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Der harte Kampf um die Köpfe

Wegen der Personalnot rücken Aus- und Weiterbildung, Zuwanderung und das Graue Gold in den Fokus. Doch über allem steht Wertschätzung.

Von Michael Rothe
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Solch unkonventionellen Stellenanzeigen sind im Dresdner Stadtbild zunehmend zu finden. Bei Dienstleistern ist die Personalnot am größten, aber auch das Handwerk leidet.
Solch unkonventionellen Stellenanzeigen sind im Dresdner Stadtbild zunehmend zu finden. Bei Dienstleistern ist die Personalnot am größten, aber auch das Handwerk leidet. © Georg Moeritz

Alles hat seinen Preis. Und was knapp ist, ist am teuersten. So will es der Markt. Das rarste Gut in der deutschen Wirtschaft sind Fachkräfte. Gut jedes zweite Unternehmen kann offene Stellen nicht mehr besetzen. Vor allem Dienstleistern – etwa in der Gastronomie und im Transportgewerbe – fehlt Personal, in der Industrie ist die Not nicht ganz so groß. Noch nicht.

Die Babyboomer gehen in Rente, dem Arbeitsmarkt fehlen bis 2035 rund sieben Millionen Menschen. Vorhersehbar durch die Demografie hat Corona den Mangel noch verstärkt. Niedriglohnbranchen beklagen Abwanderung, erst recht in Zeiten hoher Inflation.

Das Blatt hat sich gewendet. Heute müssen sich die Chefs bei den Mitarbeitenden bewerben. Und die erkennen, was Sie und ihre Arbeit wert sind – und ihre Macht. Einer repräsentativen Forsa-Umfrage zufolge können sich knapp vier von zehn Beschäftigten vorstellen, ihren Arbeitgeber zu wechseln. In der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen spielt sogar fast jede/r Zweite (48 Prozent) mit diesem Gedanken.

Aber warum kündigen Beschäftigte? Laut Arbeitgeberportal Kununu rangiert Geld als Grund erst an 4. Stelle. Davor: attraktiveres Tätigkeitsfeld, bessere Work-Life-Balance – und ganz vorn: das Führungsverhalten. In der Krise zeigt sich, welcher Chef etwas taugt. Alleinherrscher haben es schwer. Quiet Quittung, die stille Kündigung mit Dienst nach Vorschrift, wird bei Unzufriedenen zum Modewort.

Der Kampf um die Köpfe tobt. „Wer den Wettbewerb gewinnen will, muss aktiv und attraktiv werden“, heißt es vom DGB. Mitarbeiterversteher werden gesucht, sinnstiftende Jobs mit guter Bezahlung und Entwicklungschancen. Mancherorts halten 4-Tage-Woche und 5-Stunden-Tag Einzug. Und es geht, sogar bei vollem Lohnausgleich.

Dennoch sorgt sich das Arbeitgeberlager um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, lästert mancher über eine Wohlfühloase, weil die Bereitschaft sinkt, der Karriere alle Bedürfnisse zu opfern. Workation, also Homeoffice mit Meeresbrise, oder Gig-Working, befristete Kleinaufträge, sind neue Reizworte.

Es geht um Wichtigeres als um Mittagsschlaf für Beamte

Wichtiger als Mittagsschlaf für Beamte, wie ihn ein Leipziger Stadtrat unlängst einforderte, ist ein Job, „der den Fähigkeiten und Neigungen entspricht, eine unbefristete und möglichst sichere Anstellung, ein faires Gehalt, die Chance sich weiterqualifizieren und intern entwickeln zu können sowie ein angenehmes Betriebsklima“ bringt es der Dresdner IHK-Präsident Andreas Sperl auf den Punkt.

Wie verteilen wir die Arbeit? Offene Stellen lassen sich nur begrenzt durch die 2,5 Millionen Arbeitslosen besetzen, denn die Hälfte ist nur als Helfer qualifiziert. Können Technologien und Digitalisierung Tätigkeiten abnehmen und Personal sparen helfen? Zur Lösung des Problems sehen Experten Aus- und Weiterbildung als den zentralen Schlüssel. Noch verlässt jede/r Zehnte die Schule ohne Abschluss.

