nicht nur, die einzelnen Standorte akribisch aufzulisten, sondern auch die historischen Karten deckungsgleich zu machen, erläutert Roland Schwarz. Der Direktor der Technischen Sammlungen Dresden nennt das Georeferenzieren. Dabei werden markante Punkte herausgesucht und die verschiedenen Karten solange angepasst, bis Abweichungen ausgeglichen wurden. „Die digitalen Karten stehen jetzt auch anderen Nutzern zur Verfügung“, sagt Schwarz.

In Dresden wird 1861 die erste Produktion von fotografischen Albuminpapieren in der Fabrik von Herrmann Hilarious Anschütz in der Blumenstraße 9c vermerkt. Bei dem Verfahren schlägt man Eiweiß mit Ammoniumchlorid-Lösung zu Schaum auf und bringt es anschließend auf das Papier. Bis zur Jahrhundertwende war das Albuminpapier das meistverwendete Fotopapier. Ein großer Teil der Weltproduktion wurde in Dresden hergestellt. 1888 erreichten die 1885 vereinigten Dresdener Albuminfabriken AG einen Ausstoß von fast neun Millionen Blatt. Warum konzentrierte sich die Produktion ausgerechnet in Dresden? In einigen Quellen ist von verhältnismäßig niedrigen Löhnen die Rede. „In der Mitte des 19. Jahrhundert gab es in und um Dresden auch viele Nudelfabriken, bei denen mehrere Millionen Eiweiße am Tag anfielen. Das klingt logisch, aber wir können es nicht quantifizieren“, erläutert Schwarz. Die Anschütz & Co. GmbH immerhin produzierte sowohl Eiernudeln als auch das „Eiweißpapier“.

Sicher ist außerdem, dass erste Unternehmen weitere anzogen und die Albuminfabriken auch die ersten Kamerawerkstätten nach Dresden lockten. So verlegte der Tischler Richard Hüttig seine 1862 in Berlin gegründete Firma zur Herstellung von Kameras an die Elbe. 1887 eröffnet er seine Kameratischlerei in der Elisenstraße 6. An den späteren Erfolgen des Dresdner Kamerabaus war die Spiegelreflexkamera maßgebend beteiligt. Die erste dieser Art hatte der Engländer Thomas Sutton 1861 konstruiert. Gut drei Jahrzehnte später präsentierte Richard Hüttig die erste einäugige Spiegelreflexkamera aus seiner Dresdner Produktion. So wurde er bald Europas führender Kamerahersteller. Sein Betrieb, später an der Schandauer Straße 34 bzw. 74/76, wuchs ständig. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftigte er etwa 800 Mitarbeiter. Neben Hüttig hatten Emil Wünsche und Heinrich Ernemann Kamerawerke in Dresden gegründet, später auch der aus Holland stammende Johan Steenbergen und der in Österreich aufgewachsene Benno Thorsch.

Sie wurden zu den innovativsten Herstellern ihrer Zeit. Die Kameraherstellung gehörte Ende des 19. Jahrhunderts zu den aufstrebenden Branchen wie Chemie, Elektroindustrie und Automobilbau. Hüttig und Co. fanden in Dresden ein gutes industrielles Umfeld. Zudem gab es vor Ort reichlich geschulte Arbeitskräfte. Als dritter Faktor sei die Technische Hochschule mit ihrem wissenschaftlichen Potenzial genannt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekamen aufgrund der Vielfalt und der Konkurrenz einzelne Unternehmen wirtschaftliche Probleme. Schließlich schlossen sich 1909 unter der Führung von Carl Zeiss Jena die Unternehmen Hüttig und Wünsche gemeinsam mit Dr. R. Krüger zur Internationalen Camera Aktiengesellschaft (ICA) zusammen. Ernemann hatte sich kurz vor Vertragsschluss zurückgezogen.

Mit etwa 600 Mitarbeitern und einem Gewinn, der mit 120 000 Mark 1908 weit über dem von Hüttig und Wünsche lag, war er trotz anfänglicher Unterstützung nicht zur Fusion bereit. Er blieb bis zur zweiten Fusion und der Gründung der Carl Zeiss Ikon AG im Jahr 1926 Konkurrent.

Vielleicht wäre er stolz darauf, dass heute die Dresdner Fotogeschichte in seinem Haus lebendig ist.

Am 20. Juni lädt das Lingnerpodium, im Lingnerschloss Bautzner Straße, um 19 Uhr zum Thema „Die Fotoindustrie in Dresden“. Eintritt: 10 Euro. Anmeldung: Tel. 6465 382.