Sachsens Gelbe Engel feiern Geburtstag. Vor 30 Jahren ist der Regionalklub des ADAC gegründet worden. Seitdem hat der Klub im Freistaat über 2,5 Millionen Panneneinsätze geleistet. Das durch Skandale eingebüßte Vertrauen sei zurückgewonnen worden, sagt Klaus Klötzner, Chef des ADAC Sachsen, im Interview mit der SZ. Sein Blick nach vorn fällt aber nicht nur optimistisch aus.
Herr Klötzner, haben Sie dem ADFC Sachsen schon gratuliert?
Nein, wieso?
Die Radfahrer haben vor wenigen Tagen ebenfalls 30-jähriges Bestehen gefeiert.
Kann gut sein, dass ich da noch eine Zuarbeit meines Sekretariats bekomme und mir das demnächst auf den Tisch flattert.
Ich frage deshalb, weil der ADAC im Oktober eine Untersuchung zur Qualität von Radwegen in deutschen Großstädten veröffentlicht hat. Wollen Sie dem ADFC Konkurrenz machen?
Nein. Aber wir beschäftigen uns schon seit 30 Jahren mit der Sicherheit im Radverkehr, speziell für Kinder und Jugendliche. 1991 haben wir mit zwölf Jugendfahrradturnieren begonnen und dieses Engagement über die Jahre immer weiter ausgebaut. Es gibt keinen anderen ADAC-Regionalklub in Deutschland, der so viel für die Verkehrserziehung junger Radfahrer tut.
Sie sehen sich also – wie der ADFC – als Interessenvertreter der Radfahrer?
Ja, durchaus. Und darüber hinaus für alle mobilen Menschen.
Einer Ihrer Vorstandskollegen hat vor einiger Zeit ein besseres Miteinander von Auto- und Radfahrern angemahnt – und als Negativbeispiel Nebeneinanderradeln genannt, was den nachfolgenden Verkehr blockiere. Ist das wirklich das dringlichste Problem? Oder müssten nicht auch Autofahrer rücksichtsvoller werden? Zum Beispiel, indem sie sich an Tempolimits halten?
An Paragraf 1 der StVO hat sich nichts geändert. Dort ist die Rede von „Vorsicht und gegenseitiger Rücksichtnahme“. Jeder Auto- und Radfahrer muss sich zunächst an die eigene Nase fassen. Natürlich ist das Konfliktpotenzial im ländlichen Raum nicht so groß wie in der Stadt. Was ich da schon in Berlin erlebt habe... Da fahre ich langsam auf einer Vorfahrtsstraße, ein Radfahrer schneidet mich, und als Dank knallt er mir die flache Hand aufs Dach. Das ist die eine Seite. Wenn aber auf der anderen Seite Autofahrer damit anfangen, Radfahrer anzuhupen, ist das auch nicht besser.

Wofür plädieren Sie?
Wir alle müssen gemeinsam eine vernünftige Infrastruktur schaffen. Dabei spielen Kommunen eine zentrale Rolle. Ich sitze im Stadtrat von Glauchau. Mein Eindruck, den ich dort bekomme: Wir planen Straßen immer noch wie vor 40 Jahren. In der kommunalen Straßenplanung tun wir uns sehr schwer, auch die Radfahrer-Interessen umzusetzen. Es müssen aber auch die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden, damit anders geplant werden kann. Ich halte es für den falschen Weg, einen weißen Strich auf die Straße zu malen, um Radfahrern damit Sicherheit zu suggerieren. Das kann allenfalls eine Übergangslösung sein.
Mit dem weißen Strich bekämen Radfahrer aber erst einmal mehr Platz.
Ja. Wobei man sagen muss: Die aktuelle Verkehrsproblematik ist komplex. Nehmen wir den CO2-Ausstoß: Die Stadt Düsseldorf beispielsweise hat einen Radweg in die Busspur verlegt. Was war das Ergebnis? Der Bus musste hinter den Fahrrädern herzuckeln. Beim Blick auf die CO2-Bilanz eines untertourig gefahrenen Diesels stellt man fest, dass man mit dieser Maßnahme gar nichts erreicht. Also wird sie wieder rückgängig gemacht. Wir müssen den Verkehr insgesamt fließend halten und gleichzeitig auf Radfahrer Rücksicht nehmen.
