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Die Letzte ist immer die Schönste

Die Wiege der „Träumenden“ steht in der Tatra. Der Trip nach Zakopane ist eine Reise in ein faszinierendes Handwerk und in die Gefühlswelt von Malgorzata Chodakowska.

Von Michael Rothe
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© Ronald Bonß

Mit einer Frau im Auto Hunderte Kilometer quer durch Polen, mit zwei Ladys zurück. Die eine nackt und stumm, die andere umso gesprächiger. Der Reporter konnte nicht ahnen, dass diese Dienstreise von Dresden nach Zakopane keine normale sein würde. Malgorzata Chodakowska auf dem Beifahrersitz kommt schnell ins Plaudern. Sie erzählt von sich, ihrer Heimat Polen und von Lodz im Besonderen, vom Bildhauerei-Studium in Warschau und Wien, vom Leben im Allgemeinen und privat – mit ihrem Mann, dem Öko-Winzer Klaus Zimmerling, in Pillnitz bei Dresden, wo sie seit 1991 leben.

Tomasz und sein Mitarbeiter gießen die 1200 Grad Celsius heiße Bronze in den aufwendig vorbereiteten hohlen Mantel.
Tomasz und sein Mitarbeiter gießen die 1200 Grad Celsius heiße Bronze in den aufwendig vorbereiteten hohlen Mantel. © privat

Besonders gern spricht sie über ihre vielen Kinder – in Holz und Bronze. Das Jüngste von ihnen ist Ziel der Reise: „Die Träumende“. Die legendäre Skulptur, eine 1,20 Meter große Grazie mit verschränkten Armen über dem Kopf und einem hauchdünnen Kleid aus Blattgold, hat 17 ältere Zwillingsschwestern und ist seit 2006 Trophäe für „Sachsens Unternehmer des Jahres“. Der Trip an die Wiege der Schönen zieht sich fast den ganzen Tag hin: an Breslau und Krakau vorbei – und dann hoch hinaus nach Zakopane.

Der Wintersportort im Südosten Polens lebt mit grandioser Hochgebirgswelt, einzigartigen Holzhäusern, Kirchen, Museen nur vom Fremdenverkehr. Übers Jahr kommen auf jeden der 26 000 Einwohner 100 Urlauber, heißt es im Touristenamt. Das Highlight schlechthin ist der alte Friedhof. 70 Gräber, viele wahre Kunstwerke aus Holz, lassen ahnen, welches Handwerk in Zakopane zu Hause ist.

Sonderpreis für beste Resilienzmanager

Sachsens wichtigster Wirtschaftspreis wird zum 18. Mal vergeben. Eine zehnköpfige Jury entscheidet, wer „Die Träumende“ erhält. Der Sieger wird am 12. Mai 2023 bei einer Gala in Dresdens Gläserner VW-Manufaktur geehrt.

Bis zum 3. Februar 2023 können sich Unternehmerinnen und Unternehmer um die Schöne – kein Wanderpokal, sondern Dauerschmuck – bewerben oder vorgeschlagen werden.

Teilnahmebedingungen: mindestens zehn Mitarbeiter, 500.000 Euro Jahresumsatz, fünf Jahre am Markt, Anteile am Unternehmen, das mehrheitlich in Privatbesitz sein muss. Firmensitz oder Standort in Sachsen.

Auszeichnungskriterien sind neben guter Gesamtentwicklung der Firma herausragende Leistungen z. B. bei Schaffung oder Erhalt von Jobs, Lehrstellen, bei Innovationen, Akquisitionen, aber auch erfolgreiche Krisenbewältigung und Engagement für die Region.

„Sachsen gründet – Start-up 2023“ kürt den besten Gründer. Bewerberinnen und Bewerber müssen ihre Firma in der Zeit von 2018 bis 2021 gegründet haben, mindestens ein Jahr am Markt sein, eine innovative Geschäftsidee und einen überzeugenden Businessplan vorweisen.

„FokusX“ würdigt den/die beste/n Resilienzmanger/in. In der Sonderkategorie stehen Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit besonders im Blickfeld und Unternehmerinnen und Unternehmer, die in schwieriger Lage besonnen und weitsichtig agieren. Dort gibt es keine Mindestkriterien.

In beiden Sonderkategorien erhalten die Sieger ein Mediabudget für Print- und Onlineanzeigenbei bei der Sächsischen Zeitung, der Freien Presse und der Leipziger Volkszeitung in Höhe von je 60.000 Euro.

„Sachsens Unternehmer des Jahres“ ist eine Initiative von Sächsische Zeitung, Freie Presse, Leipziger Volkszeitung und dem MDR sowie von Volkswagen Sachsen, der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Schneider + Partner, der LBBW und der Gesundheitskasse AOK Plus.

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Tomasz Ross ist einer seiner Vertreter. Doch nur von Bildhauerei könnte der 55-Jährige nicht leben. Daher betreibt er nebenbei eine kleine Gießerei für sich und befreundete Künstler wie Malgorzata, mit der er in den 1980er- Jahren in Warschau studierte. Alle paar Wochen fährt die Wahlsächsin in die Tatra: mit Ideen, Entwürfen, mit alten und neuen Geschichten. Die Begrüßung ist herzlich. Zwei auf gleicher Wellenlänge, beruflich wie menschlich. Tomasz schüttelt die Hand nicht über der Türschwelle. „Das bringt Unglück“, sagt man in Zakopane.

