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Wie Mütter zu ihren Kindern finden

Jede zehnte Mutter muss nach der Geburt psychotherapeutisch oder psychiatrisch behandelt werden.

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Mitunter brauchen
junge Mütter Hilfe von
Psychologen, weil sie
in den Monaten nach
der Geburt zum
Beispiel an der Angst
leiden, zu versagen.
Mitunter brauchen junge Mütter Hilfe von Psychologen, weil sie in den Monaten nach der Geburt zum Beispiel an der Angst leiden, zu versagen. © Adobe Stock/Полина Власова (Symbolfoto)

In Dresden gibt es für eine psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung nach der Geburt eine Tagesklinik in der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik. Hier erfahren Betroffene Hilfe und Förderung der Bindung zu ihrem Kind.

Die Geburt eines Kindes erfüllt viele Frauen mit großem Glück und Freude. Doch was ist, wenn die Freude über das neue Leben der Traurigkeit weicht, Überforderung und Panik die jungen Mütter plagen oder sie zum Baby keine Beziehung aufbauen können? 

Mediziner sprechen dann von einer verzögerten Bindung zwischen Mutter und Kind. „Das emotionale Erleben der neuen Situation ist bei diesen Frauen anders ausgeprägt und nicht freudig gestimmt“, sagt Dr. Anne Coenen, Oberärztin in der Mutter-Kind-Tagesklinik am Universitätsklinikum Dresden. Sie betreut mit ihrem Team psychisch erkrankte Mütter. 

In der Klinik können sechs Frauen gleichzeitig therapiert werden. Sie kommen mit ihren Babys Montag bis Donnerstag um 8.30 Uhr in die Räume am Uniklinikum und verbringen hier den Tag. In Einzel- und Gruppensitzungen, bei Körper- oder Kunsttherapie sowie im gelebten Alltag sollen die Frauen die Bindung zum Kind stärken und sich gleichzeitig mit ihrer Erkrankung auseinandersetzen. „Wir therapieren immer beide, also Mutter und Kind“, sagt Anne Coenen. 

Bis zu 15 Prozent betroffen

Der Bedarf ist groß. Experten gehen davon aus, dass 10 bis 15 Prozent der Mütter psychische Probleme in den Monaten nach der Geburt erleben. Sie leiden unter anderem an Wochenbettdepressionen, Angst oder Zwangsstörungen sowie Traumafolgestörungen, für die es unterschiedliche Auslöser geben kann. 

Einige der Frauen waren bereits vor der Geburt psychisch erkrankt. „Die Schwangerschaft verstärkt die vorhandenen Symptome oder ruft neue hervor, mit denen die Frauen nur schwer umgehen können“, sagt Prof. Kerstin Weidner, Direktorin der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik. 

Schon vor der Geburt begleiten Therapeuten die Betroffenen mit dem Ziel der Bindungsförderung zum Ungeborenen sowie der Geburtsplanung. Etwa 3 Prozent der Frauen verarbeiten ihre Geburt traumatisch, insbesondere wenn es in der eigenen Lebensgeschichte traumatische Erfahrungen gab. Dem kann auch entgegengewirkt werden. 

Vor allem Versagensängste

In der Therapie haben es die Mediziner und Psychologen mit ganz unterschiedlichen Problemen der Frauen zu tun. Neben Erschöpfung und Traurigkeit, fehlender Schlafstruktur oder schlicht Überforderung ist es vor allem das Gefühl, versagt zu haben. „Viele der Mütter haben Schuldgefühle, auch weil die Gesellschaft oder das persönliche Umfeld vermitteln, wie einfach und schön es mit einem Kind doch sein müsste“, so die Expertin. 

Mit Videoaufzeichnungen wird das Verhalten der Mütter zu ihren Kindern analysiert und im gemeinsamen Gespräch ausgewertet. „Wir beobachten, dass die Mütter oft innerlich distanziert sind, zum Beispiel beim Wickeln nicht mit dem Kind sprechen“, sagt Anne Coenen. Umgekehrt entwickeln einige Mütter aber auch überfürsorgliches Verhalten. 

Seit knapp zehn Jahren gibt es die Mutter-Kind-Tagesklinik am Uniklinikum. Dabei sieht das Konzept auch vor, dass die Mütter Freitag bis Sonntag ohne Gruppe, Therapeuten und sichere Umgebung der Klinik den Alltag proben. Die Erfahrungen in der sogenannten Belastungserprobung werden ausgetauscht und besprochen. 

„Die Frauen sollen üben, wie sie mit Stress umgehen, den Alltag mit Kind bewältigen und auch den Partner in die Kinderbetreuung einbeziehen“, beschreibt Anne Coenen. Acht Wochen verbringen die Patientinnen in der Klinik und konsultieren oft danach noch regelmäßig einen Therapeuten. Die Wirksamkeit der Therapie in Ambulanz und Tagesklinik wird im Rahmen der fortlaufenden Begleitforschung untersucht. 

Resonanz bekommen die Therapeuten auch von den Patientinnen. So berichten 73 Prozent über eine deutliche Besserung ihrer Beschwerden nach Besuch der Tagesklinik. 95 Prozent würden die Behandlung weiterempfehlen. „Künftig wollen wir auch ein vollstationäres Angebot für Mütter mit psychischen Problemen anbieten“, sagt Prof. Kerstin Weidner. Dort können auch Frauen von außerhalb Dresdens bzw. mit ausgeprägterer Symptomatik zusammen mit ihren Kindern behandelt werden. (Annechristin Bonß )

Dieser Beitrag erschien in der "Medizin heute" 04/2019.