Stimmen Sie zu, dass der ADAC in der öffentlichen Wahrnehmung eher als Lobby der Autofahrer auffällt?
Diese Rolle wird uns von den Medien zugeschrieben. Wobei der Vorläufer des Klubs 1903 als Selbsthilfeorganisation von Motorradfahrern gegründet und erst 1911 zum ADAC umgewandelt wurde. Nun vollziehen wir seit einigen Jahren den Wandel zum Mobilitätsklub.
Was ist die Kernkompetenz des ADAC?
Der Klub wird nach wie vor als Mobilitätshelfer gesehen. Das sind die Gelben Engel, die im Pannenfall ausrücken. Dieser Service ist der Grund, warum die Leute bei uns Mitglied werden und bleiben. Auch die Luftrettung und der Krankenrücktransport gehören zu unseren Kernleistungen. Danach kommen die vielfältigen anderen Angebote wie Reisebüros oder Versicherungsberatung. Gerade in Sachsen spielt aber auch der Motorsport eine wichtige Rolle.
Wie haben sich die Mitgliederzahlen des ADAC seit 1990 entwickelt?
Nahezu stetig nach oben. 2019 hatten wir in Sachsen rund 822.500 Mitglieder. Ende 2020 werden es wohl 6.000 weniger sein.
Bedingt durch die Coronakrise, weil viele weniger Auto gefahren sind und sich auch den Beitrag sparen wollen? Oder gab es andere Gründe?
Es grenzt an ein Wunder, dass angesichts der demografischen Entwicklung die Mitgliederzahlen in Sachsen so lange gestiegen sind. Da gibt es im Moment auch den einen oder anderen, der erwägt, sein Auto ganz abzuschaffen. Alle, die weiter auf ihren Pkw angewiesen sind, konnten sich ja auch den Beitrag stunden lassen. Ich will nicht verschweigen, dass auch die im Frühjahr angehobenen Beiträge für Kündigungen gesorgt haben. Bundesweit hat uns das aber nur marginal Mitglieder gekostet. Da hatte die Glaubwürdigkeitskrise 2014 (u. a. nach Manipulationen beim Autopreis Gelber Engel, Anm. d. Red.) stärkere Auswirkungen. Inzwischen ist das Vertrauen aber wieder hergestellt.
Woran machen Sie das fest?
Der ADAC bietet derzeit an, dass die Gelben Engel als Schlüsseldienst beansprucht werden können, wenn eine Wohnungstür geöffnet werden muss. Dieses Projekt läuft in München, Hamburg und Berlin und wird sukzessive ausgebaut. In Sachsen wird dieser Service ab 2021 angeboten. Es zeigt sich aber schon: Die Bürger vertrauen darauf, dass jemand, der ihnen ihr Auto repariert, auch zu einem fairen Preis die Tür öffnet. Mit solchen Dienstleistungen erfindet sich der ADAC teilweise neu.
Wie ist der ADAC Sachsen bislang durch die Coronakrise gekommen?
In unseren Geschäftsstellen und in der Verwaltung in Dresden haben wir Schichtbetrieb eingeführt. Die Teams in den relevanten Bereichen sind sich dadurch kaum begegnet. Wir haben alle unsere Leistungen weiterhin erbracht, unseren Telefonservice sogar noch ausgeweitet. Wehgetan haben mir die vielen abgesagten Motorsportveranstaltungen. Da steckt viel Kraft und Herzblut unserer Ehrenamtler drin. Meist sind solche Motorsportwettbewerbe ein Höhepunkt für den jeweiligen Ortsklub. Auch die längeren Schließzeiten des Verkehrssicherheitszentrums am Sachsenring und der Motorsportarena Mülsen waren nicht schön für uns.
Das Gespräch führte Andreas Rentsch.