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Wirbel um Fundhund

Der ausgesetzte Sultan ist immer noch im Tierheim. Zuvor hatte er mit einem Riesaer eine Odyssee durchgemacht.

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© Lutz Weidler

Von Christoph Scharf

Riesa. Das Positive vorneweg: Fundhund Sultan geht es gut. Das Tier, das nachts am Tierheim angebunden worden war und sich losgerissen hatte (SZ berichtete) wurde mittlerweile vom Tierarzt untersucht. Bis auf ein kleines Hüftproblem ist alles in Ordnung, sagt Tierheim-Chef Uwe Brestel. Das hätte auch anders ausgehen können, wie jetzt herauskam: Denn der Schäferhund hatte vor seiner Einlieferung ins Tierheim eine wahre Odyssee hinter sich, sagt der Riesaer Jens Kirsch, der Sultan in jener Augustnacht aufgelesen hat.

„Der Hund kam mir nachts halb elf am Alten Pausitzer Weg entgegen, als ich von Schicht kam“, sagt der 22-Jährige. „Er war schwer zu erkennen und hat Glück gehabt, dass ich ihn nicht angefahren habe.“ Der Riesaer hielt an. Ein zweiter Autofahrer stoppte und rief die Polizei, weil das Mobiltelefon von Jens Kirsch in dem Moment streikte. Der Polizist sagte demnach, sie würden einen Wagen schicken – allerdings passierte nichts. „Nach zwei Stunden Warten wurde mir beim dritten Anruf gesagt, die Polizei habe Wichtigeres zu tun.“

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Darauf versuchte es Jens Kirsch per 112 bei der Feuerwehr und landete bei der Leitstelle in Dresden. „Dort hieß es, dass die Feuerwehr in Riesa keine Autos habe, um einen Hund aufzunehmen“, sagt der 22-Jährige.

Weil er noch immer mit dem Hund in der Nacht stand, probierte er nun, Tierärzte anzurufen. Per Bandansage bekam er die Nummern des zuständigen Bereitschaftstierarztes. „Dort habe ich auf der Festnetz- und der Mobilnummer Sturm geklingelt, vergeblich“, erinnert sich der Riesaer. Was tun? Kirsch rief nochmals bei der Polizei an. „Die sagten, ich solle Geduld haben. Ich habe geantwortet, ich kann nicht ewig warten, ich muss zur zweiten Schicht.“

Nun blieb nur noch die Idee, den streunenden Hund selbst über Nacht aufzunehmen. Jens Kirsch alarmierte seine Mutter, die ein größeres Auto hat. Sie kam. Dann dauerte es eine gefühlte halbe Stunde, bis der Hund auf die Rücksitzbank stieg. Zwischenzeitlich rief der Finder noch mal beim Tierarzt an. Vergeblich. Dann fuhren die beiden den Hund zur Wohnung des jungen Mannes. Allerdings wollte das Tier keine Treppen steigen – womöglich wegen des Hüftproblems. Mittlerweile waren mehr als vier Stunden vergangen, es war schon halb drei Uhr morgens.

Nun suchte Jens Kirsch im Internet nach einer Nummer für das Tierheim und fand die Mobilnummer des Chefs. Den klingelte er raus – und bekam die Auskunft, dass in Riesa in solchen Fällen die Feuerwehr zuständig ist. „Wir haben einen Vertrag mit der Feuerwehr“, sagt Tierheim-Chef Uwe Brestel – ein Fakt, von dem man bei der Leitstelle, die sich unter der 112 meldet, offenbar nichts wusste. „Tatsächlich hat die Feuerwehr einen Schlüssel für das Riesaer Tierheim, wo ein Zwinger getrennt für Katzen und Hunde für solche Fälle bereitsteht, der auch mit Futter und Wasser ausgestattet ist.“ Kirsch rief also direkt danach noch einmal bei der Feuerwehr an und verwies auf das Gespräch mit dem Tierheimleiter. Dann klappte es plötzlich: Um drei Uhr kam dann doch die Feuerwehr, um den Hund mitzunehmen.

Jens Kirsch kann sich an diese Nacht besonders gut erinnern. Denn es war die Nacht zu seinem Geburtstag. Mittlerweile ist der 22-Jährige, der selbst keinen Hund hat, mehrfach mit Sultan vom Tierheim aus Gassi gegangen. Eines ärgert ihn besonders: „Wie kann das sein, dass der Tierarzt-Notdienst nachts nicht zu erreichen ist?“ Erst früh am Morgen habe er einen Rückruf von der betreffenden Praxis bekommen, ob es noch ein Problem gäbe. „Was wäre gewesen, wenn es ein Notfall gewesen wäre“, ärgert sich der Riesaer.

Tierärztin Heike Möbius aus Naundorf, die in der Region den Tierarzt-Notdienst unter den Praxen koordiniert, will dem Fall nachgehen. „So was darf nicht sein – auch wenn der Tierarzt in dem Fall gar nicht zuständig gewesen wäre.“ Tierärzte seien für verletzte Haustiere zuständig – für Fundtiere stets die Gemeinden. Riesa hat deshalb einen Vertrag mit dem Tierheim, das Tierheim einen mit der Riesaer Feuerwehr. Nur schwierig, wenn das keiner weiß.