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EuGH: Abgas-Software in Dieselautos illegal

Geschönte Abgastestwerte waren der Auslöser des Diesel-Skandals. Jetzt hat der Europäische Gerichtshof ein richtungsweisendes Urteil gefällt.

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Der EuGH entschied, dass ein Hersteller keine Abschalteinrichtung einbauen darf, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen verbessert.
Der EuGH entschied, dass ein Hersteller keine Abschalteinrichtung einbauen darf, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen verbessert. © Frank Rumpenhorst/dpa

Von Jan Petermann und Verena Schmitt-Roschmann

Luxemburg/Karlsruhe. Millionen Autos in der EU sind mit illegaler Abgas-Software unterwegs. Dies stellte nun auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) als höchste juristische Instanz fest. Über fünf Jahre nach dem Auffliegen des VW-Dieselskandals urteilten die Luxemburger Richter am Donnerstag: Es ist nicht zulässig, wenn Hersteller sogenannte Abschalteinrichtungen einbauen, die dazu führen, dass die Fahrzeuge - bei voller Reinigung in Testsituationen - auf der Straße ein Vielfaches an Schadstoffen in die Luft blasen.

Anders als in der "Dieselgate"-Affäre bei Volkswagen geht es nicht um vorsätzliche Manipulationen, sondern um die umstrittene Auslegung rechtlicher Spielräume, die den Schutz von Bauteilen in älteren Autos betreffen. Ob Verbraucher möglicherweise auch hier Chancen auf Entschädigung haben, müssen nationale Gerichte klären. Im VW-Skandal selbst haben Dieselfahrer, die erst ab 2019 klagten, laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) keine Aussicht auf Schadenersatz.

Nach Auffassung des EuGH dürfen Autos keine Software haben, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Emissionskontrolle verbessern. Auch weniger Motorverschleiß könne deren Einsatz nicht rechtfertigen. Die Grünen forderten Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) auf, Autobesitzern die Möglichkeit zu geben, solche Systeme entfernen zu lassen. Laut Ministerium ändert sich in Deutschland rechtlich nichts.

Argument "Motorschutz" vorgeschoben

Im September 2015 war aufgeflogen, dass Volkswagen mit versteckten Programm-Codes Abgaswerte auf dem Prüfstand geschönt hatte. Die Folge waren Schadenersatz-Forderungen in Milliardenhöhe und eine weltweite Klagewelle. Hintergrund des EuGH-Verfahrens war nun ein Fall aus Frankreich, wo gegen einen Hersteller wegen arglistiger Täuschung ermittelt wird - VW bestätigte, dass es um seine Fahrzeuge geht.

Eine Abschalteinrichtung ist eine Software in der Steuerung von Motor und Katalysator, die die volle Abgasreinigung in einigen Situationen aussetzt. Es gibt Bedingungen, unter denen so etwas durchaus zulässig ist - etwa, um bei niedrigen Temperaturen empfindliche Bauteile zu schonen. Man spricht dann von Thermofenstern, und nur innerhalb dieser Bereiche werden etwa giftige Stickoxide vollständig gefiltert. Viele Umweltschützer kritisieren das als Schlupfloch: Sie meinen, das Argument "Motorschutz" werde oft nur vorgeschoben - eigentlich gehe es darum, so Ausnahmen von Emissionsgrenzwerten zu rechtfertigen.

Der Streit führte auch schon zu einem Verfahren der EU-Kommission gegen Deutschland. Ein Rechtsgutachten des Bundestags stellte die Praxis ebenfalls infrage. Manche Abschalteinrichtungen lassen sich auch so programmieren, dass die Reinigung nach bestimmten Fahrzeiten oder bei bestimmten Drehzahlen und Luftdrücken gedrosselt wird.

Der EuGH hatte zweierlei zu klären: Handelt es sich bei der Software im Fall der französischen Klage um eine Abschalteinrichtung? Diese sind laut EU-Recht grundsätzlich verboten. Es gibt aber Ausnahmen, wenn die Software nötig ist, "um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen" oder "den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten". Fällt die betreffende Software unter diese Ausnahme?

