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„Wir müssen mehr zu den Leuten“

Bei seinem Besuch in Bautzen spricht der Landesbeauftragte für Stasi-Unterlagen über eine geplante Außenstelle – und von neuen Projekten für die Oberlausitz.

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© Robert Michael

Von Miriam Schönbach

Bautzen. Gleich vier Termine hat Lutz Rathenow an diesem Tag in Bautzen. Nach einem Abstecher in den Domowina-Verlag stehen beim sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur noch Einzelberatungsgespräche im Kalender. „Wir haben uns gefragt, ob wir nicht dafür sorgen müssen, dass wir mehr zu Leuten gehen, wenn sie nicht zu uns kommen können. Wenn das Bedürfnis da ist, werden wir es intensivieren“, sagt er. Doch dieses Angebot wird nur eins von vielen sein, um ab kommendem Jahr mit der Landesbehörde verstärkt in der Fläche präsent zu sein.

Bautzen und Umgebung stehen dabei ganz oben auf der Liste des Landesbeauftragten. „Wir müssen mehr inhalieren, was wo los ist, um die richtigen Impulse für Beratungs- und Bildungsarbeit zu setzen“, sagt Rathenow. Jede Region habe eine eigene Spezifik, wie hier zum Beispiel das Sorbische. Zudem sei die Nachfrage nach Aufarbeitung seit sechs Jahren anhaltend hoch. Es gebe ein nicht nachlassendes Bedürfnis von Klärung biografischer Fragen aus der Vergangenheit wie zur Rehabilitation oder Interpretation der Stasi-Akte.

Die DDR erlebbar machen

Darüber hinaus geht es Lutz Rathenow und seinen Mitstreitern um einen Blick nach vorn. „Wir wollen Lust machen am Kümmern um die Geschichte. Das macht vielleicht mehr Lust am Kümmern in der Gegenwart“, sagt er. Deshalb sollen zum Beispiel konkrete Angebote an Schulen ausgebaut werden. Dazu gehört die Vermittlung von Theaterstücken genauso wie von Zeitzeugen. So bietet der sächsische Landesbeauftragte seit knapp zehn Jahren eine Theaterperformance für Jugendliche an, die den Alltag in der DDR erlebbar macht und die Schüler mit ins Spiel einbezieht. Nach dem 45-minütigen Stück laden Theaterpädagogen und Schauspieler zur Diskussion ein. „Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Lehrer, die daran Interesse haben, können sich gern melden“, sagt Lutz Rathenow.

Zu bestimmten Themen, in deren Mittelpunkt eine kritische Sicht auf die DDR, Einblicke ins politische System und Fragen des Lebensalltags in einer Diktatur stehen, könnten außerdem Bücher zur Verfügung gestellt werden. Zudem könnten in der Region vielleicht Fahrten von Schülern zur Gedenkstätte Bautzen unterstützt werden.

Die verstärkte Arbeit der Landesbehörde außerhalb der Zentren Leipzig, Dresden und Chemnitz ist eine Reaktion auf die Bundestagswahl im September. „Die drohende Erosion der demokratischen Parteien zwingt dazu, solche Stellen wie unsere nicht nur als ABM für verdiente Bürgerrechtler zu erhalten, sondern als aktive Ansprechpartner für alle“, sagt der Schriftsteller kritisch. Mit Buchhandlungen und Bibliotheken sei man bereits über Lesungen im Gespräch.

Weiter wolle man künftig noch mehr die Aktivitäten des Bautzen-Komitees – den Verein gründeten ehemalige Gefangene der Haftanstalten und deren Angehörige – unterstützen und Partner des einmal im Jahr stattfindenden „Bautzen-Forums“ bleiben. „Wir sind auch bereit, mehr für dieses Format, das die Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit thematisiert, zu tun“, sagt Lutz Rathenow.

Er selbst gründete als Germanistikstudent in seiner Heimatstadt Jena den oppositionellen Arbeitskreis „Literatur und Lyrik Jena“, der 1975 verboten wurde. Nur ein Jahr später brachte dem heute 65-Jährigen sein Widerstand gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann erneut Zwist mit dem Staat und den Rauswurf aus der Universität – nur drei Monate vorm Examen. Auch ohne Abschluss veröffentlichte er ab 1977 Essays, Gedichte und Dramen. Als Lutz Rathenow seinen ersten Prosaband 1980 im Westen ohne Erlaubnis der zuständigen DDR-Behörden herausbrachte, wurde er durch die Staatssicherheit verhaftet. Doch durch internationalen Protest kam er wieder frei.

Eine Anlaufstelle in Bautzen?

Seit 2011 ist Lutz Rathenow sächsischer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. In dieser Funktion hat er Anfang des Jahres gefordert, dass in Bautzen eine Außenstelle der Stasiunterlagenbehörde entstehen soll. „Aus zahlreichen Telefonaten, Briefen und Gesprächen wissen wir, dass es hier in Ostsachsen einen großen Beratungs- und Begleitungsbedarf gibt. Allein beim Tag der Sachsen gab es an unserem Stand rund 50 Beratungsanliegen“, sagt der Dresdner.

Aus seiner Forderung habe sich eine interessante Debatte entwickelt. Vonseiten der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen (BStU) gebe es Signale, über die Idee nachzudenken. „Ich könnte mir einen Raum vorstellen, in dem die Leute ihre Akten vorgelegt bekommen“, sagt Rathenow. Dann packt er seine Unterlagen zusammen, der nächste Termin wartet bereits.

Kontakt zu Projekten des Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur: 0351 6568110, [email protected]

www.justiz.sachsen.de