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Die Krise in der Krise

Die Überlastung in der Pflege ist nicht erst seit Corona Thema. Sie trifft in der Pandemie aber verstärkt auch die Mitarbeiter der Sozialdienste.

Von Annett Kschieschan
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Gemeinsam Alltag leben – auch das bieten die Tagespflegen in Sachsen. Corona-bedingt stehen viele Einrichtungen vor Problemen.
Gemeinsam Alltag leben – auch das bieten die Tagespflegen in Sachsen. Corona-bedingt stehen viele Einrichtungen vor Problemen. © AdobeStock

Marlies Grömke hat ihre Mutter gern in die Tagespflege gebracht. Eigentlich. Schließlich wurde die Seniorin in der Einrichtung im Landkreis Bautzen gut betreut, hat neue Kontakte zu anderen Besuchern gefunden, ihre alte Liebe zum Basteln wiederentdeckt. „Aber seit Corona behalte ich meine Mutter lieber zu Hause. Sicher ist sicher“, sagt Marlies Grömke und steht mit dieser Meinung nicht allein da. Die Pandemie, die vor allem auch für ältere Menschen lebensgefährlich sein kann, hat auch soziale Einrichtungen für ungeahnte Herausforderungen gestellt. Nicht nur dort, wo es um die Betreuung von Senioren geht. Auch Freizeittreffs für Kinder und Jugendliche, organisierte Treffen junger Mütter, Selbsthilfegruppen für Menschen mit Sucht- oder anderen Problemen, diverse Beratungsangebote fielen zeitweise oder gar komplett aus. Zum einen, weil sie zumindest während der Lockdowns in Sachsen ohnehin verboten waren. Zum anderen aber auch, weil potenzielle Teilnehmer aus Sicherheitsgründen absagten.

1.400 Einrichtungen im Land befragt

Das hat neben den persönlichen auch konkrete wirtschaftliche Auswirkungen. Das bestätigt die jüngste Umfrage der Sozialbank und mehrerer Sozial-Verbände zur Lage des Sozial- und Gesundheitswesens. Dafür wurden im September und Oktober 1.400 Einrichtungen in ganz Deutschland befragt. Die nach Angaben der Initiatoren bundesweit größte Längsschnittstudie zeigt unter anderem, inwieweit Rettungsschirme und Schutzpakete des Bundes und der Länder dazu beigetragen haben, trotz der Krise arbeitsfähig und wirtschaftlich stabil zu bleiben. „Finanzierungslücken wurden geschlossen, Liquiditätsengpässe behoben“, lautet ein Fazit der Studie. „Die Studie bestätigt in ihrer vierten Auflage noch einmal die außerordentlichen Belastungen, aber auch die Flexibilität der Leistungserbringer“, so Prof. Dr. Harald Schmitz, Vorstandsvorsitzender der Bank für Sozialwirtschaft zu den Ergebnissen. So hätten die Einrichtungen die Hilfsangebote nur dort angenommen, wo unbedingt nötig. Vieles wurde durch alternative, zunehmend digitale Angebote ersetzt. Und so konstatieren die Sozialverbände einen „unübersehbaren Digitalisierungsschub“ für die Branche. Der wiederum stelle hohe Anforderungen an die Transformationsbereitschaft.

Allen Beteiligten ist klar: Die Krise ist längst nicht vorbei. Nach wie vor müssen sich die Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitswesen mit der geringeren Auslastung ihrer Angebote arrangieren. Besonders stark betroffen sind laut Studie die Tagespflegen sowie stationäre Pflegeeinrichtungen. Aktuell tragen vor allem der Pflegerettungsschirm nach Paragraf 150 SGB XI und das Sozialdienstleister-Einsatzgesetz dazu bei, eine drohende wirtschaftliche Schieflage der Träger abzuwenden. Mit Blick auf das Auslaufen der Schutzmaßnahmen und Hilfspakete rechnen viele Einrichtungen mit einem Liquiditätsrückgang von zumeist zwischen fünf bis 20 Prozent sowie entsprechenden Refinanzierungslücken. „Die Daten zeigen erneut sehr deutlich, wie wichtig angesichts der weiterhin andauernden Pandemie mit jetzt wieder steigenden Inzidenzzahlen die Fortführung der Rettungsschirme für die Planungssicherheit in den einzelnen Branchen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft ist“, so Harald Schmitz weiter.

Ohne Schutz, da sind sich viele Brancheninsider sicher, drohen Schließungen einzelner Angebote und damit auch der Verlust von Arbeitsplätzen. Die Folgen seien nicht zu unterschätzen.

Rettungsschirm wird gebraucht

„Die Pandemie trifft die gemeinnützige Sozialwirtschaft schwer, weil sie nicht auf umfangreiche Rücklagen zurückgreifen kann, um finanzielle Engpässe zu kompensieren. Die Leistungen aus den Schutzschirmen stellen sicher, dass Menschen in unterschiedlichen Notlagen auch morgen noch die Hilfsangebote finden, die sie jeweils brauchen“, so Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Um auch künftig in vergleichbaren Situationen die benötigten Hilfen sicherzustellen, müssten jetzt für solche Fälle auskömmliche Schutzschirme entwickelt werden.

Nach Aussage von DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt habe die Studie einmal mehr gezeigt, wie wichtig es ist, die wirtschaftliche Sicherheit der Pflegeeinrichtungen zu gewährleisten. „Die Einrichtungen und Dienste waren und sind eine verlässliche Stütze in der Pandemie. Alle dort tätigen Kräfte leisten Unvorstellbares und arbeiten am Limit. Angesichts der weiter steigenden Infektionszahlen und der neuen Ausbrüche in den Einrichtungen vor Ort wäre es ein fatales Signal, den Schutzschirm nicht über den 31.12.2021 hinaus zu verlängern“, so Hasselfeldt.

Die Ergebnisse der Umfrage sind hier abrufbar: