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Wie weiter im deutschen Eisschnelllauf?

Olympiasieger André Hoffmann beklagt weggebrochene oder falsche Strukturen. Doch der Wahl-Dresdner sieht Lichtblicke.

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© Robert Michael

Von Alexander Hiller

Da muss auch ein Olympiasieger erst mal durchpusten. Zustandsbeschreibung des deutschen Eisschnelllaufs? „Dass die Situation schwierig ist, sehen wir. Aber es gibt Lichtblicke“, sagt André Hoffmann. Der Berliner, 1 500-m-Olympiasieger von 1988, ist seit knapp einem Jahr Olympiastützpunkt-Trainer in Dresden und damit für die Talentausbildung verantwortlich.

Zu den Lichtblicken zählt der 54-Jährige etwa Patrick Beckert, den zweifachen Vierten bei der gerade erst beendeten Einzelstrecken-WM in Kolomna. „Bei den deutschen Frauen darf es den anderen einfach nicht gefallen, dass Claudia Pechstein immer noch die Vorläuferin gibt. Irgendwann“, sagt Hoffmann, „müssten die Jüngeren kommen und die ältere Dame auffressen. Das ist nicht böse gemeint“, erklärt er, und das klingt unter Berlinern gar nicht despektierlich.

„Normalerweise sind die Jüngeren trainierbarer, sprechen eher auf Trainingsreize an. Aber vor Claudi“, sagt Hoffmann, „kann man nur den Hut ziehen. Sie hat ein Grundniveau, an das viele ihr Leben lang nicht heranreichen.“ Die noch 43-jährige dreifache WM-Vierte von Russland betont aber immer wieder, dass der Nachwuchs nicht mehr bereit wäre, sich richtig zu quälen. Und ohne Schweiß, Blut und Tränen gibt es keinen Preis – und schon gar keine vorzeigbaren Medaillen. „Vielleicht haben die anderen aber gar nicht das professionelle Umfeld, das sich Claudia über Jahre gestaltet hat“, befindet Hoffmann. „Fleißig sind die“, widerspricht er, „die Frage ist, ob sie motorisch so befähigt sind wie Claudia.“

Auch die Vielfalt der spezifischen Ausbildung sei für diese „wunderschöne Sportart“, wie der ausgebildete Anwalt und Diplom-Sportlehrer findet, in Deutschland nachteilig. „Allgemeine Kraft, Lauftraining, mit Inlinern, Radtraining, dann auf das Eis, seit Jahren nutzen wir Shorttrack als Trainingsmittel. Wer das optimal ausnutzen will, muss jeweils qualitativ gute Trainingsutensilien mitbringen. Da ist vieles sponsored by Mama und Papa“, erklärt Hoffmann. Die finanziellen Zuschüsse von der Sporthilfe sind der berühmte „Tropfen auf den heißen Stein“. Das sind für jüngere Athleten 100 Euro im Monat. „Ein Paar erstklassige Schlittschuhe kosten aber zwischen 800 und 900 Euro“, weiß der Experte. Hinzu kämen ordentliche Inliner, ein Rennrad und Shorttrack-Schlittschuhe „sowie Turn- und Kraftschuhe, wenn es geht. Ich kenne Eltern, die sind acht, neun Jahre nicht mehr in den Urlaub gefahren, weil sie in den Sport des Kindes investieren“.

Hinzu kommt beim Eisschnelllauf, dass es national wie international keine Wettbewerbe für den U-23-Bereich gibt, wie etwa beim Kanu, Rudern oder der Leichtathletik. Wer als Junior nicht sofort Anschluss im Aktivenbereich findet, fällt nicht nur in ein Leistungsloch, dem bleibt auch der Weg zu sämtlichen Fördertöpfen verwehrt. „Das ist das Problem“, bestätigt der Wahl-Dresdner. Bis Mitte der 1990er-Jahre wurden Meisterschaften der Heranwachsenden noch ausgetragen – auch international. „Das ist irgendwann eingeschlafen, weil die Verbände nach und nach alles selbst stemmen mussten“, berichtet André Hoffmann. „Die Junioren brauchen aber zwei, drei Entwicklungsjahre, bis sie bei den Erwachsenen wieder Licht am Ende des Tunnels sehen. In dieser Zeit fallen uns viele Athleten durch den Rost“, stellt Hoffmann fest.

Zudem stehen deutsche Athleten nach dem Leistungssport oft vorm Nichts – mindestens aber vor einem Neustart. Als bestes, weil abschreckendstes Beispiel nennt er aus der Eislaufszene Monique Garbrecht-Enfeldt. Die neunfache Weltmeisterin holte 1992 Olympiasilber, beendete 2005 ihre Karriere. „Danach war sie vier Jahre lang arbeitslos. Das darf nicht sein. Daran sieht man den Stellenwert des Sports in Deutschland“, beklagt Hoffmann.

Etwas neidisch schaut er auf das Nachbarland Holland. Die entwickeln seit Jahren aus viel Masse auch viel Klasse. „Die haben überall gute Trainingspartner, die sich aneinander reiben und vorwärtsbringen.“ Davon profitiert auch der Erfurter Patrick Beckert, der in einem holländischen Privat-Team trainiert. Das sieht der Olympiasieger nicht unkritisch. „Wir haben wenige Spitzenleute. Wenn die noch an unterschiedlichen Standorten arbeiten, bekommen wir das Geflecht gar nicht zusammen, dass unsere Besten gemeinsam trainieren. In diesem Zuge entwickeln sich auch die Jüngeren. Da müssen wir hin.“ Lichtblicke erarbeitet Hoffmann auch in Dresden. „Wir haben jetzt 14 Eisschnelllauf-Talente in die Sportschule eingeschult, in einem Jahrgang. Das ist richtig toll.“ (mit SZ/sw)