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Wie es um Zittaus Handel steht

Der Stadtrat soll demnächst entscheiden, ob er die Innenstadt-Läden weiter schützt. Dafür haben ihm Experten eine umfassende Analyse vorgelegt.

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© Matthias Weber

Von Thomas Mielke

Entspannt durch die schöne, historische Zittauer Innenstadt bummeln, neugierig in die Schaufenster gucken, in dem einen oder anderen Laden etwas kaufen – damit diese Anziehungskraft des Zentrums erhalten bleibt, hat die Stadt 2008 Nägel mit Köpfen gemacht. Der Stadtrat beschloss, dass der Innenstadthandel streng geschützt wird, auch wenn damit nicht alle Sünden aus den 90er Jahren mit dem Zulassen der Märkte auf der „grünen Wiese“ wieder gut gemacht werden. Zentraler Bestandteil ist die „Zittauer Liste“, die Sortimente wie Nahrungsmittel, Schuhe, Bekleidung und Unterhaltungselektronik festlegt, die nur innerhalb des Rings gehandelt werden dürfen. Die zu dem Zeitpunkt existierenden Läden und Märkte mit diesen Sortimenten außerhalb des Zentrums haben aber Bestandsschutz.

... ist durch die „Großen“ am Rande der Stadt bedroht.
... ist durch die „Großen“ am Rande der Stadt bedroht. © SZ Thomas Eichler

In den letzten Monaten hat die Stadt Fachleute prüfen lassen, wie die Lage jetzt aussieht und ob der Innenstadthandel immer noch des Schutzes bedarf. Die Experten haben nun ihren über 200 starken Entwurf für das überarbeitete Einzelhandelskonzept der Stadt Zittau mit einer Analyse der Situation und Empfehlungen für die Zukunft vorgelegt. Das sind die Eckpunkte:

Überblick: Mehr als 2 000 Mitarbeiter

bei 331 Einzelhandelsbetrieben

Auf 83 630 Quadratmetern – was in etwa 14 Fußballfeldern entspricht – verkaufen 331 Firmen ihren Waren in Zittau und den Ortsteilen. Das hat die Erhebung des Bestands im Dezember 2015 ergeben. Auf jeden Zittauer kommen demnach 3,12 Quadratmeter Verkaufsfläche – was deutlich über dem Sachsen- und Bundesdurchschnitt liegt. Allein auf etwa 20 000 Quadratmetern werden Nahrungs- und Genussmittel verkauft. Rund 44 Prozent davon befinden sich quasi auf der „grünen Wiese“, 51 Prozent zwischen „grüner Wiese“ und Stadtzentrum. Nur fünf Prozent der Lebensmittel, deren Handel eigentlich der Innenstadt vorbehalten sein sollte, werden im Zentrum verkauft. In den Läden, Märkten und Discountern der gesamten Stadt arbeiten laut Statistischem Landesamt mehr als 2 000 Menschen.

Handelsumsatz: Spitzenwerte

im Vergleich zu anderen Städten

Der Einzelhandel in Zittau setzt 185 Millionen Euro im Jahr um. Das ist ein Drittel mehr, als die Einwohner der Stadt insgesamt ausgeben könnten. Da die Zittauer einen Teil ihres Geld aber auch bei Online-Händlern und in anderen Städten lassen, muss mehr als ein Drittel des in Zittauer erwirtschafteten Umsatzes aus anderen Quellen kommen. Tatsächlich steuern vor allem die Einwohner aus den Umlandgemeinden, aus Polen und Tschechien dieses Geld bei. Das führt dazu, dass Zittau im Bereich „Handelsumsatz/eigene Kaufkraft“ absolute Spitzenwerte im Vergleich zu anderen Städten aufweist. Die Lebensmittelhändler zum Beispiel nehmen über 160 Prozent der Summe ein, die die Zittauer für Lebensmittel ausgeben. Bei fast allen Sortimenten sind es mehr als 100 Prozent. Nur bei zwei von vielen – Gardinen & Co. sowie Möbeln – nimmt der Handel weniger ein, als die Zittauer dafür im Jahr ausgeben. Im Klartext: Viele Zittauer kaufen diese Waren woanders ein und das Umland und die Ausländer gleichen den Verlust nicht aus.