Die Fachleute sind sich einig: Ohne gezielte Zuwanderung ausländischer Fachkräfte – zu fairen Bedingungen und nicht zu Dumpinglöhnen – lässt sich Lücke hierzulande kurzfristig nicht schließen. Dafür braucht es Geld, weniger Bürokratie und eine entsprechende Willkommenskultur. Stattdessen schiebt der Freistaat gut ausgebildete und über Jahre integrierte Menschen lieber wieder ab. Zudem wird das „graue Gold“ immer wertvoller. Die Alten und ihr Wissen sind ein ungehobener Schatz.

Das Zauberwort aber heißt „Wertschätzung“, wie auf der Tagung der Fachkräfteallianz immer wieder betont. Im Freistaat werden die bundesweit niedrigsten Löhne gezahlt, ist die Tarifbindung am geringsten. Sachsens Arbeitgeberpräsident Jörg Brückner fordert indes den Ruhestand ab 70, die Rücknahme der abschlagsfreien Rente mit 63, weniger Feiertage. „Nicht der Osten arbeitet zu lange, sondern der Westen zu kurz“, so Brückner, der auch Bildungsurlaub ablehnt.

Im Freistaat muss sich was tun. Laut DGB-Index haben 57 Prozent der Deutschen eine „gute Arbeit“, in Sachsen sagen das 43 Prozent der Beschäftigten von sich. Unter den besten 650 Arbeitgebern, vom Stern und der Onlineplattform Statista ermittelt, sitzen zehn in Sachsen. „Was für eine großartige Chance haben wir, weil es den Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel gibt“, sagt Wirtschaftsminister Martin Dulig. Und damit hat er wohl Recht.

Das sagt der Wissenschaftler

© ATB, Chemnitz

Prof. Michael Uhlmann, Geschäftsführer der ATB gGmbH, Chemnitz: "Den perfekten Arbeitgeber gibt es nicht, die Betrachtung ist immer eine Momentaufnahme. Wahre Schönheit kommt von innen: ein Gesamtpaket aus Entlohnung, Arbeitszeit, Urlaub, normativen und emotionalen Dingen. Die Mischung machts. Wertschätzung geht über Geld hinaus. Bindung entsteht durch gutes Betriebsklima – und nicht, indem sich alle duzen oder keine Krawatte mehr tragen müssen. Das sind Trostpflaster für Dinge, die nicht gut laufen. Unsere Gesetzgebung hinkt der Praxis hinterher: etwa bei der 4-Tage-Woche, Projektarbeit und mobiler Tätigkeit."

Das sagt die Wirtschaftsmediatorin

©  privat

Kathrin Rieger, Chefin der ZAROF. GmbH, Leipzig: "Gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, bedeutet heutzutage mehr, als ein faires Gehalt zu zahlen und gute Urlaubsregelungen zu haben. Ein attraktiver Arbeitgebender achtet auf eine gute Beziehung zu den Mitarbeitenden und lebt die Werte Förderung, Wertschätzung und eine gute Feedbackkultur. Der Schlüssel dabei liegt im Zuhören! Jemand, der ein Unternehmen verlässt, geht in erster Linie wegen der schlechten sozialen Beziehungen und weil er sich nicht gehört fühlt. Aufrichtig zuhören, selbstkritisch reflektieren und die Zusammenarbeit weiterentwickeln – darum geht es."

Das sagt der Unternehmensberater

© V&T, Leipzig

Daniel Probst, Gründer und Partner von Verwegener & Trefflich, Leipzig: "Wenn Strukturen außen instabiler werden, brauchen Unternehmen inneren Halt. Führungskräfte müssen lern- und entwicklungsbereit sein für Persönlichkeitsentwicklung, Selbsterfahrung, Therapie, Coaching, kulturelle Tabus. Wir versuchen, kein Abeitgeber mehr zu sein, arbeiten auf Augenhöhe in einer Partnerschaft, in der jeder eigenverantwortlich seinen Beitrag leistet. Wir nehmen uns und unser Geld nicht zu wichtig, bewerten monatlich den Beitrag je Umsatz/Kunde/Backoffice. Das funktioniert: wertschätzend, im Sinn der anderen und fast nie egoistisch."