Von Jakob Schlandt
Angesichts dringend notwendiger Einsparungen beim Gasverbrauch privater Haushalte wird derzeit öffentlich viel über Preisanreize diskutiert. Unter Ökonomen herrscht weitgehend Einigkeit: Sie müssen möglichst kräftig ausfallen und die Knappheit widerspiegeln, damit ausreichend gespart wird. Und auch die Bundesregierung lässt derzeit nicht erkennen, an den stark steigenden Preisen für private Verbraucher und Unternehmen etwas ändern zu wollen.
Mit der Umlage nach Paragraph 26 des Energiesicherheitsgesetzes hat sie entschieden, die Importunternehmen rechnerisch ab Oktober über Zahlungen durch die Gasverbraucher zu stabilisieren statt wie bis dahin durch direkte staatliche Stützungsmaßnahmen.
Die Umlage wird erst im November oder Dezember auf den Gasrechnungen auftauchen, hinzu kommen dann noch weitere Umlagesteigerungen. Auch die hohen Marktpreise sind noch nicht voll durchgeschlagen. Aber direkte Gasabnehmer bekommen sie immer stärker zu spüren.
Die Probleme der direkt belieferten Privatkunden
In der Gas-Grundversorgung müssen einer aktuellen Auswertung des Preisvergleichsportals Check24 zufolge nun im mengengewichteten deutschen Schnitt gut 14 Cent pro Kilowattstunde bezahlt werden. In vielen Regionen ist die Grundversorgung derzeit der günstigste Tarif.
Bei den bundesweiten Alternativen, den sogenannten Sondertarifen, sind um die 25 Cent pro Kilowattstunde fällig. In der Grundversorgung gehen die Preiserhöhungen zudem stetig weiter.
Im Winter dürfte ein Großteil der direkt belieferten privaten Gaskunden also mit Preisen vermutlich in Richtung oder jenseits der 20-Cent-Marke konfrontiert sein. Diese direkte Lieferung – zum Beispiel für Haus- und Wohnungseigentümer oder bei selbst bewirtschafteter Gasetagenheizung in der Mietwohnung – führt auch sofort zu entsprechend erhöhten Abschlagszahlungen. Der Anreiz zum Sparen ist also für diese Kundengruppe meist schon markant und steigt weiter an.
Was ist mit den Mieterinnen und Mietern?
Beinahe völlig aus dem Blick geraten ist in der Debatte allerdings eine andere Gruppe: Mieterinnen und Mieter, deren Heizkosten über die Nebenkosten abgerechnet werden. Nach Gesetzeslage – entscheidend sind hier die Paragraphen 556 und 556a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sowie in den Details die Heizkostenverordnung – wird erst im Laufe des Folgejahres über Heizkostensteigerungen abgerechnet – und auch dann dürfen die Abschläge entsprechend erhöht werden.
Frühere Anpassungen sind nur bei Freiwilligkeit beider Seiten möglich. Der Vermieter muss es wollen und anbieten, der Mieter dazu bereit sein. Die derzeitigen Nachzahlungen und Abschlagserhöhungen, die auch in den Medien die Runde machen, basieren in aller Regel auf den noch moderaten Gaspreissteigerungen im Jahr 2021.
Aufmerksame Mieter müssten die Lage zwar verfolgen und zum Beispiel Rückstellungen bilden, dazu raten die Verbraucherzentralen auch. Aber: Vielen dürfte die enorme Kostenwelle und damit auch die Frage, wie stark sich sparsames Heizen lohnt, nicht voll bewusst sein, bis sehr verspätet die Rechnung kommt.
Wie viele Kunden betrifft das?
Wie groß ist die Gruppe der Nebenkostenheizer mit Gas? Deutlich größer, als vielen wohl bekannt ist. Ganz genaue Zahlen werden zwar nicht erfasst, weder zum Beispiel vom Statistischen Bundesamt noch von der Bundesnetzagentur.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) allerdings teilte auf Background-Anfrage seine Schätzung mit: Demnach „haben rund zehn Millionen Haushalte einen direkten Versorgungsvertrag mit ihrem Gaslieferanten. Insgesamt rund 20 Millionen Wohneinheiten nutzen Erdgas für die Wärmeversorgung“. Im Umkehrschluss kann also davon ausgegangen werden, dass die Hälfte der Gasverbraucher die Rechnung über die Nebenkosten bezahlt.
Ähnlich schätzt die Arbeitsgemeinschaft Heiz- und Wasserkostenverteilung (Arge Heiwako) die Lage ein. Hauptgeschäftsführer Christian Sperber sagte Tagesspiegel Background, von den knapp 43 Millionen Haushalten in Deutschland würde in 20 Millionen für die Kalkulation der Nebenkosten gemessen und entsprechend abgerechnet. Da fast genau die Hälfte der deutschen Haushalte mit Gas heizt, sei plausibel in etwa von einer 50/50-Aufteilung auszugehen, bestätigte Sperber die BDEW-Einschätzung.