Kunden: Umlandbewohner und Ausländer sind wichtig

Das meiste Geld verdienen die Händler in Zittau mit den Zittauern. Darüber hinaus gibt es zwei besonders wichtige Kundengruppen: die Menschen aus dem Umland und aus den benachbarten Regionen in Polen und Tschechien. Zittau ist für die Menschen im Dreieck Schlegel-Neugersdorf-Oybin das Einkaufszentrum für den täglichen Bedarf. Durch eine extra für das Handelskonzept durchgeführte Umfrage in Bogatynia (Reichenau), Hradek (Grottau) und Liberec (Reichenberg) ist bekannt, dass es vor allem in Zittaus tschechischer Nachbarstadt Menschen gibt, die fast täglich an der Mandau einkaufen. Besonders beliebt sind Lebensmittel und Drogeriewaren. So gibt zum Beispiel ein Drittel der Tschechen, die in Zittau einkaufen, mehr als 20 Prozent ihres jährlichen Lebensmittelbudgets in den Läden von Kaufland bis Penny aus.

Ausgaben der Zittauer: Das meiste Geld geht an Lebensmittelmärkte

Genau 4 788 Euro gibt ein Zittauer pro Jahr für den Konsum aus. Knapp 2 000 Euro davon bleiben an den Kassen der Lebensmittelhändler. Mit Abstand kommen Baumärkte und Bekleidungsgeschäfte auf Platz 2 und 3. Insgesamt haben die Zittauer eine Kaufkraft von 128 Millionen Euro pro Jahr. Das ist laut Analyse „deutlich unterdurchschnittlich“. Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt liegt die Kaufkraft der Zittauer nur bei 85,4 Prozent.

Einkaufsorte der Zittauer: 30 Prozent der Bekleidung kommt per Paketdienst

Wo die Zittauer einkaufen, hängt von den Waren ab, die sie wollen. So kaufen sie zum Beispiel 99 Prozent ihrer Lebensmittel und 95 Prozent der Drogeriewaren vor der Haustür, wie sie bei einer Befragung für die Studien angaben. Am anderen Ende der Skala stehen Möbel und Bekleidung. Nicht einmal jeder dritte Zittauer deckt sich damit in den Läden seiner Heimatstadt ein. Dafür fahren sie entweder in andere Städte – am liebsten nach Dresden und Görlitz – oder bestellten im Internet und aus dem Katalog. So gaben zum Beispiel 30 Prozent der Befragten an, dass sie sich Kleider schicken lassen. Nach Tschechien und Polen fließt – abgesehen von Benzin und Zigaretten – bisher so gut wie kein Geld aus Zittau.

Innenstadt: Zahl der Läden

ist um 20 Prozent gesunken

Im Zentrum gibt 140 Einzelhändler, die aber nur 14 Prozent der gesamten Zittauer Verkaufsfläche bespielen. 2008, bei der letzten Erhebung, waren es noch 36 Händler mehr. Jeder vierte Laden – wie beispielsweise Fielmann, Rossmann und DM – gehört zu einer Kette. Der durchschnittliche Innenstadt-Laden ist 81 Quadratmeter groß. Die meisten Verkaufsflächen gibt es in den Bereichen Bekleidung, Haushaltswaren mit Glas und Keramik sowie bei Schuhen. „Ergänzt wird das innerstädtische Einzelhandelsangebot durch 124 private und öffentliche Dienstleister sowie ein breites gastronomisches Angebot“, heißt es in der Analyse. Die größten Magneten, die Kunden anziehen, sind demnach NKD, Theile+Wagner, Intersport Kunick, Rossmann, DM und Fielmann. Entsprechend fallen die Kundenströme aus: Die höchste Frequenz wurde bei einer Zählung auf der südlichen Bautzner Straße, dem Markt, dem Rathausplatz und der Frauenstraße gemessen. Dort sind an einem Sonnabendvormittag innerhalb einer Stunde mehr als 1 000 Passanten gezählt worden.

Nahversorger: Neun Märkte

sind nicht mehr auf dem neusten Stand

In Zittau und Hirschfelde gibt es 13 Märkte von Kaufland über Diska bis Aldi, die als Nahversorger gelten und bei denen der Handel mit dem der Innenstadt vorbehaltenen Sortiment „Nahrung und Genussmittel“ erwünscht ist, und einen kleine Edeka in Dittelsdorf. Bis auf die Einwohner im östlichen Stadtzentrum und den meisten aus den Ortsteilen hat fast jeder Zittauer einen Markt in maximal 600 Metern Entfernung vor seiner Haustür. „Die fußläufige Erreichbarkeit ist sehr, sehr positiv zu bewerten“, sagt Matthias Matthey, Referatsleiter Stadtplanung. Allerdings sind neun der Märkte nicht mehr „marktadäquat“, heißt es in der Analyse. Matthey übersetzt: Diese Märkte entsprechen nicht mehr den aktuellen Anforderungen der Kunden und würden bei einem Neubau ganz anders aussehen. Ein wichtiges Kriterium dabei ist die Größe. Drei der Märkte sind bei der Erstellung des Einzelhandelskonzepts 2008 sogar als Mittelpunkte von Nahversorgungszentren definiert worden und haben damit besondere Bedeutung: Netto an der Südstraße, Aldi an der Leipziger und Plus in der Keimann-Straße. Ein Grund dafür: Rund um diese Märkte gibt es weitere Läden und Dienstleister. Zudem wurde die Hirschfelder Ortsmitte als potenzielles Nahversorgungszentrum ausgewiesen, in der Hoffnung, dort einen Markt ansiedeln zu können. Plus hat dichtgemacht, sodass der Stadtrat der Keimann-Straße den Status 2011 entzog. In Hirschfelde hat sich kein Anbieter gefunden.

