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Wie kann man solche Unfälle verhindern?

Nach dem schweren Unfall mit einem Radfahrer in Dresden fordern viele den Abbiegeassistenten für Lastwagen. Gespräch mit einem Fahrlehrer.

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© xcitepress/ce

Von Annechristin Bonß

Aus drei Metern Höhe blickt der Fahrer auf die Straße. Ganz schön hoch. Einen Rückspiegel gibt es nicht. Vom Fahrersitz bis zu den drei Seitenspiegeln sind es fast zwei Meter. Der Fahrer muss genau hinsehen, was neben seinem Lkw passiert. Der Schulterblick nach rechts funktioniert nicht. Keine Sicht. Alltag für Lasterfahrer. Alltag, der gefährlich werden kann. Erst am Dienstag hat es einen Radfahrer samt Kinderanhänger erwischt. Den hat ein Lkw-Fahrer am Nürnberger Platz beim unerlaubten Rechtsabbiegen übersehen.

Fahrlehrer Heiko Tauche weiß wie schnell aus einem Lkw Fahrräder übersehen werden und was dagegen helfen könnte.
Fahrlehrer Heiko Tauche weiß wie schnell aus einem Lkw Fahrräder übersehen werden und was dagegen helfen könnte. © René Meinig

Alltag für Heiko Tauche. Seit 32 Jahren ist er Lehrer für angehende Lkw-Fahrer – mit und ohne Hänger. Aktuell begleitet er für die Dresdner Fahrschule Vis-a-vis 30 Schüler zum Lkw-Führerschein. Er ist zudem Prüfer, leitet die Weiterbildungen und ist selbst früher Bus und Lkw gefahren. Die Probleme im Führerstand kennt er gut.

Gerade ist der 61-Jährige von einer Fahrstunde im Lkw zurückgekommen. Am Hauptbahnhof sollte sein Schüler rechts abbiegen. Die beiden Radfahrer, die neben ihm standen, hat er in keinem der drei Spiegel sehen können. Heiko Tauche hat ihn darauf aufmerksam gemacht. „So etwas passiert immer wieder“, sagt er. Mit einem simplen Experiment zeigt er, wie schnell die Lkw-Fahrer etwas übersehen können. Neben den 14-Tonner hat er vier Plastikkegel gestellt. Abstand: anderthalb Meter. So viel Abstand sollten auch Radfahrer zu Lkws halten. Doch vom Fahrersitz aus sind nur drei der Kegel zu sehen. Der vierte bleibt unsichtbar. Der tote Winkel, den auch Pkw-Fahrer kennen, scheint im Lkw noch heimtückischer zu sein. „Nun stellen Sie sich vor, dass dies ein Radfahrer ist“, sagt Fahrlehrer Heiko Tauche.

Deutschlandweit steigt die Zahl der durch abbiegende Lkw getöteten Radfahrer kontinuierlich, teilt der Fahrradclub ADFC mit. Im vergangenen Jahr starb auch in Dresden eine Radfahrerin in der Neustadt nach der Kollision mit einem Lkw. Der 27-jährige Radler vom Dienstag hatte Glück. Er wurde am Fuß verletzt. Sein Kind im Anhänger blieb unverletzt. Der ADFC fordert schon lange, dass die Rotphasen von Abbiegern und Geradeausfahrern voneinander getrennt sowie elektronische Abbiegeassistenten in Lkws zur Pflicht werden. Dafür werden Sensoren montiert, die beim Abbiegen mögliche Hindernisse erfassen. Der Fahrer wird mit einem Piep-Ton gewarnt.

Auch Fahrlehrer Heiko Tauche ist für den Abbiegeassistenten. „Der kann helfen, Unfälle zu vermeiden“, sagt er. Dass so lange in der Politik darüber diskutiert wird, versteht er nicht. Immerhin wollen CDU und SPD nun mit dem neuen Koalitionsvertrag im Bund nicht abschaltbare Notbremssysteme oder Abbiegeassistenten für Lkw und Busse verbindlich vorschreiben. Allerdings nur für neue Fahrzeuge. In wieweit alle Fahrzeuge diese Systeme nachrüsten müssen, soll erst geprüft werden.

Heiko Tauche braucht darüber nicht lange nachzudenken. Wer einen Lkw lenkt, muss auf mehr Dinge achten, als es Pkw-Fahrer ohnehin machen müssen. Die Technik könnte die Lasterfahrer unterstützen. So muss der Lkw-Fahrer beim Rechtsabbiegen eben auch nach links schauen, damit sein langes Gefährt beim Ausscheren niemanden erwischt. Dazu kommt: Stress und Druck sind Alltag in dem Job. „Das sollen keine Ausreden für das Fehlverhalten einiger Fahrer sein“, sagt Heiko Tausche. Aber Verständnis für die schwierige Situation sowie gegenseitige Rücksichtnahme solle es doch bei allen Verkehrsteilnehmern geben.

Der Lehrer weiß, wie schwer es sich die Fahrer machen. Viele seiner Schüler stehen mit großem Respekt vor den Lkws: vier Meter hoch, über zehn Meter lang, viele Tonnen schwer, 16 Gänge, 410 PS. „Meine Schüler sollen sich immer erst neben den Lkw stellen und hochsehen“, sagt er. Die erste Stunde fahren sie auf einem Übungsplatz in Niedersedlitz. Wer das erste Mal in dem schweren Gefährt sitzt, achtet nicht auf die Spiegel. Der Respekt ist groß, vor den sich langsam in Bewegung setzenden Massen. Um die 50 Fahrstunden und drei Monate vergehen, bis die Prüfung erfolgreich abgeschlossen ist. „Ich ziehe den Hut vor den Fahranfängern im Lkw“, sagt Heiko Tauche. Einen Lehrer, der aufpasst, haben die dann nicht mehr neben sich sitzen. Die Verantwortung ist groß. „Aber alle auf der Straße müssen aufpassen und Rücksicht nehmen“, sagt er.