Hinter der Tür liegen 8 000 Euro: eine Tonne Bronze, gestapelt wie Goldnuggets. Eine Firma in Breslau liefert die teure Legierung aus neunzig Prozent Kupfer und zehn Prozent Zinn. Zuerst gibt’s im kleinen Büro einen Espresso für den Gast. Und dann Arbeit. Malgorzata hat nur einen Tag Zeit, denn daheim warten Projekte, die während der Weinlese stehen bleiben mussten. Chodakowskas Arbeiten sind weltweit gefragt und längst mehr als nur Skulpturen. Mit Brunnenkompositionen ist sie seit einigen Jahren nah am Wasser gebaut. Da wird der Fächer einer Flamenco-Tänzerin zur filigranen Fontäne. Oder das Röckchen einer Ballerina. Oder die langen Rasterzöpfe einer anderen Grazie – inspiriert durch eine alte Trauerweide auf ihrem Grundstück.

Fast all ihre Schönen sind gertenschlank, geheimnisvoll, sinnlich und zogen Ausstellungsbesucher z. B. in Wien, Tokio, Graz, St. Petersburg sowie in vielen deutschen und polnischen Städten in ihren Bann. Doch meist verschwinden die Werke im Wert von Mittelklasseautos unbeachtet von der Öffentlichkeit in Gärten und Villen gut Betuchter. „Das macht mich manchmal traurig“, sagt die 57-Jährige. „Was ich mache, braucht niemand wirklich, das ist purer Luxus.“ Er sei „für Leute, die mit ihrem Geld nicht wissen wohin“ oder aber für jene, die ihn sich verdient haben: als „Unternehmer des Jahres“.

Die neue Trophäe wartet im Schuppen auf die finale Bearbeitung durch ihre Schöpferin. Tomasz und ein Mitarbeiter hatten den Rohling im Frühjahr gegossen. Das 6 000 Jahre alte Verfahren ist für Laien ebenso faszinierend, wie schwer nachvollziehbar. Ständig wechseln Positiv und Negativ. Zuerst werden Eisenstäbe mit Stricken zu einer Art Skelett verknotet. An ihm wird die Figur aus Ton modelliert, was Wochen dauern kann. Auf das Modell kommen mehrere Schichten zähflüssigen Silikons. Erstarrt bilden sie einen Zentimeter dicken Mantel. Dieses Negativ erhält Stützschalen aus Gips oder Bauschaum. Für das folgende Positiv wird eine geheime Mixtur aus flüssigem Bienenwachs, Kolophonium und Paraffin aufgepinselt, bis eine zwei, drei Millimeter starke Schicht entsteht – so dick, wie der spätere Guss.

Ergebnis nach dem Erkalten: ein Hohlkörper aus Wachs. Er wird mittels Messer genau bearbeitet, entspricht seine Oberfläche doch exakt der späteren Skulptur. Das Modell bekommt Einguss- und Entlüftungskanäle aus Wachs und wandert so in ein Schamott-Gips-Bett. Der feuerfeste Block wird drei Tage lang bei 700 Grad Celsius gebrannt. Dabei fließt das Wachs ab, ein hohler Mantel entsteht. In ihn wird durch Löcher die rotglühende Bronze gegossen. Nach Erkalten und Erstarren werden der Schamott abgeschlagen, die Gusskanäle abgesägt.

Der Rohguss kommt zum Vorschein. In dem Zustand wartet nun die 40 Kilo schwere Figur vor Tomasz’ Schuppen auf ihre Mama und träumt von edlerem Ambiente. Bei aller Herzlichkeit der Bewohner, und anders als die helle Werkstatt mit dem knisternden Kamin, lädt der schlammige Hof nicht zum Verweilen ein: Holzpaletten, Eisengestelle, ein Flaschenzug, Sandsäcke, Eimer, eine alte Wanne, ein Traktor, Werkbänke, eine Plane über der Leine als Schmutzschutz für Nachbarn, ein riesiger Haufen aus Schamottabfall – Kulisse eines Edelhandwerks und Zeuge nicht gerade üppiger Verhältnisse seines Vertreters. Bis auf die blaue Yamaha. Gleichwohl gibt’s für „Die Träumende“ Pediküre und Maniküre, im Fachjargon Ziselieren mit Drahtbürste und Feile, gefolgt von Sandstrahlen und Patinieren. Dann ist sie fast fertig.

Ein glänzender Auftritt in der untergehenden Herbstsonne. „Die Erste ist immer die Schwierigste und die Letzte immer die Schönste“, sagt Malgorzata und streicht der Tochter über den Po. „Malerei? Ich bin viel zu energiegeladen für solche Flachkunst“, scherzt sie. Ihre scheinbar immerfrohen blauen Augen strahlen. Jetzt fehlt der Grazie nur noch das Goldkleid. Das wird daheim aufgetragen. Die stumme Lady scheint nicht traurig, als sie nackt ins Auto nach Pillnitz verladen wird. Für Tomek, wie Malgorzata ihren Freund nennt, heißt es, Abschied zu nehmen. Während er seine Kollegin bald wiedersehen wird, entschwindet „Die Träumende“ für immer. „Sie ist auch ein Stück von mir“, sagt er.