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Wie ein junger Syrer Opernball-Debütant wurde

Momentan dreht sich für den jungen Syrer Ahmad Abdlli alles um Wiener Walzer. Beim Ball in der Semperoper hat er seinen Auftritt auf der Tanzfläche.

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© Oliver Killig/dpa

Von Jörg Schurig

Dresden. Auf den Begriff Flüchtling will sich der 25 Jahre alte Syrer Ahmad Abdlli nicht reduzieren lassen. Spätestens seit er im vergangenen September in Dresden eine Ausbildung zum Physiotherapeuten begann, verbindet er seine Zukunft dauerhaft mit einem Leben in Deutschland. Auch wenn ihn die alte Heimat immer wieder einholt, schmerzlich. Im August 2017 verlor er seinen Vater in Damaskus bei einem Bombenangriff. Seine Mutter war schon Jahre zuvor an Krebs gestorben. In Syrien blieben eine Schwester und ein jüngerer Bruder zurück. Einen anderen Bruder verschlug es nach Ägypten.

Der 25-Jährige kam 2015 nach Deutschland.
Der 25-Jährige kam 2015 nach Deutschland. © Oliver Killig/dpa
Ahmad Abdlli (M) und Theresa Funk (l) unterhalten sich während einer Probe für die Debütanten des Semperopernballs mit Annett Hofmann, Lebensgefährtin des sächsischen Ministerpräsidenten.
Ahmad Abdlli (M) und Theresa Funk (l) unterhalten sich während einer Probe für die Debütanten des Semperopernballs mit Annett Hofmann, Lebensgefährtin des sächsischen Ministerpräsidenten. © Oliver Killig/dpa

Bevor er vor Krieg und Elend flüchtete, ist Ahmad Abdlli viel gereist. Als ausgebildeter Tänzer war er mit diversen Ensembles auf Tournee - bis der Bürgerkrieg in seinem Land auch das reiche Kulturleben Syriens sterben ließ. Abdlli ging zunächst in den Libanon, seit Herbst 2015 ist er in Deutschland. An der Palucca Hochschule für Tanz war er Gaststudent. Da ihm die klassische Ausbildung fehlt, kam ein Einsatz in einem professionellen Ballettensemble nicht in Frage. Dennoch tanzt Ahmad Abdlli bei jeder Gelegenheit - an diesem Freitag sogar in der Dresdner Semperoper. „Ich bin der einzige Debütant, der einen richtigen Bart trägt“, sagt der junge Mann und lacht.

Ein leidenschaftlicher Tänzer

Auf die Idee mit dem Semperopernball hat ihn Palucca-Studentin Theresa Funk gebracht. Walzer war für einen Mann wie Abdlli kein großer Schritt, er kannte den Tanz bereits. Das Vortanzen der Beiden war mehr oder weniger eine Formsache. Ohnehin ist Ahmad trotz seiner beruflichen Neuorientierung ein leidenschaftlicher Tänzer geblieben. Gemeinsam mit syrischen Freunden und ein paar Mädchen aus Deutschland hat er die Tala Dance Group gegründet. Später will er Physiotherapie und Tanz zu therapeutischen Zwecken verknüpfen. „Mein Wissen um den Körper hilft mir dabei“, sagt Abdlli, der inzwischen fließend Deutsch spricht und manche Wörter Sächsisch ausspricht.

Ulrike Kirchberg hat Abdlli unter ihre Fittiche genommen. „Wir sind seine deutschen Eltern geworden, teilen Freud und Leid mit ihm, unsere Kinder akzeptieren ihn als ihren syrischen Bruder“, sagt die 50-Jährige, die das Landesjugendsorchester Sachsen leitet. Auch wenn sie ihn noch immer bei diversen Behördengängen begleiteten, meistere Ahmad sein Leben in Dresden zunehmend ohne fremde Hilfe. Frau Kirchberg hält ihr „syrisches Kind“ für ein Musterbeispiel der Integration. Denn Ahmad habe sich nie hängen lassen und sei immer aktiv geblieben - ob nun bei Refugees Arts Center im Europäischen Zentrum der Künste in Hellerau oder aber beim Montagscafé für Flüchtlinge und Einheimische im Theater.

Integration ist keine Einbahnstraße

Ahmad hat die Sicht der Kirchbergs auf Flüchtlinge verändert. „Er hat für uns ein Fenster aufgestoßen“, sagt Kirchberg. Jetzt ist sie dankbar für „unglaublich emotionale Momente“: „Wir möchten diese Begegnung nicht missen, sie hat uns enorm bereichert und unseren Horizont erweitert. Wir leben unserem Umfeld Toleranz vor, versuchen durch unsere über zweijährigen Erfahrungen gefährlichem Halbwissen entgegenzuwirken.“ Denn viel zu oft seien Einheimische beispielsweise über soziale Leistungen für Flüchtlinge falsch informiert. Nun möchte Kirchberg Arabisch lernen und dabei von ihrem Schützling profitieren. Integration sei keine Einbahnstraße, sagt die Orchestermanagerin.

Ahmad Abdlli will für immer in Deutschland bleiben. „Ich haben zwei Mal in meinem Leben alles hinter mir gelassen, in Syrien und im Libanon. Das möchte ich nicht ein drittes Mal machen“, sagt der 25-Jährige und räumt ein, dass ihn dennoch hin und wieder das Heimweh plagt. Und wenn es kommt, kommt es heftig: „Dann vermisse ich alles.“ (dpa)