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„Wir brauchen ein Zuwanderungsgesetz“

Eine prominente Runde diskutiert in Pirna das Thema Asyl. Vieles in der Stadt klappt gut, doch es gibt auch Probleme.

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© Daniel Schäfer

Von Thomas Möckel

Pirna. Schon eine Dreiviertelstunde vor Beginn füllt sich der Zuschauerraum der Pirnaer Kleinkunstbühne Q 24. Nach und nach trudeln die Gäste ein, sie wollen alle einen Platz erhaschen, am Ende ist der Saal voll, einige müssen sogar stehen. Die Wählervereinigung „Wir für Pirna – Freie Wähler“ hat am Mittwochabend zum dritten Stadtgespräch geladen, diesmal geht es ums Thema Asyl. Drei Jahre nach dem großen Zustrom, sagt Ralf Thiele vom Vorstand der Wählervereinigung, wolle man das Thema wieder aufs Tableau heben, um sachlich zu schauen, was läuft und was nicht. Im Podium sitzen der Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir, Pirnas OB Klaus-Peter Hanke, Pirnas Polizeirevier-Leiter Candy Sommer, Jürgen Scheible, Chef der Städtischen Wohnungsgesellschaft Pirna (WGP), sowie Silke Maresch vom Caritasverband. Die SZ fasst die Diskussion zusammen.

Stimmen vom Podium

Asylbewerber müssen Deutsch lernen, Arbeit finden und das Grundgesetz respektieren, sagt Cem Özdemir, Bundestagsmitglied der Grünen.
Asylbewerber müssen Deutsch lernen, Arbeit finden und das Grundgesetz respektieren, sagt Cem Özdemir, Bundestagsmitglied der Grünen.
Integrations- und Sprachkurse für Neuankömmlinge seien viel zu kurz, beklagt Silke Maresch vom Caritasverband.
Integrations- und Sprachkurse für Neuankömmlinge seien viel zu kurz, beklagt Silke Maresch vom Caritasverband.
Pirnas OB Klaus-Peter Hanke (parteilos) betont, dass Pirna bei der Unterbringung von Flüchtlingen viel getan habe, um Konflikte zu minimieren.
Pirnas OB Klaus-Peter Hanke (parteilos) betont, dass Pirna bei der Unterbringung von Flüchtlingen viel getan habe, um Konflikte zu minimieren.
Pirna sei kein Schwerpunkt von Ausländerkriminalität, belegt Polizeirevier-Leiter Candy Sommer anhand einer Statistik.
Pirna sei kein Schwerpunkt von Ausländerkriminalität, belegt Polizeirevier-Leiter Candy Sommer anhand einer Statistik.
Die Pirnaer Wohnungsgesellschaft habe mit Flüchtlingen überwiegend positive Erfahrungen gemacht, erklärt Geschäftsführer Jürgen Scheible.
Die Pirnaer Wohnungsgesellschaft habe mit Flüchtlingen überwiegend positive Erfahrungen gemacht, erklärt Geschäftsführer Jürgen Scheible.

Wie bringt Pirna die Flüchtlinge in der Stadt unter?
Laut Hanke (parteilos) wurden 2015 Pirna Flüchtlinge in großem Umfang zugewiesen, die Stadt nahm wesentlich mehr Asylbewerber auf, als sie im Verhältnis zu anderen Kommunen hätte aufnehmen müssen. Das Rathaus setzte von Anfang an darauf, die Hinzukommenden dezentral in Wohnungen unterzubringen, verteilt auf die Stadtteile, was hauptsächlich wegen des großen Wohnungsbestandes der WGP gelang. Damit, sagt Hanke, habe bereits die Integration begonnen, weil recht schnell Neuankömmlinge Tür an Tür mit Einheimischen wohnten und miteinander ins Gespräch kamen. Massenquartiere lehnte Pirna stets ab. Für die früheren und derzeit noch existierenden Großunterkünfte – BSZ-Turnhalle, Jugendherberge Copitz, altes Landratsamt, die Halle im Gewerbegebiet – war nie die Stadt zuständig, sie wurden vom Landkreis eingerichtet.

Wie viele Ausländer und Flüchtlinge leben derzeit in Pirna?
In Pirna sind derzeit 466 Flüchtlinge registriert. Der Ausländeranteil in der Stadt insgesamt liegt bei 4,8 Prozent, darin sind auch EU-Bürger und andere Ausländer eingerechnet. 49 Prozent aller Ausländer in Pirna leben in der Altstadt und der Südvorstadt, 16 Prozent in Copitz, 30 Prozent auf dem Sonnenstein. Auf dem Sonnenstein, so Hanke, sei der Anteil der Zugewanderten am größten. Von den Flüchtlingen sind 66 Prozent männlich, 34 Prozent weiblich. Darunter sind 53 Familien und 144 Kinder. Laut Silke Maresch stammt der Großteil aus Syrien und Afghanistan, gefolgt von Irak und Eritrea. Eine Liste mit den Herkunftsländern findet sich auf der Pirnaer Internetseite.