Sonderstandorte: Die Großen draußen nehmen der Innenstadt Kunden weg

Als Sonderstandorte – die innenstadtrelevante Sortimente anbieten, aber schon vor der 2008er Regelung bestanden – sind drei definiert worden: das Areal an der Freudenhöhe mit elf Läden auf 14 500 Quadratmetern Verkaufsfläche und den Kundenmagneten Kaufland und Euronics, das Humboldtcenter an der Hochwaldstraße mit acht Läden auf 13 900 Quadratmetern mit den Ankermietern Rewe, toom-Baumarkt und Deichmann und das knapp 10 000 Quadratmeter große Handelsgebiet an der Keimann-Straße mit zehn Läden rund um Kaufland, Repo und dem Dänischen Bettenlager. Dazu kommt allerdings noch das knapp 3 000 Quadratmeter große an der Löbauer Straße, das neun Läden umfasst und das die Kunden vor allem wegen Reno, Netto und Pfennigpfeiffer besuchen. Dieser Sonderstandort sollte eigentlich keiner sein, denn erst durch Pfennigpfeiffer ist er dazu geworden. Die Kette bietet ein überwiegend zentrumsrelevantes Sortiment an und hat sich nach 2008 widerrechtlich angesiedelt. Seitdem streiten Betreiber und Stadt um die Schließung oder einen Umzug. Allen vier Standorten bescheinigt die Analyse der Experten, dass sie der Innenstadt schaden. Zudem attestieren sie den dortigen Handelsgebäuden, dass „sie funktional, austauschbar gestaltet“ sind. Was ganz im Gegensatz zu den Läden im historischen Stadtkern steht.

Verkehr: Einige Innenstadt-Parkplätze werden kaum genutzt

Prinzipiell sind die meisten Geschäfte in Zittau gut mit dem Auto oder dem öffentlichen Nahverkehr zu erreichen. Laut Studie gilt das auch für die Innenstadt: unter anderem führen zwei Bundesstraßen hin, drei Stadtbuslinien halten auf dem Klosterplatz und am Ring, der das Zentrum umgibt. Beim Parken gilt Ähnliches: Viele Geschäfte, vor allem die Märkte außerhalb des Zentrums, haben in der Regel genügend Stellflächen. Auch in der Innenstadt gibt es laut der Analyse mit zwei Parkhäusern an der Pfarrstraße und am Stadtbad, diversen Parkplätzen wie an der Breite Straße, der Neustadt und auf dem Rathausplatz sowie begleitend an Straßen ausreichend Stellflächen. Allerdings sind die sehr unterschiedlich stark frequentiert, wie die unten stehende SZ-Grafik zeigt. Während der Parkplatz an der oberen Neustadt beispielsweise zwischen 80 und 100 Prozent ausgelastet ist, sind auf dem an der Breite Straße meist noch Lücken frei. „Es scheint somit, dass sich die durch den Kunden wahrgenommene mangelnde Parkplatzverfügbarkeit objektiv nur auf einige Bereiche beschränkt“, heißt es in der Studie. Bemängelt hatte den Zustand jeder 6. Zittauer in einer für die Studie beauftragten Umfrage.

Bis zur Entscheidung: Der Entwurf des Handelskonzepts liegt vom 18. Oktober bis zum 18. November zur Einsichtnahme für jeden im Rathaus aus. Danach beraten die Stadt-Gremien über das Konzept und die eventuell bei der Auslage aufgetauchten Bedenken. Frühestens im Februar beschließt es der Stadtrat. Ab da gelten die Bestimmungen, auch wenn es bis zur Gültigkeit des dazugehörigen Bebauungsplanes noch Monate dauern wird.

https://www.szlink.de/EntwurfEinzelhandelskonzept