Wirtschaftsweise spricht von fataler Lage
Rund die Hälfte der Gashaushalte fällt also bei der bisherigen Preisanreizdebatte weitgehend durchs Raster. Veronika Grimm, Professorin an der Uni Erlangen-Nürnberg und „Wirtschaftsweise“, ist alarmiert und fordert ein entschlossenes und sofortiges Eingreifen der Politik. „Viele Mieter*innen zahlen für die Heizkosten im Jahr 2022 Abschläge, die auf der Abrechnung für das Vorjahr 2021 basieren und sich somit als deutlich zu niedrig herausstellen werden.“
Bis dies den Nebenkosten-Zahlern mit Sicherheit klar werde, sei der Winter vorbei. „Es ist fatal, dass die Verbraucher dadurch überhaupt keinen sichtbaren Anreiz zum Gassparen haben, aber ex post – bei der Abrechnung, die im Jahr 2023 stattfinden wird – von den hohen Kosten kalt erwischt werden“, sagte Grimm, sagte Grimm Tagesspiegel Background. Zugleich würden die Vermieter „in Liquiditätsprobleme laufen“, denn die hohen Bezugskosten fielen an, aber die aktuellen Abschläge reflektieren diese in keiner Weise.
Aus Sicht von Grimm muss die Politik sofort einschreiten. „Hier besteht dringender Handlungsbedarf“, sagte sie. Zunächst solle man die Mieter über die Situation regelmäßig informieren und ihnen auch Informationen bereitstellen, wie man Gas einsparen kann. Bei vielen werde der individuelle Gasverbrauch abgelesen und abgerechnet, man könnte also auch bei Mietern mit Prämien für umfangreiche Einsparungen arbeiten.
Man solle aber auch ermöglichen, die Abschläge „zeitnah an das aktuelle Preisniveau anzupassen“, so komme das Signal zum Gassparen schon jetzt bei den Mietern an. „Im Gegenzug müssen diejenigen, die diese Härten nicht selbst tragen können, vorausschauend entlastet werden. Ein Versprechen der Entlastung reicht hier nicht“, bemängelte die Sachverständige zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Warnung vor drastischen Auswirkungen?
Die Situation sei mit Blick auf die Lage beim Gas geradezu „bedrohlich“, so Grimm weiter: Lasse man alles so, wie es aktuell gesetzlich geregelt sei, „so kommen die hohen Kosten erst im kommenden Jahr bei den Mietern an“. Man könne sich dann scheinbar mit der Entlastung Zeit lassen und zwischendurch die Vermieter mit Liquiditätshilfen über die Runden bringen. „Aber das hat den fatalen Effekt, dass kein Gas gespart wird.“
Wenn dadurch dann die Gaslücke zu groß werde, „verlieren wir alle“. Die wirtschaftlichen Auswirkungen könnten, sagte Grimm, „drastisch“ sein. „Man kann das verhindern. Wenn man jetzt sofort Maßnahmen ergreift, die den Mietern die Preisinformationen und die Handlungsoptionen vermitteln. Viel Zeit bleibt aber nicht.
Ampelkoalition plant keine größeren Änderungen
In der Ampelkoalition ist in dieser Sache allerdings kaum Handlungsbereitschaft vorhanden. Ein Sprecher des Justizministeriums, das für BGB-Änderungen federführend zuständig wäre, teilte mit, die Debatte würde vom Ministerium verfolgt. „Gesetzliche Interventionen sind im Augenblick aber nicht geplant“, sagte er.
Zum einen sei den meisten Mieterinnen und Mietern durchaus bewusst, dass hohe Nachzahlungen im Raum stünden. Zweitens sei eine Änderung der eingespielten Modalitäten, auf die sich Mieter und Vermieter verlassen würden, problematisch. Drittens habe eine gewisse Verzögerung der Belastungen auch Vorteile, unter anderem, dass Entlastungen dann bereits voll greifen würden.
Zanda Martens, SPD-Bundestagsabgeordnete und für das Thema in der Fraktion zuständig, sagte Tagesspiegel Background, aus ihrer Sicht entstünden durch die bestehende Regelung „keine gravierenden Fehlanreize, die eine Gesetzesänderung erforderlich machen“.
Es sei zwar in der Tat so, dass die Abrechnung der Betriebskosten anders ablaufe als ein direkter Vertrag mit einem Versorger. „Allerdings erleben wir gerade jetzt, dass es im Interesse der Mieter:innen ist, ihre Abschlagszahlung auch ohne rechtliche Verpflichtung den erwartbaren realen Kosten anzugleichen“, teilte sie mit.
