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Wie katholisch ist Franziskus?

Im Vatikan diskutieren ab Montag Bischöfe aus aller Welt über eine Reform der katholischen Ehe- und Familienmoral. Die Fronten sind ziemlich verhärtet. Doch entscheiden wird der Papst.

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© Reuters

Von Paul Kreiner

Zum Thema Ehe, Familie und Sexualmoral war in der katholischen Kirche alles gesagt. Mehr als drei Jahrzehnte lang hatten Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger, später Benedikt XVI., die Lehre gegen die Stürme der Welt festgezurrt. Mann und Frau, in erster Ehe einander lebenslang verbunden und im Bett ausschließlich mit natürlicher Familienplanung beschäftigt, gelten  im Verbund mit ihren Kindern als christliche Normalfamilie. Alles andere sind „irreguläre Situationen“, zu missbilligen, zu verdammen und teils so sündhaft, dass sie nicht einmal – ein Unikum in der Kirche und damit härter beurteilt als jede Abtreibung – per Beichte aus der Welt geschafft werden können.

Dann kam Franziskus. „Das Wort ,irregulär‘ gefällt mir nicht“, sagte er und an anderer Stelle: „Wenn einer schwul ist und guten Glaubens Gott sucht, wer bin ich, dass ich über ihn richte“? Schlagartig war damit klar, dass die Bischofssynode zum Thema, die dieser Papst auch noch als seine erste, seine ihn offenbar drängendste einberief, sich nicht in der Wiederholung hinlänglich bekannter Lehrsätze erschöpfen konnte. Franziskus hatte einen Deckel geöffnet; er hatte die Bischöfe ausdrücklich auch noch zu „freimütiger Rede“ aufgefordert – und er hat einen Sturm geerntet, der diese Kirche durchschüttelt wie schon lange nichts mehr.

Mit einem Gottesdienst am Sonntag und am Montag mit dem Beginn dreiwöchiger Beratungen geht dieses Experiment  nun in seine zweite Runde. Den Planungen nach sollte es die abschließende sein, aber inzwischen glaubt an einen „Abschluss“ keiner mehr. Etwa 280 Bischöfe und Kardinäle aus der ganzen Welt, dazu 120 Experten – Ehepaare nicht zuletzt – treten im Vatikan zusammen, und längst ist klar, dass sie nicht nur über Familie und Moral diskutieren werden, sondern dass als Thema dahinter auch die künftige Gestalt der katholischen Kirche steht: Was entscheidet Rom allein? Was geht – wie Franziskus es tendenziell befürwortet – dezentral an die Bischofsversammlungen der einzelnen Länder, der einzelnen Kontinente? Wie viel Einheit braucht die Kirche, wie viel regionale oder gar doktrinelle Vielfalt kann beziehungsweise muss sie aushalten?

Dass die Kirche auch bei Ehe und Familie, ihrem Kernthema, auf die gesellschaftlichen Veränderungen reagieren muss, ist allen klar, spätestens seit der ersten von zwei Fragebogen-Aktionen, mit denen Franziskus‘ neuer Vatikan direkt von den Gläubigen in aller Welt hören wollte, wie sie mit der kirchlichen Lehre zurechtkommen. „Wir wollen den Puls der Basis fühlen“, sagte die Synodenleitung ausdrücklich. Das Ergebnis war verheerend – beziehungsweise eine Bestätigung für die Konservativen, die den „Ungeist der Welt“ nun auch schwarz auf weiß im Herzen des Kirchenvolks angekommen sahen. Seither wird erbittert und teilweise ausgesprochen unfein – nicht nur nach Maßstäben der katholischen Nächstenliebe – über die Schlüsse gestritten, die daraus zu ziehen sind. Die Konservativen sagen, gerade in dieser Situation dürfe man die Lehre auf keinen Fall aufweichen; das wäre, so der afrikanische Kurienkardinal Robert Sarah, ein „unzulässiger Ausverkauf der Wahrheit an die heutige Gesellschaft“. Wie überhaupt die Rechten die fortlaufenden Aufrufe des Papstes zu „Barmherzigkeit gegenüber den Sündern“ als Unterminierung der „unwandelbaren Lehre der Kirche“ empfinden.

Das Schlüssel-Interview für die andere Seite hat der Wiener Kardinal Christoph Schönborn in der römischen Jesuiten-Zeitschrift La Civiltà Cattolica gegeben. Selbst aus einer „Patchwork-Familie“ stammend, wie er sagt, fordert er einen neuen, einen „wohlwollenden, vertrauensvollen Blick auf die Menschen“. Es sei ja „so leicht, mit dem Finger auf Hedonismus und Individualismus in der Gesellschaft zu zeigen; schon mehr gehört dazu, aufmerksam die menschliche Wirklichkeit zu betrachten“. Die Kirche rede zu abstrakt von der Ehe, „mit einer Sprache voller hohler Konzepte, fixiert aufs Böse, auf das, was fehlt“. Dabei könnte sie, sagt Schönborn in radikaler Umkehrung bisheriger Betrachtungsweisen, manches lernen von Personen, die in irregulären Situationen leben. „Wir müssen das Wort Gottes zwischen den Zeilen des Lebens lesen lernen, nicht nur zwischen den Zeilen mittelalterlicher Bücher.“

