Von Andreas Rabenstein, Berlin
„Big brother is watching you“, heißt es in George Orwells berühmtem Überwachungsroman „1984“. Passende oder unpassende Parallelen zwischen Buch und echter Welt sind schon dutzendfach beschrieben worden. Es geht um Kameras, die Bilder in hochmoderne Computerprogramme einspeisen, die wiederum einzelne Gesichter und Menschen erkennen. Polizeibehörden und Geheimdienste lieben so etwas, Datenschützer und Anti-Überwachungsinitiativen sehen das anders. Bundesregierung und Bundespolizei testen jetzt, was technisch geht.
Am Dienstag beginnt im Berliner Bahnhof Südkreuz ein realitätsnaher Versuch, der sechs Monate dauert und zeigen soll, ob Kameras und Software brauchbare Ergebnisse liefern. Beteiligt an dem Pilotprojekt sind Bundespolizei, Bundeskriminalamt (BKA), Bahn und Bundesinnenministerium. Drei neue Kameras hängen künftig in dem großen Fern- und S-Bahnhof. Über 250 Testpersonen, meist Pendler, die häufig im Bahnhof sind, haben zugesagt. Ihre Namen und zwei Fotos ihres Gesichts wurden gespeichert. Die erste Kamera filmt an drei Türen die eintretenden Menschen, die zweite Kamera filmt sie beim Verlassen des Gebäudes, die dritte beobachtet eine Rolltreppe.
Erkennen Kameras und Computer die Menschen ebenfalls nur anhand ihres Gesichts? Läuft das System auch im Sommer, wenn Menschen Sonnenbrillen tragen? Oder im Winter, wenn Gesichter von Mützen und Schals verdeckt sind. „Wir wollen das unter normalen Bedingungen testen“, sagt ein Sprecher der Bundespolizei. „Die Tester können auch einen Hut oder Fahrradhelm tragen oder etwas kleiner sein und in der Menge verschwinden.“
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) lobte die automatische Gesichtserkennung bereits als hilfreich. Den Versuch im Bahnhof will er im Lauf der ersten Wochen persönlich begutachten. Die Bundespolizei begründet den Test mit der Abwehr von Terroristen: „Mit dieser Technik könnte es gelingen, Straftaten und Gefahrensituationen im Vorfeld zu erkennen. Mögliche Gefährder könnten vor einem geplanten Anschlag erkannt und dieser verhindert werden.“ Die Programme sollen gesuchte Verdächtige oder Menschen, „von denen eine Gefahr ausgeht bzw. ausgehen könnte, erkennen und melden“. Große Vorbehalte hat Deutschlands oberste Datenschützerin Andrea Voßhoff. Der Test sei akzeptabel. Sie habe aber „grundsätzliche Bedenken“ gegen die Technologie. „Sollten derartige Systeme einmal in Echtbetrieb gehen, wäre dies ein erheblicher Grundrechtseingriff.“ Auch die Datenschützer der Länder halten biometrische Gesichtserkennungssoftware für rechtswidrig. Die Freiheit, sich anonym in der Öffentlichkeit zu bewegen, könne zerstört werden.
Der SPD-Politiker Christopher Lauer, früher bei den Piraten Experte für Internet und Datenschutz, kritisiert: „Der kriminalistische Nutzen ist gleich null.“ Eine Schirmmütze reiche als Schutz für Terroristen. Zudem sei das System fehlerhaft. „Es gibt eine totale Fixierung auf nutzlose Überwachungstechnik. London müsste so die sicherste Stadt der Welt sein. Ist sie aber nicht.“
Die Technik wird immer billiger und besser. Die Bahn baut die Zahl ihrer Kameras kontinuierlich aus. Rund 6 000 überwachen demnach mehr als 80 Prozent der Fahrgastströme bundesweit. Die Berliner S-Bahn kündigte einen Ausbau der Videoüberwachung für Millionen Euro an. Alle Berliner U-Bahnhöfe und U-Bahnen sowie die meisten Busse und Straßenbahnen werden bereits mit Tausenden Kameras gefilmt. Ein Volksbegehren fordert jetzt 2 500 Kameras auch auf den 50 gefährlichsten Plätzen und Straßen der Hauptstadt. (dpa)