Ist die Kriminalität aufgrund der Flüchtlinge gestiegen?
Laut Revierleiter Candy Sommer sprechen die objektiven Zahlen nicht für einen Anstieg der Kriminalität. Von den 4,8 Prozent Ausländern in der Stadt sei nur ein Teil Migranten, von denen wiederum nur ein kleiner Teil tatsächlich straffällig werde – was allerdings häufig überproportional auffalle, weil es oft schneller in die Öffentlichkeit gelange. Es gebe in Pirna auch keinen Schwerpunkt in Sachen Ausländerkriminalität. Zwar seien die Polizisten verstärkt auf dem Sonnenstein sowie in der Innenstadt am Thälmannplatz und im Friedenspark im Einsatz. Dabei, sagt Sommer, handle es sich aber überwiegend um Einsätze, die nicht von Ausländern hervorgerufen wurden. In den meisten Fällen seien die Straffälligen Deutsche.

Allerdings, so räumt Sommer ein, gebe es eine große Differenz zwischen dem subjektiven Sicherheitsempfinden der Menschen und den objektiven Fakten. Das subjektive Empfinden lasse sich laut Sommer inzwischen sogar messen. Dabei verwies er auf eine große Umfrage der Sächsischen Zeitung von diesem Jahr. Sie ergab: Die Menschen wünschen sich eine stärkere Polizeipräsenz. „Wo es geht“, sagt Sommer, „wollen wir dem auch Rechnung tragen.“

Gibt es Probleme und Konflikte bei den Vermietern?
Jürgen Scheible sagt, die WGP habe in ihren Wohnungen mit Flüchtlingen überwiegend positive Erfahrungen gemacht, größere Konflikte seien ihm nicht bekannt. Zwar gebe es manchmal Probleme, allerdings nicht mehr und keine anderen als mit deutschen Mietern auch.

Welche Bleibeperspektive haben die Flüchtlinge in Pirna?
Laut Hanke haben die meisten der 466 registrierten Flüchtlinge das Asylverfahren schon durchlaufen, ein Großteil von ihnen habe eine Bleibeperspektive. Dagegen hätten die rund 80 Flüchtlinge, die in der Halle im Gewerbegebiet untergebracht sind, kaum Chancen, in Deutschland zu bleiben.

Was ist für die Integration der Flüchtlinge wichtig?
Für Cem Özdemir sind es drei grundlegende Dinge: Asylbewerber müssen die deutsche Sprache lernen und anwenden, möglichst eine Arbeit finden, nachdem sie Schule und Ausbildung absolviert haben, und sie müssen sich kulturell integrieren. Dazu zähle vor allem, das Grundgesetz anzuerkennen und zu respektieren. Auf die Stadt, sagt Hanke, kämen im Integrationsprozess vor allem hinsichtlich der Kinder große Aufgaben zu – weil auch für sie von Anfang an eine Schulpflicht gelte. Aufgrund von Millionen-Investitionen in neue Kitas und Schulanbauten gelinge es Pirna, jedem Kind einen entsprechenden Platz anzubieten. Hauptgrund für die Investitionen, sagt Hanke, seien aber nicht die Flüchtlingskinder – sondern der Boom bei den heimischen Kindern. „Ich bin beeindruckt, mit welch kühlem Kopf Pirna die Probleme löst“, sagt Özdemir.

Was macht die Integration so schwierig?
Silke Maresch beklagt, dass Integrations-Sprachkurse vor einiger Zeit noch zwei Jahren gingen, jetzt nur noch sechs Monate. „Kaum einer schafft es in dieser Zeit, richtig Deutsch zu lernen“, sagt sie. Selbst danach könnten viele die Sprache nicht richtig anwenden, weil es an Arbeit und Kontakten mangele. Weitere Hindernisse bei der Integration seien neben den mangelnden Sprachkenntnissen die hohe Abbrecherquote bei jungen Flüchtlingen in der Berufsausbildung sowie unzureichende Schulbildung und fehlende Abschlüsse in den Herkunftsländern.

Sind die EU-Länder mitverantwortlich für die Fluchtursachen?
Aus Sicht von Özdemir tragen Deutschland und die anderen EU-Länder eine Mitschuld daran, dass Menschen ihre Heimat verlassen. So fische beispielsweise die EU die Meere vor Afrikas Westküste leer, ebenso exportiere die EU Abfälle aus der Geflügelproduktion nach Afrika, und zwar so billig, wie dort kein Einheimischer produzieren kann. Schwindet die Existenzgrundlage, denken viele Menschen über eine Flucht nach. Zudem, sagt Özdemir, hätten viele Kriege in der Welt, geführt mit Waffen und Kriegsgerät aus EU-Ländern, dazu geführt, dass Menschen aus der Heimat fliehen. Özdemir sah sich dabei mit dem Vorwurf aus dem Publikum konfrontiert, die Grünen hätten ja selbst mehrere Kriege abgesegnet, beispielsweise jenen in ehemaligen Jugoslawien. Özdemir konterte, es gebe durchaus Punkte, an denen man mit seiner rein pazifistischen Haltung an seine Grenzen stoße. Als Beispiel nannte er das Massaker von Srebrenica, als serbische Heckenschützen bosnische Muslime niedermetzelten. „Diese Menschen haben hilfesuchend nach Europa geschaut“, sagt Özdemir, „da mussten wir einfach helfen.“

Welche Wünsche gibt es, damit Zuwanderung besser funktioniert?
Silke Maresch wünscht sich längere Deutschkurse für Migranten, Hanke ein ausreichendes Jobangebot für Geflüchtete. Özdemir drängt darauf, dass Deutschland endlich ein Zuwanderungsgesetz beschließt, um den Zustrom künftig besser steuern zu können.