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„Wir waren eine große Familie“

Karl-Heinz Effenberger war einer der erfolgreichsten Großenhainer Rollschnellläufer. Im Mai kommt er zur DM– als Gast.

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© Privatarchiv Effenberger

Von Thomas Riemer

Großenhain. Der Blick aus dem verglasten Außenfahrstuhl ist vielleicht der schönste, den Dresden zu bieten hat. Von links zieht er die Weinberge im Elbland hinein, der Flughafen Klotzsche am Horizont, in der Ferne die Erhebungen der Sächsischen Schweiz, davor die Stadtsilhouette. Nur kurz ist die Fahrt ins oberste Stockwerk, dann öffnet Karl-Heinz Effenberger die Wohnungstür. Hier, im Neubaublock von Dresden-Räcknitz, wohnt der frühere Großenhainer. Gemeinsam mit seiner Frau Ute, die so mancher in der Röderstadt vielleicht sogar noch unter ihrem Mädchennamen Januszewski kennt. „Effe“ hat im gemütlichen Wohnzimmer wertvolle und seltene Utensilien aus der gemeinsamen Zeit als Rollsportler aufgebaut: Holzrollen, Quad-Skater, daneben Fotoalben. Und ein Brett. „Das habe ich mir nach dem Tornado 2010 in Großenhain aus der Turnhalle gesichert“, sagt der 66-Jährige und schmunzelt. Damals wurde die alte Rollschnelllaufbahn komplett verwüstet, das Parkett in der benachbarten Halle bog sich wegen der Nässe nach oben.

Mindestens aller zwei Jahre holen Ute und Karl-Heinz Effenberger ihre Rollschuhe heraus, um mit Gleichgesinnten beim sogenannten Rekordmeeting in Erinnerungen zu schwelgen.
Mindestens aller zwei Jahre holen Ute und Karl-Heinz Effenberger ihre Rollschuhe heraus, um mit Gleichgesinnten beim sogenannten Rekordmeeting in Erinnerungen zu schwelgen. © Th. Riemer

Holzrollen vom Ahorn im Stadtpark

Die alte Anlage in Naundorf – viele Jahre war sie das zweite Zuhause Karl-Heinz Effenbergers. Zwischen 1968 und 1976 sammelte er bei Deutschen bzw. DDR-Meisterschaften Titel und Medaillen, wurde in seiner langen Laufbahn zwölfmal DDR-Meister. Dabei fand er eigentlich relativ spät zum Rollschnelllauf und auch nur eher durch Zufall, nachdem er sich vorher in diversen anderen Sportarten in seiner Heimatstadt probiert hatte. „Ich habe damals in Naundorf gewohnt, und mein Cousin hat mich überredet, mal mitzukommen“, erzählt Effenberger. Ihm gefiel’s – und schon zwei Jahre später, 1968, wurde er als Jugendlicher Drittbester der DDR auf der Heimbahn in Naundorf, wenngleich die Titelkämpfe damals tatsächlich noch „Deutsche Meisterschaft“ hießen. „Die Medaille war nicht vorauszusehen, auch wenn ich vorher schon ein paar ganz gute Plätze belegte“, sagt Effe. „Aber wir Großenhainer waren vielleicht technisch nicht die Besten, dafür athletisch toll ausgebildet.“ Er vergisst nicht, in diesem Zusammenhang seinen Trainer Walter Daubitz zu erwähnen. Das Resultat: Nicht nur „Effe“, sondern auch andere Großenhainer Rollsportler fuhren gleich reihenweise nationale Erfolge ein. Die Berufung in die in die Nationalmannschaft der DDR 1971 kam folgerichtig.

