Merken

„Wir sollten die Standstreifen nutzen“

Der Verkehrspolitiker Stephan Kühn hält einen raschen Ausbau der A4 für unrealistisch – und rät zu Alternativen.

Teilen
Folgen
© Steffen Unger

Von Sebastian Kositz

Region. Immer mehr Autos, immer mehr Probleme. Seit Jahren nimmt der Verkehr auf der A4 in Ostsachsen stetig zu, allen voran die Zahl der Brummis hat sich deutlich erhöht. Beinah täglich meldet der Verkehrsfunk Staus auf der vielbefahrenen Achse in der Oberlausitz. Politiker der CDU fordern jetzt die Verbreiterung der Autobahn bis zur polnischen Grenze, auch Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) zeigt Interesse. Verantwortlich für den Ausbau ist allerdings der Bund. Doch so einfach ist es nicht, sagt der ostsächsische Bundestagsabgeordnete Stephan Kühn (Grüne). Die Forderung nach einem Ausbau der Autobahn in der Oberlausitz sei nicht weit genug gedacht, warnt der Verkehrspolitiker.

Der Dresdner Stephan Kühn sitzt seit 2009 für die Grünen im Bundestag. Zu seinen Schwerpunkten zählt die Verkehrspolitik. Er weiß, wie schwierig es ist, im Bund große Investitionen im Verkehrsbereich durchzudrücken.
Der Dresdner Stephan Kühn sitzt seit 2009 für die Grünen im Bundestag. Zu seinen Schwerpunkten zählt die Verkehrspolitik. Er weiß, wie schwierig es ist, im Bund große Investitionen im Verkehrsbereich durchzudrücken. © André Wirsig

Sechs Spuren statt vier, CDU und SPD überholen sich gerade mit ihren Forderungen nach dem Ausbau der A4. Was halten Sie von dieser Idee?

Wer jetzt wie einige CDU-Landtagsabgeordnete nach einem Ausbau der Autobahn ruft, muss den Menschen erklären, warum dieser Vorschlag erst kommt, nachdem vor einem Dreivierteljahr der Bundestag mit den Stimmen der Union den bis 2030 gültigen Bundesverkehrswegeplan verabschiedet hat – nachdem darüber ausführlich beraten worden war. Offenbar gehen die Uhren bei einigen CDU-Landtagsabgeordneten anders.

Nicht nur die CDU, auch SPD-Minister Martin Dulig hat sich demonstrativ an die Seite der Pendler gestellt und für den Ausbau eine Nachmeldung im Bundesverkehrswegeplan angekündigt ...

Ich gebe auch der Nachmeldung von Verkehrsminister Martin Dulig in absehbarer Zeit keine Chance auf Umsetzung. Niemand wird den Verkehrswegeplan gleich wieder öffnen wollen. Ob die Nachmeldung überhaupt an der Pforte des Bundesverkehrsministeriums angenommen wird, ist aus meiner Sicht mehr als fraglich.

Warum?

Allein mit der derzeitigen Verkehrsbelastung lässt sich die Erweiterung der A4 auf sechs Fahrstreifen nicht begründen. Die Verkehrsbelegung fällt vom Autobahndreieck Dresden-Nord Richtung Osten deutlich ab. Im Dreieck Dresden-Nord werden 61000 Fahrzeuge am Tag registriert, an der Zählstelle in Burkau sind es noch 42500. Der vierstreifige Querschnitt der A4 ist aber für eine Kapazität von 70000 Fahrzeugen täglich ausgelegt und deshalb nicht dauerhaft überlastet. Für ein Projekt werden sicher nicht die Richtlinien geändert.

Die Pendler, die täglich auf der verstopften A4 unterwegs sind, interessieren die Richtlinien herzlich wenig. Was schlagen Sie stattdessen vor?

Eine kurzfristige Lösung für die auftretenden Staus bietet die Nutzung des Standstreifens bei erhöhtem Verkehrsaufkommen. Diese Forderung unterstütze ich ausdrücklich. Allerdings wurde bei dem deutlich stärker belasteten Abschnitt zwischen Dresden und Nossen eine Freigabe des Pannenstreifens noch abgelehnt vom Bundesverkehrsministerium und aus dem Verkehrswegeplan gestrichen. Eine Ertüchtigung der Standspur wie auf der A4 in der Oberlausitz sollte auch möglich sein, wenn kein späterer Ausbau geplant ist.

Immerhin haben die Verantwortlichen jetzt ein Überholverbot für Laster auf den Weg gebracht. Was bringt das?

Das angekündigte Überholverbot für Lastkraftwagen ist sinnvoll und muss jetzt zügig umgesetzt werden. Zu prüfen wären in diesem Zusammenhang ebenso die Auswirkungen auf den Verkehrsfluss bei einer durchgehenden Tempobegrenzung für den Pkw-Verkehr, so wie dies bereits in einigen Abschnitten der Fall ist.

Trotzdem: Die Prognosen sagen, dass allen voran der Lkw-Verkehr stark zunehmen wird. Ist der Ausbau der A4 da auf Dauer nicht unvermeidlich?

Die Lösung für die zunehmenden Lastwagenverkehre aus Osteuropa ist nicht mehr der Straßenbau. Ich denke, wir sollten bei der Verkehrspolitik im Bund andere Prioritäten setzen. Wir brauchen höhere Investitionen in die Schieneninfrastruktur, um somit deutlich mehr Kapazitäten für die Verlagerung von Verkehr auf die Schiene zu bekommen.

In Ostsachsen wird derzeit bereits viel Geld in den Ausbau der Bahnstrecke zwischen Hoyerswerda und Görlitz gesteckt ...

Mit der durchgehend zweigleisigen und elektrifizierten Niederschlesienmagistrale steht ein leistungsfähiger Schienenweg in den stark industrialisierten Süden Polens zur Verfügung. Mit der angedachten Fertigstellung 2018 wird ein wichtiger Meilenstein erreicht.

Denkbar wäre doch, dort künftig auch auf Waggons verladene Lkw langzuschicken. Die CDU-Landtagsabgeordneten brachten die Neuauflage einer „Rollenden Landstraße“ ins Spiel ...

Es verwundert mich schon sehr, dass gerade Unionspolitiker die Wiederaufnahme der unwirtschaftlichen „Rollenden Landstraße“ auf der Schiene fordern, nachdem dieses Angebot auf Betreiben der CDU-Landesregierung im Elbtal in Richtung Tschechien seinerzeit eingestellt wurde. Stattdessen brauchen wir Investitionen in innovative und wirtschaftliche Bahnangebote des kombinierten Verkehrs.

Wie sollen die denn aussehen?

Es gibt neue Technologien wie etwa den „Cargo Beamer“. Dabei werden die Auflieger vollautomatisch auf Züge verladen und ans Ziel gebracht. Für dieses System gibt es bereits Pilotanlagen. Der Ost-West-Verkehr auf der Schiene kann allerdings nur florieren, wenn auch auf beiden Seiten in die Verkehrsverlagerung investiert wird.

Polen hat unter anderem ja bereits in die Bahnstrecke von der Grenze nach Wroclaw investiert. Zwischen Görlitz und Dresden tut sich indes nichts ...

Wir brauchen tatsächlich endlich grünes Licht für dieses wichtige Bahnprojekt. Eine elektrifizierte Strecke zwischen Görlitz und Dresden wird die Schiene durch bessere Angebote für Pendler attraktiver machen – und somit auf diese Weise zur Entlastung der A 4 beitragen können.