Von Jörg Stock
Das alte Rom ist mir eigentlich schnurz. Doch jetzt will ich unbedingt einen Gladiator haben, diesen kahlköpfigen Typ, der mit Pauken und Fanfaren aufkreuzt. Er ist der Joker, der die Gewinnlinie vollendet, der mein Konto füllt. Die Walzen rotieren, Helme, Streitwagen und Cäsarbüsten fliegen vorbei – tataaa! Der Gladiator ist wieder da! Er schwenkt sein Schild, als wollte er mir winken. Acht Euro sind mein.
Ist es das Glück des Anfängers? Sie hatten Glück, das war ihr Pech, sagen Suchtexperten. Will heißen, Spielerkarrieren beginnen oft mit der Gewinnphase, woran sich irgendwann aber die Verlustphase anschließt, der unbändige Drang, weiterzuspielen, um Verlorenes zurückzugewinnen. Was das angeht, bin ich sorglos. Die Redaktion hat mir dreißig Euro ausgezahlt, Verlust einkalkuliert. Die Frage: Wie lange dauert es, bis ich pleite bin?
Das Kapital im Plastebecher
Das Experiment findet in Pirnas Westend statt, im Casino der Play & Win Automaten GmbH an der B 172. Der Standort gehört zu denen, die der Glücksspielstaatsvertrag infrage stellt: zu viele Automaten unter einem Dach, zu wenig Abstand zur Konkurrenz, zu nah dran an einer Schule. Für die Kasinobetreiber wird es ernst diesen Sommer, die Regeln werden schärfer, Konzessionen an noch mehr Bedingungen geknüpft. Kasinochef Tilo Ulbrich hat die Spielerlaubnis trotzdem beantragt. Er will die Jobs seiner Mitarbeiter sichern. Das legale Glücksspiel zu beschneiden, hält er für den falschen Weg zum Spielerschutz. Dadurch könnten Spieler in illegale Hinterzimmer und ins Internet abgedrängt werden. „Spielen ist ein Urtrieb“, sagt er.
Das Mädchen hinterm Tresen nimmt mein Geständnis, ein blutiger Anfänger zu sein, locker auf. „Okay“, sagt sie. Ich kriege eine Cola aufs Haus. Auch gratis Knabberzeugs und belegte Brote gibt es. Und wie geht das nun mit dem Gewinnen? Das Mädchen lächelt. „Suchen Sie sich einen Automaten aus, stecken Sie bissel Geld rein und spielen Sie ein Spiel.“ Ich lasse einen Zwanziger in Zwei-Euro-Stücke zerlegen und fülle das Kapital in einen extra dafür gedachten Plastebecher. Dann setze ich mich vor den erstbesten Flimmerkasten. Der Sitz, Marke Chefsessel, schmeichelt dem Hinterteil. Hier kann man kleben bleiben. Etwa vierzig Spiele bietet der Automat an. Was soll ich nehmen? Ein Spielgast, ich nenne ihn Maik, hilft mir, wählt ein Spiel mit Früchten aus. „Das ist das Primitivste“, erklärt er. Maik scheint ein alter Haase zu sein. Dreieinhalbtausend Euro, so erzählt er mir, waren bisher sein größter Reibach.
Zwei Euro in den Schlitz. Einsatz? Zehn Cent, das Minimum. Ein paar Minuten möchte ich schon bleiben. Start und Stopp automatisch? Maik macht das meistens so. Anders als früher bei den „einarmigen Banditen“ steckt im modernen Automaten ein computergesteuerter Zufallsgenerator, den man praktisch nicht beeinflussen kann. Selbst wenn jemand all die Symbolkombinationen, die Gewinne verheißen, im Kopf hätte, wäre es doch unmöglich, die fünf sausenden Walzen mittels Tastendruck am richtigen Fleck anzuhalten.