Rekord-Rückrufwellen erwartet

Die Richter bejahten die erste Frage - und legten die Ausnahmeregel eng aus. Um eine Abschalteinrichtung zu rechtfertigen, müsse diese vor "plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden" schützen. Es gehe um "unmittelbare Beschädigungsrisiken", die bei der Fahrt zu konkreter Gefahr führen könnten. Nicht ausreichend sei die Begründung, Verschleiß oder Verschmutzung des Motors würden an sich verhindert.

Potenziell richtungsentscheidend ist dies, weil die Definition von "Motorschutz" für die ganze Autobranche eine zentrale Frage ist. Der auf Klagen im Dieselskandal spezialisierte Potsdamer Anwalt Claus Goldenstein meinte, das Thema hole nun fast alle Anbieter ein: "Der Automobilindustrie drohen Rekord-Rückruf- und -Klagewellen." Etliche Kanzleien verdienen freilich auch gut an den zahlreichen Verfahren.

Volkswagen erklärte hingegen, die Richter hätten "keine generelle Bewertung zur Zulässigkeit einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung" vorgenommen. Ob ein Thermofenster im Einzelfall zulässig sei, müsse national entschieden werden. "Kundenklagen gegen Hersteller wegen eines angeblich unzulässigen Thermofensters sind erfolglos und werden erfolglos bleiben." Auch zu Fällen bei anderen Herstellern hatten Gerichte den EuGH um eine Auslegung gebeten.

Im Fall deutscher Entschädigungsklagen gegen den VW-Konzern wegen des heimlichen Einsatzes einer Täuschungs-Software ("defeat device"), die im September 2015 den Abgasskandal auslöste, dämpfte der BGH die Hoffnung auf Schadenersatz bei einem späten Verfahrensbeginn. Weil das Problem seit dem Herbst 2015 öffentlich bekannt war, sei Ende 2018 nach Ablauf der regulären Drei-Jahres-Frist die Verjährung eingetreten. Dies erklärten die Karlsruhe Richter ebenfalls am Donnerstag nach der Analyse eines Musterfalls aus Baden-Württemberg.

Klagechancen für deutsche Verbraucher?

Schon Ende 2015 hätten Kläger mit Aussicht auf Erfolg vor Gericht ziehen können. Laut VW sind noch rund 9.000 Verfahren offen, in denen erst 2019 oder 2020 geklagt wurde. Die Fälle sind aber teils anders gelagert, denn oft ist umstritten, was die Kläger 2015 schon wussten. Im neuen Jahr soll es daher eine weitere Verhandlung geben.

Nach dem EuGH-Spruch zur Abschalt-Software sehen Verbraucherschützer durchaus Ansatzpunkte. "Das Kraftfahrt-Bundesamt muss schnellstens klären, welche Folgen das Urteil für die Verbraucher hat, etwa für die Zulassung der Fahrzeuge oder ob es zu verpflichtenden Rückrufen kommen wird", sagte vzbv-Chef Klaus Müller. Der Autoverband VDA verwies darauf, dass bei modernen Motoren die Emissionen durch Elektronik gesteuert würden. "Der EuGH hat klargestellt, dass das weiterhin möglich ist, wenn es der Sicherheit des Motors und der Insassen dient." Die Verbesserung des Emissionsverhaltens auf dem Prüfstand sei jedoch unzulässig. "Das wird auch nicht mehr gemacht."

Der ADAC interpretierte das Luxemburger Urteil als Stärkung der Verbraucher: "Hersteller, die noch Thermofenster in ihren Modellen verbaut haben, müssen bei den Systemen zur Abgasreinigung nun nachsteuern." Dies bedeute aber nicht, dass die Kunden den Autokauf "automatisch rückabwickeln oder Schadensersatz fordern können." Das Bundesverkehrsministerium versicherte: "Die Auslegung des EuGH entspricht der deutschen Rechtsauffassung. Sie bestätigt die bisherige Anwendung der europäischen Vorschriften durch das KBA und das Vorgehen der Untersuchungskommission "Volkswagen"." (dpa)