Insofern sei der Anreiz für Mieterinnen und Mieter bereits gegeben, „sowohl den Verbrauch nach Möglichkeit zu reduzieren, als auch die steigenden Kosten in ihrer Haushaltsplanung zu berücksichtigen – sei es durch eine freiwillige Erhöhung der Abschlagszahlung oder durch proaktives Sparen“.
Weiter sagte Martens: „Wir als SPD-Bundestagsfraktion setzen in der aktuellen Krise bei der Gas- und Wärmeversorgung daher an dieser Stelle nicht auf eine Gesetzesänderung, sondern achten auf drei Ziele und Gruppen: Den Schutz der zahlungsunfähigen Mieter:innen vor Kündigung, die finanzielle Sicherung der Vermieter:innen vor drohender Insolvenz und die Sicherung der Energieversorger, also vor allem der Stadtwerke.“
Um die Versorgungssicherheit im kommenden Herbst und Winter zu gewährleisten, müssten die Vertragsbeziehungen zwischen Energieversorger, Vermieter und Mietern so lange wie möglich aufrechterhalten werden, um Dominoeffekte zu verhindern.
Die FDP will individueller abrechnen
Michael Kruse, energiepolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, setzt ebenfalls auf vor allem auf Freiwilligkeit. „Wladimir Putin bricht bestehende Lieferverträge und verursacht damit ganz bewusst eine sehr große Verunsicherung auf den Energiemärkten. Je früher die Verbraucher in dieser Lage über stark gestiegene Gaspreise transparent Bescheid wissen, desto eher werden sie sich auch vernünftige, eigene Einsparmaßnahme überlegen“, teilte er mit.
Nur wer informiert sei, so der Liberale weiter, könne die richtigen Entscheidungen treffen. „Es wäre hilfreich, wenn Vermieter und Verwaltungsgesellschaften ihren Mietern in dieser Situation bereits jetzt stark gestiegene Gas-Versorgungspreise mitteilen.“
Dadurch bestehe Kruse zufolge die Chance, die Gefahr einer Gasmangellage im Vorfeld weiter abzumildern. Deshalb solle über mehr Verantwortung für das eigene Heizverhalten gesprochen werden, stellte er den Wunsch nach einer moderaten Änderung heraus: „Da nur 30 bis 50 Prozent der Heizkosten auf den individuellen Verbrauch abstellen, gibt es einen verminderten Anreiz zum Sparen. Im kommenden Winter sollten wir auf 80 bis 90 Prozent nach individuellem Verbrauch kommen, denn dann profitieren diejenigen, die sparen, besonders stark davon und der Anreiz zum sparsamen Verhalten wird deutlich gestärkt.“
Union teilt die Kritik der Wirtschaftsweisen
Der Union reicht das alles allerdings nicht – sie teilt die scharfe Kritik von Ökonomin Grimm. Jan-Marco Luczak, Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen, sagte, die Ampelkoalition dürfe die Änderung der Regeln für die Heiznebenkostenabrechnungen „nicht verschleppen, es besteht dringender Handlungsbedarf“.
Aus Luczaks Sicht wäre es „richtig und wichtig, auch unterjährig Anpassungen der Abschläge möglich zu machen – zumindest im Fall extremer Preissteigerungen, wie wir sie im Augenblick sehen“.
Das sorge, so der Unionsvertreter, für Transparenz über die Kosten und stelle sicher, dass das Signal für sparsamen Verbrauch ankomme. Auch werde so eine „Überforderung von Mietern“ im kommenden Jahr verhindert, wenn zu einer enormen Nachzahlung auch noch gleichzeitig eine starke Steigerung der monatlichen Abschlagszahlungen für die Gas-Haushalte droht.
Das sei auch für die Vermieter wichtig – sie müssten die gestiegenen Kosten derzeit vorstrecken. „Kleine Vermieter kann das schnell finanziell überfordern, wenn die Preise für Energie um viele Tausend Euro steigen, Heizkostenvorauszahlungen aber erst im nächsten Jahr nach der Jahreskostenabrechnung angepasst werden können.“
Gleichzeitig müssen die sozialen Härten abgefedert werden, forderte der CDU-Abgeordnete Luczak. „Ich halte es für den richtigen Weg, eine Grundversorgung zu günstigeren Preisen sicherzustellen, bei der aber der Einsparanreiz erhalten bleibt.“
Rechtlich und administratorisch sei die Ausgestaltung allerdings nicht trivial – deshalb müsse die Ampelkoalition „endlich Lösungen erarbeiten“. Eine enorme Ausweitung des Wohngelds zum Beispiel werde zum einen nicht reichen und führe zum anderen dazu, dass erhebliche Teile der Mittelschicht zu rechenschaftspflichtigen Transferempfängern würden. „Das kann nicht die Lösung sein“, warnte Luczak.