Gelaufen wurde auf herkömmlichen Rollschuhen, die Rollen waren – aus Holz. Wieder so eine Anekdote: „1968 bekam unser Verein die Genehmigung, im Stadtpark einen Ahorn zu fällen“, erzählt Karl-Heinz Effenberger. Das Holz wurde anschließend aufbereitet, getrocknet und vom damaligen Sektionsleiter Johannes Meißner zurecht gedrechselt. „Nach drei Jahren waren das dann richtig gute Rollen.“ Aber: Die Konkurrenz aus dem Ausland war den Ostdeutschen beim Material lange Zeit immer einen Schritt voraus. Bei einem Länderkampf in Großenhain 1971 „waren wir zwar absolut fit. Aber die Italiener, Franzosen und Belgier hatten schon Plasterollen, während wir – noch auf Holz – mehr weggerutscht sind“, erinnert sich der Nationalmannschaftskapitän. Heute unvorstellbar: Die Rollen wurden damals bei Bedarf während des Rennens gewechselt. Die „Ersatzteile“ waren bei den langen Kanten über 20000 Meter am Mann. Wenn die Gelegenheit „günstig“ war, wurden die Rollen im Laufen vom Schuh gezogen, die neue draufgesteckt – fertig. „Da hat man mal vier, fünf Meter verloren, mehr nicht“, sagt „Effe“ und schmunzelt wieder. Aber es gab auch andere „Raffinessen“. Wenn zum Beispiel die sieggewohnten Italiener ihre Felle wegschwimmen sahen, griffen sie zu einem besonderen „Hilfsmittel. „Die haben auch mal in einer Kurve die Schnürsenkel der Konkurrenz beim Fahren aufgerissen“, plaudert „Effe“ aus dem Nähkästchen. Helmpflicht, so wie heute, bestand übrigens nicht ... Dass er in dieser Zeit sogar mal Bezirksmeister im Eisschnelllauf war, erwähnt er eher am Rande. „Die Schlittschuhe von damals hab ich noch.“ Trainiert wurde übrigens auf dem Eis von Naundorf. Die Bahn erhielt eine Eisschicht, wenn es die Temperaturen zuließen.

Die große Liebe beim Sport gefunden

1973, im November, der Einschnitt ins Sportlerleben. Da wurde den DDR-Rollsportlern verkündet, dass es für sie keine internationalen Wettkämpfe mehr geben wird. Die Staatsführung hatte beschlossen, nichtolympische Sportarten aus der Förderung herauszunehmen. Karl-Heinz Effenberger blieb seinem Sport trotzdem treu. Im gleichen Jahr hatten er und seine Frau Ute zusammengefunden – natürlich durch den Rollsport. Ute war als frühere Rollkunstläuferin in Stendal auf den Rennsport umgestiegen, feierte für ihren Verein ebenfalls große Erfolge. „Man hat sich auf jedes Wochenende gefreut, an dem man sich bei den Wettkämpfen getroffen hat“, blickt sie zurück. 1976 wurde schließlich geheiratet, beide hängten die Rollschuhe an den Nagel – Karl-Heinz aber nur auf Zeit. Übrigens: Eine Rollsport-Ehe Großenhain-Stendal war keine Ausnahme. Auch Effenbergers langjähriger und nicht minder erfolgreicher Konkurrent Werner Kowatsch ist mit einer Stendalerin verheiratet.

Familie Effenberger wurde in Dresden heimisch, vor allem beruflich bedingt. Karl-Heinz arbeitete als Wissenschaftler, Ute als Sekretärin in der Technischen Universität. Vom aktiven Rollsport kam zumindest er aber nicht los. 1979 ging er für eine Sportgemeinschaft in Dresden wieder auf den Asphalt – und wurde in Stendal gleich wieder Zweiter bei der DDR-Meisterschaft. 1982 war wieder einmal vermeintlich Schluss als Aktiver, „Effe“ engagierte sich als Trainer und Kampfrichter. Nach der Wende zog es ihn nochmals auf die Bahn, 1995 stieg er sogar auf die modernen Inliner um und lief 2007 sein endgültig letztes Rennen bei den Senioren für die Speedskate-Abteilung des Eislaufvereins Dresden.

Die Bindung nach Großenhain ist mit der Zeit ein wenig abhanden gegangen. Die Erfolge der jüngeren Vergangenheit von Sportlern des Großenhainer Rollsportvereins kennt Karl-Heinz Effenberger vor allem aus Internetberichten. Die neue Bahn, auf der im Mai die Deutschen Meisterschaften ausgetragen werden, kennt er, ist aber nie dort gelaufen. „Im Mai sind wir auf jeden Fall als Zuschauer dabei“, sagen Effenbergers fast im gleichen Atemzug und freuen sich auf das Wiedersehen mit der Heimat und einstigen Mitstreitern.

Den Rollschuhen sind Ute und Karl-Heinz dennoch auf ihre Weise treu geblieben. Aller zwei Jahre treffen sie sich mit „Ehemaligen“ zu einem sogenannten Rekordmeeting. Dann richten sie ihre Wettkämpfe auf Rollschuhen aus, reden über alte und auch die neuen Skater-Generationen. Dass die Sportler von heute ganz andere Möglichkeiten inklusive Reisen ins Ausland haben, grämt sie nicht. „Unsere Zeit ist vorbei. Aber wir hatten eine richtig tolle Jugend“, sagt Ute Effenberger. Karl-Heinz zögert kurz und ergänzt: „Wir waren eine richtig große Familie.“