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Wie Seiteneinsteiger Schulen erleben

Ohne sie wäre die Unterrichtsversorgung der Schüler in Sachsen längst nicht mehr gesichert. Auch an den Grundschulen ginge ohne sie derzeit nichts. Nebenbei studieren sie – und fragen nach ihren Perspektiven.

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© Symbolfoto: Jens Kalaene/dpa

Von Carola Lauterbach

Dieses Gefühl ist immer wieder unglaublich. Man stellt der Klasse eine Frage – und alle Ärmchen fliegen hoch. Auch die Kinder, die die Antwort gar nicht wissen, melden sich wie selbstverständlich. Das ist eine so besondere, so vertrauensvolle Atmosphäre. Und das ist es, was sie motiviert. Jeden Morgen wieder. „Die Arbeit mit den Schülern macht mich glücklich – aber nur die.“

Die Frau, die diese Sätze spricht, steht mittwochs bis freitags als Lehrerin vor Grundschülern und bringt ihnen Lesen, Schreiben und Rechnen bei. Sie ist zugleich Anlaufpunkt für die großen und kleinen Sorgen der Sechs- bis Zehnjährigen. Montags und dienstags sitzt sie als Studierende in Seminarräumen und Hörsälen, schreibt Klausuren und Prüfungen, für die sie samstags und sonntags büffelt, wenn sie gerade nicht ihren Unterricht vor- und nachbereitet. Im gesellschaftlichen Kontext gelten Akademiker ohne Lehrerausbildung wie sie in den Schulen als Seiteneinsteiger. Ein Begriff, den sie nicht mag.

Ohne Seiteneinsteiger wäre die Unterrichtsversorgung der Schüler in Sachsen längst nicht mehr gesichert. Der Lehrermangel ist dramatisch. Allein seit dem Schuljahr 2015/16 begannen hierzulande mehr als 2 000 Frauen und Männer ohne Lehramt ihren Dienst vorwiegend an Grund- und Oberschulen. Zu Beginn des laufenden Schuljahres hatte über die Hälfte der neu eingestellten Lehrer keine Lehramtsausbildung mehr.

Zu den Seiteneinsteigern, die gerade erst neben dem Unterrichten auch Zeugnisse geschrieben und Bildungsempfehlungen erarbeitet haben, gehören 28 Frauen und Männer, die derzeit ihr zweites Semester ihrer beruflichen Weiterbildung an der Technischen Universität Dresden absolvieren. Bildungswissenschaften, Fachdidaktik, Pädagogik, Psychologie – ohne Abstriche genau wie im regulären Lehramtsstudium. Aus Verantwortung gegenüber ihren Schülern.

Knapp 240 Seiteneinsteiger nehmen derzeit laut Kultusministerium eine solche Qualifizierung im Fach Grundschuldidaktik an den Unis Dresden, Leipzig und Chemnitz wahr, 62 haben sie gerade abgeschlossen und weitere 60 werden sie mit Beginn des neuen Semesters starten. In den weiterführenden Schularten drücken demnach derzeit 154 Seiteneinsteiger die Schulbank, 46 weitere beginnen im April.

Angekommen in den Kollegien

Mit besagten 28 Studierenden an der TU Dresden kam die SZ bereits vor einem knappen Dreivierteljahr ins Gespräch. Sie möchten als Gruppe auftreten, nicht als Einzelpersonen. Daher bleiben Namen ungenannt. Von Animositäten in den Lehrerzimmern berichteten sie beim ersten Gespräch, sogar von Nichtakzeptanz, und dass sie sich ständig wie unter der Lupe beäugt fühlten. Nun, acht Monate später, scheint das nicht mehr so ihren Alltag zu bestimmen. Sie sind wohl mehrheitlich angekommen in den Lehrerkollegien. „Ist ja kein Wunder“, sagt eine. Ihre Schulleiterin habe gekämpft, bei den Neueinstellungen einen „richtigen“ Lehrer zu bekommen. Gekommen sei eine weitere Seiteneinsteigerin. „Man muss sich also mit uns arrangieren“, so die junge Frau. Nachfragen der Kollegen kämen heute eher wegen Organisation und Aufbau ihrer universitären Weiterbildung und dem sich anschließenden Referendariat. „Dass wir das noch machen müssen, obwohl wir heute vielfach bereits als Klassenlehrer eingesetzt sind, versteht wirklich niemand in den Schulen.“

Die 28 studierenden Lehrer wirken an diesem Montag im Februar gestresster als im Juni letzten Jahres. Familienleben, Freizeit gar, sagen sie, gebe es de facto nicht mehr. Zwar hätten sie in den Winterferien unterrichts- und studienfrei. „Doch wenn wir in den Urlaub fahren, muss ich meinen Laptop einpacken und noch vieles runterrackern“, erzählt eine Frau. Die meisten im Raum nicken zustimmend. „Ich weiß schon jetzt“, sagt die Banknachbarin, „dass ich auch nach den Ferien unerholt sein werde, fix und fertig.“ Und das könne nicht gut sein.

Die Frage, ob die mögliche Verbeamtung von Lehrern – die in Sachsen zur Diskussion steht – ihre Motivation und Laune nicht positiv beeinflusst, ruft eher Irritation hervor. „Wissen wir denn, ob wir dafür je infrage kommen“, geben sie den Ball zurück. Abgesehen davon, wirft einer ein, sorge dieses Thema an den Schulen eher für Frust. An der Grundschule, an der er unterrichte, käme aus Altersgründen nicht ein einziger Lehrer dafür infrage.

Die Gruppe treibt derzeit um, welchen Status sie eigentlich haben. Die Frage ihrer Gleichstellung nach der Qualifizierung und dem Referendariat gegenüber den grundständig ausgebildeten Grundschullehrkräften halten sie noch nicht für verbindlich, sprich juristisch, geklärt. Mit allen Konsequenzen für Berufsbezeichnung, Entgelt, Aufstieg zu Fachschafts- oder Schulleitungen bis hin zur Verbeamtung.

Verbindliche Antworten

„Haben wir überhaupt eine sichere Perspektive – etwa, wenn die Zahl der Schüler wieder sinkt?“, fragen sie besorgt. Sie haben sich für den Lehrerberuf entschieden. Eine Lebensentscheidung mit großer Verantwortung, hoher Belastung, erheblichen finanziellen Einbußen und latenter gesellschaftlicher Infragestellung. Aber natürlich auch mit großer Freude an der Arbeit mit Kindern. Es dürfte nicht zu viel verlangt sein, finden sie, wenn sie nun vom Kultusministerium mehr als ein „ja, klar“ erwarten. Verbindliche Antworten, schriftlich fixiert. „Ein Leben mit einem befristeten Arbeitsverhältnis nach dem anderen“, erklärt ein Studienteilnehmer, „haben viele von uns schon hinter sich. Damit sollte es endlich mal vorbei sein.“ Im Übrigen wünschen sie sich das auch für ihre Dozenten.