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Turow-Vertrag: Wer kümmert sich um Zittaus Interessen?

Zittau hätte von einem EuGH-Urteil profitieren können. Nun ist alles anders und die Stadt sucht Verbündete gegen Bodensenkungen und Umweltprobleme.

Von Anja Beutler
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Auch wenn Grube und Kraftwerk jenseits der Grenze stehen - Auswirkungen wird es auch auf deutscher Seite geben.
Auch wenn Grube und Kraftwerk jenseits der Grenze stehen - Auswirkungen wird es auch auf deutscher Seite geben. © Matthias Weber/photoweber.de

So schön es auch ist, dass sich zwei Nachbarn wieder verstehen: Das Ende des Streits um den Kohleabbau in Turow mit einem Vertrag zwischen Polen und Tschechien ist für die Stadt Zittau eine ungünstige Konstellation. Denn die außergerichtliche Einigung, die von beiden Staaten am 3. Februar bekannt gegeben wurde, lässt die Sorgen Zittaus nun in den Schatten treten. Wer hilft der Stadt nun bei den Problemen, die es im Zusammenhang mit dem Bergbau zu klären gibt?

Bislang hatte sich Zittau durchaus Chancen ausgerechnet, von einem Urteil zur tschechischen Staatenklage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu profitieren. Immerhin hatte sowohl die EU-Kommission im Vorfeld bereits festgestellt, dass sich Polen bei der Lizenzverlängerung von Turow nicht an die geltenden EU-Gesetze gehalten hatte. Gleiches bestätigte auch der EuGH-Generalanwalt Priit Pikamäe in seinem Schlussantrag zu dem Verfahren. Bei einem entsprechenden Urteil wäre es also sehr wahrscheinlich gewesen, dass Polen das Verfahren noch einmal hätte korrekt durchführen müssen, wobei auch die deutschen und damit Zittauer Bedenken hätten mit betrachtet werden müssen. So skizziert es auch eine Informationsvorlage aus dem städtischen Zittauer Referat für Stadtplanung in der jüngsten Ratssitzung.

Doch dieser - vergleichsweise direkte Weg - ist nun hinfällig. Polen und Tschechien haben den EuGH über ihre Einigung in Kenntnis gesetzt und damit die Streichung des Verfahrens beantragt. Wie also weiter ohne Druck von der EU? Wie sich mit den Sorgen um abnehmendes und verschmutztes Grundwasser, Lärm, Staub und Gebäudeschäden in der Stadt durch absehbare Bodenbewegungen Gehör verschaffen? Das jüngst im Stadtrat vorgelegte Papier zeigt dazu vor allem "politische Überzeugungsarbeit", "räumliche und zeitliche Erfassung von Gebäudeschäden" und - bei guter Grundlage - die Möglichkeit einer Klage auf.

Besser wäre es freilich, Zittau erhielte Hilfe von einflussreicherer Stelle. Wie dabei die Chancen liegen, hier in der Übersicht:

Bundesumweltministerium: Sorgen sind bekannt

Auch wenn ohne den Bund auf zwischenstaatlicher Ebene nichts geht - der Schlüssel zur Lösung liegt nicht in Berlin, betont das Bundesumweltministerium. Die effektivste Hilfe sei beim Freistaat zu suchen. Dennoch habe und werde man in "bilateralen Gesprächen darauf hinweisen, dass die Umweltbelange auf deutscher Seite von Polen zu berücksichtigen sind". Zittaus Bitte um Unterstützung ist dem Ministerium bekannt: "Der Oberbürgermeister der Stadt Zittau hat sich zuletzt schriftlich im Juli 2021 an das Ministerium gewandt und um Unterstützung gebeten", bestätigt ein Sprecher. Man habe zugesagt, diese Bedenken gegenüber der Republik Polen deutlich zu machen. Das sei bereits erfolgt. Turow soll aber auch beim ersten Zusammentreffen von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) mit ihrer polnischen Amtskollegin Anna Moskwa am 22. Februar in Warschau thematisiert werden.

Oberbergamt: Keine besorgniserregenden Entwicklungen

Mit der polnischen Seite hatte in Sachen Umweltverträglichkeitsprüfung bislang das Oberbergamt des Freistaates verhandelt. Oberberghauptmann Berhard Cramer hatte der SZ dabei bereits erklärt, dass man mit Blick auf Bodensenkungen keine neuen, besorgniserregenden Erkenntnisse habe. Polen habe im bisherigen Verfahren zur Lizenzverlängerung für Turow weitere Angaben gemacht. Mit Blick auf die aus eigenen Messungen und Einschätzungen ersichtlichen Daten sei davon auszugehen, dass sich durch die Erweiterung der Grube "der Senkungsverlauf nicht wesentlich verändern wird". Genau das aber befürchtet man in Zittau, vor allem nach zwei kritischen Gutachten des Geologen und Geochemikers Ralf Krupp.

Sächsische Ministerien: Derzeit noch in Abstimmung

Als endgültige Absage an eine Unterstützung durch den Freistaat wollen die derzeit beim Thema Turow involvierten Ministerien das aber nicht sehen. Sowohl das Umwelt- als auch das Wirtschafts- und das Justizministerium haben das Thema auf dem Tisch. Sie stimmen sich derzeit über das weitere Vorgehen ab, die neusten Entwicklungen im Zusammenhang mit der Einigung zwischen den Nachbarländern sind noch zu frisch.

Justiz: Gerichtsurteil aus Polen könnte helfen

Eine Ebene, die nun in den Vordergrund rückt, sind Klagen gegen die bis 2044 ausgesprochene Lizenzverlängerung für Turow. Erst vor rund einer Woche hatte das Woiwodschafts-Verwaltungsgericht in Warschau mit seinem Urteil die Abbaugenehmigung für die Kohlegrube Turow bis 2044 blockiert. Hier war beanstandet worden, dass die durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung bereits in Kraft gesetzt worden war, obwohl eigentlich noch Widerspruchs- und Einspruchsfristen liefen. Das erklärt Anwältin Petra Urbanova, die für die Anwaltsorganisation Frank Bold arbeitet, die sich auf Umweltthemen spezialisiert und mit weiteren Vereinigungen sowie Greenpeace gegen dieses Vorgehen geklagt hatte. Bergbaubetreiber PGE muss das Verfahren nun sauber beenden. Weitere Klagen gegen Turow - so heißt es - laufen aktuell auch vor polnischen Gerichten. Auch Sachsen wollte sich hier engagieren.

EU-Kommission: Rechtsverstöße aufarbeiten

Eigentlich sollten die polnischen Rechtsverstöße durch das EuGH-Urteil sanktioniert werden. Da es dazu nun nicht kommen wird, steht die Frage, wie sich die EU-Kommission nun verhalten wird. Einen anderen juristischen Weg suchen? Polen zur Wiederholung des beanstandeten Verfahrens auffordern? "Das ist noch nicht entschieden, zunächst muss die EU-Kommission genauere Kenntnis über den Vertrag zwischen Polen und Tschechien erhalten", erklärt eine Sprecherin der EU-Kommission in Berlin. Danach werde entschieden.