Ich drücke trotzdem selbst, weil mir die Vorstellung, mein Glück einer Maschine anzuvertrauen, nicht schmeckt. Fachleute erkennen in den Stopp-Tasten ein Stück Suchtpotenzial, weil sie den Glauben nähren, man könne das Spiel kontrollieren. Immerhin gewinne ich gleich mal einen Euro. Eine lachende Sonne tanzt, niedliche Melodien dudeln. Es ist ein wenig wie auf dem Rummel, wie Karussellfahren als kleiner Junge. Dazu das heimelige Halbdunkel. Ich fühle mich hier ganz wohl.
Nach fünf Minuten ist das erste Zwei-Euro-Stück alle. Ich will mit Roulette weitermachen, aber Maik rät mir zu „El Torero“. Hier rotieren keine Früchte, sondern Stiere, Stierkämpfer und Senoritas. Dazu klappern Kastagnetten, schrummeln Gitarren. Ich gewinne zehn Freispiele. Die große Serie kommt aber nur beinahe. Immerhin fünf Euro zwölf Gewinn. Damit ist der Verlust schon wieder mehr als wettgemacht. Dann spiele ich ein Spielchen mit Hollywoodmotiven, mit Filmstars und goldenen Autos. Aber dabei kommt kaum was rum. Die Bank gewinnt immer, heißt es. Es heißt aber auch, dass der Automat unterm Strich neunzig Prozent des Geldes wieder ausspucken muss. Maik kommt vorbei. Er hat mit 20 Cent Einsatz hundert Euro erspielt. Ich erhöhe meinen Einsatz auf 30 Cent. Nach 40 Minuten sind die 20 Euro alle. Ich gehe die restlichen zehn Euro kleinmachen. Das Mädchen am Tresen hat keinen heißen Tipp für mich. Ihre Aufgabe ist der Service, sagt sie. Gespielt hat sie noch nie. „Ist irgendwie nicht meins.“ Zurück im Chefsessel probiere ich dies und das, ohne viel Erfolg. Dann komme ich auf „Gladiators“ und das Blatt wendet sich. Wieder und wieder winkt der Schwertkämpfer, mal mit acht, mal mit vier, mal mit sechs Euro. Eine Stunde ist rum. Da macht der Automat Zwangspause, zum Spielerschutz.
Ich habe 16 Euro in meinem Plastebecher. Ich will meine Glückssträhne ausnutzen. Am Automaten nebenan geht es ohne Rast weiter. Doch die Strähne scheint gerissen zu sein. Bald sind nur noch vier Euro übrig. Nun will ich die Sache schnell beenden. Ich schraube meinen Einsatz auf einen ganzen Euro hoch. Pleite gehe ich aber nicht. Ich gewinne, diesmal mit einer V-förmigen Neunerreihe. 20 Euro plus!
Glatzkopf mit 30 Euro
Immer schneller drücke ich die Starttaste. Die Walzen rasen, der Kredit auch, abwärts. Aber dann, bei acht Euro, kommt der Glatzkopfrömer mit dreißig Euro um die Ecke. Nach rund anderthalb Stunden Zockerei habe ich exakt mein Startkapital gewonnen. Ich nehme das als Schicksalswink und steige aus. Freudig klimpern die Münzen im Ausgabeschacht, so, als wären sie dankbar, mich wiederzusehen.
Als ich später dem Sozialarbeiter Matthias Horwath in der Freitaler Suchtbehandlungsstelle von meinem Glück berichte, gratuliert er mir. „Brauchen Sie Beratung?“ Es ist nur ein halber Scherz. Schätzungen gehen von bis zu 415 000 pathologischen Spielern in Deutschland aus. Fünf bis sieben Leute stehen jährlich bei Horwath vor der Tür. Die strikteren Regularien für die Automatenkasinos, die der Glücksspielstaatsvertrag ab Juli vorsieht, nennt der Suchtberater „Kosmetik“. Der Gesetzgeber müsste noch viel schärfer vorgehen, findet er, denn nur mit Prävention sei dem Problem nicht beizukommen. „Da gibt es zu viele, die schon zu tief drinstecken.“