Am greifbarsten oder – wenn man es nach dem Ton der aktuellen Diskussion so sagen will – am handgreiflichsten wird der Streit bei zwei Themen: Bei der Zulassung von Menschen in zweiter Ehe zu den Sakramenten sowie bei der Beurteilung von  Homosexuellen und deren  Lebensgemeinschaften.  Beim ersten Thema, das von der Deutschen Bischofskonferenz geradezu als „Schlüsselstelle für die Glaubwürdigkeit der Kirche“ betrachtet wird, ist der deutsche Theologe und Kardinal Walter Kasper zum Prügelknaben der Rechten geworden. Dass Franziskus ihn schätzt, ist bekannt, und so muss Kasper viele (Tief-)Schläge einstecken, die eigentlich dem Papst gelten. Man wirft ihm vor, das Kernstück der Familienlehre preiszugeben: die Unauflöslichkeit der Ehe. Denn Kasper hat vorgeschlagen, solche Katholiken, die nach einer gescheiterten Ehe eine zweite eingehen und sich dort bewähren, über einen „Weg der Buße und einen heilsamen Prozess der Klärung“ unter Umständen erneut zu Beichte und Kommunion zuzulassen.

Dieses Konzept, das ein Scheitern als immer präsente menschliche Möglichkeit ernst nimmt, ohne den Gescheiterten zu verstoßen, ist bei den Reformern konsensfähig; die Konservativen sehen mit der „Normalisierung“ der zweiten Partnerschaft die erste, einzig mögliche Ehe der Beliebigkeit preisgegeben. Sie argumentieren mit dem Kirchenrecht: Wiederverheiratete gelten, da eine Ehe unauflöslich ist, als Bigamisten; sie verharren also im Stand schwerer Sünde. Kasper argumentiert im gewandelten Blick auf den Menschen: „Man kann nicht von einer objektiven Situation der Sünde sprechen, ohne die Situation des Sünders in seiner je einmaligen personalen Würde zu bedenken.“

Damit fallen allgemeingültige Lösungen jedweder Art in sich zusammen; es muss der jeweilige Einzelfall beurteilt werden. Wo, fragen die Konservativen, bleiben da die ehernen Prinzipien der Lehre? Und in den Blogs der Rechten wird mit Eifer durchgerechnet, wie viele „Kasperianer“ in der Synode den „Nicht-Kasperianern“ gegenüber sitzen und wie der Papst mit der Berufung von Delegierten die Kräfteverhältnisse „manipuliert“ haben könnte. Dabei hat Franziskus gerade bei diesem brisanten Thema bisher jegliche Bemerkung vermieden, die als Unterstützung der einen oder der anderen Position gedeutet werden könnte.

Die Öffnung gegenüber Homosexuellen wiederum hat bereits einen schweren Rückschlag erlitten – was mit dem Verfahren bei der ersten Synodenrunde vor einem Jahr zu tun hat und mit der Konfusion, die eine in freier Diskussion noch ungeübte Kirchenversammlung zwangsläufig durchgemacht hat. Da gab‘s nach der ersten Debattenwoche eine Zusammenfassung der Beiträge, die der Synodenleitung im reformerischen Überschwang allzu pointiert geraten war. Da fand sich – unbestritten aus den Worten einiger Bischöfe gefischt – die Bemerkung, Homosexuelle hätten „Gaben und Qualitäten, die sie den christlichen Gemeinschaften anbieten können“. Oder es fand sich ein Lob gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften: Selbst dort könne es „wertvolle gegenseitige Stützung und Hilfe bis zur Selbstaufopferung“ geben. Das war zu starker Tobak, eine zu abrupte Wende in den Augen der Konservativen, die sich fragten, ob jetzt alles ins Wanken gerate.

Das Resultat: Aus dem offiziellen Schlussdokument der ersten Synodenrunde ist jegliche öffnende und freundliche Bemerkung gegenüber Homosexuellen verschwunden, und mit dieser Hypothek – für einige eine Erleichterung – gehen die Bischöfe nun in die zweite Runde. Angesichts der tiefgreifenden, bisher nicht überbrückbaren Meinungsverschiedenheiten scheint es sogar Überlegungen zu geben, das Thema Homosexualität auszuklammern. Greifbar sind jedenfalls gerade hier auch die enormen „Ungleichzeitigkeiten“ zwischen den Kontinenten: Während Europa nach vorne drängelt, widersetzen sich die Afrikaner jeglicher Öffnung.

Wie das alles ausgeht? Die Reformer in Deutschland sind derzeit dabei, die wohl allzu hohen Erwartungen tiefer zu hängen. Der Widerstand in der Kurie und drum herum scheint besser organisiert zu sein; die Strippenzieher, geheime Dossier-Schreiber und Intriganten sind kräftig am Werk. Letztlich, da die Synode formell nur beratende Funktion hat, entscheidet der Papst. Und er hat schon angekündigt, bei Bedarf von der „höchsten, vollen, unmittelbaren und universalen Gewalt“ Gebrauch zu machen, die ihm das Kirchenrecht einräumt. Nur: in welche Richtung?

Unser Autor Paul Kreiner, Jahrgang 1958, hat Theologie und Sozialpädagogik studiert. Journalistisch arbeitet er seit 1984. Aus Rom berichtet Kreiner als Korrespondent für die Sächsische Zeitung und weitere Blätter seit elf Jahren.

Unter dem Titel Perspektiven veröffentlicht die SZ kontroverse Essays, Analysen und Interviews zu aktuellen Themen. Texte, die Denkanstöße geben, zur Diskussion anregen sollen.