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Wie Bioenergiedörfer der Energie-Krise trotzen

Sorge vor stark steigenden Heizkosten oder einem Blackout? Bioenergiedörfern in Deutschland kann Putins Gas egal sein. Die Bewohner heizen mit eigener Energie.

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Michael Knape, Bürgermeister von Treuenbritzen, ist stolz auf die autarke Energieversorgung in Feldheim.
Michael Knape, Bürgermeister von Treuenbritzen, ist stolz auf die autarke Energieversorgung in Feldheim. © dpa/Bernd Settnik

Berlin/Feldheim. Die Einwohner im kleinen Dörfchen Feldheim können in der gerade begonnenen Heizsaison gelassen bleiben. Anders als Millionen Haushalte in Deutschland drohen ihnen keine stark steigenden Gas- und Strompreise. Der kleine Ort im Südwesten Brandenburgs mit etwa 130 Einwohnern, wo Landwirtschaft das Bild bestimmt, ist energieautark. Er versorgt sich seit Jahren komplett selbst über eine Biogasanlage, einen Windpark und Solaranlagen mit Wärme und Strom.

"Die Feldheimer schlafen sicherlich etwas ruhiger", sagt der parteilose Bürgermeister der Gemeinde Treuenbrietzen, Michael Knape. Sie zahlen 7,5 Cent pro Kilowattstunde Wärme, um die 12 Cent für Strom. Teures Erdgas oder Heizöl spielen für Feldheim keine Rolle.

Experten zufolge könnte der durchschnittliche Strompreis in Deutschland im kommenden Jahr bei 45 Cent pro Kilowattstunde und mehr liegen. Schon jetzt liegt er um ein Vielfaches höher als in Bioenergiedörfern. Sie decken ihren Energiebedarf zu mindestens 50 Prozent aus regional erzeugter Biomasse, die meist von Landwirten in der Umgebung kommt.

Angst vor einer Energie-Krise? Nicht in Feldheim
Angst vor einer Energie-Krise? Nicht in Feldheim © dpa/Bernd Settnik

Rund 170 solcher Dörfer in Deutschland - von Bayern bis in den Norden - sind bei der Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe (FNR) gelistet, die dem Bundesagrarministerium untersteht. Doch ihre Zahl kann den Fachleuten zufolge höher liegen.

Die Abkehr von Erdgas und Heizöl ist auch im mittelhessischen Landkreis Marburg-Biedenkopf gefragt. Die Idee der Bioenergiedörfer gewinne derzeit in der Region spürbar mehr Anhänger, sagt der Vorstandsvorsitzende der Bioenergiedorf Oberrosphe eG, Hans-Jochen Henkel. In dem Ort entstand vor 15 Jahren eines der ersten Bioenergiedörfer in Hessen: Ein Biomasseheizwerk wird mit Holzhackschnitzel betrieben, zudem gibt es sechs Photovoltaikanlagen. An das örtliche Wärmenetz der Gemeinde seien rund 160 der insgesamt 230 Haushalte angeschlossen, sagt Henkel. Inzwischen gibt es ihm zufolge im Landkreis Marburg-Biedenkopf 15 Bioenergiedörfer, und die Zahl steige im kommenden Jahr auf 18.

"Jetzt haben es die Leute ganz eilig", sagt Michael Völklein, der Geschäftsführer einer Biogasanlage im kleinen Bioenergiedorf Hüssingen in Mittelfranken ist. Die Dorfgemeinschaft habe 2009 auch ein Nahwärmenetz - also ein kleines dezentrales Wärmenetz ohne große Leitungen - aufgebaut und versorge so den Ort mit der Biogaswärme. "Seit einem halben Jahr kann ich mich nicht retten vor Anfragen", sagt Völklein. Der Wärmepreis liege bei 3 Cent je Kilowattstunde.

Das Interesse von Bürgern steige, Mitglied in den Wärmegenossenschaften zu werden und einen Hausanschluss legen zu lassen, teilte auch die Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe mit. Wärme aus Biomasse wie etwa aus Holz sei aber auch für größere Kommunen eine Chance, meint FNR-Geschäftsführer Andreas Schütte. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert mit einem neuen Milliarden-Programm die Umstellung auf klimafreundlichere Wärmenetze.

Werden viele weitere Orte ihre Energieversorgung jetzt selbst in die Hand nehmen, um von Erdgas und Heizöl unabhängig zu sein? Ganz einfach ist das nach Ansicht von Fachleuten nicht. Trotz der derzeitigen Energiekrise könne er keinen bedeutenden Schub in Gemeinden erkennen, grundlegend neue Bioenergiedörfer aufzubauen, sagt Experte Schütte auch mit Blick auf die Jahre dauernden Planungen. Bioenergiedörfer berichten auch von bürokratischen Hindernissen für Innovationen. Zudem sind die Biogasanlagen, die neben Gülle mit Mais und Getreide betrieben werden, in Verruf gekommen.

Am Rand von Feldheim drehen sich Windräder. Der Ortsteil betreibt 55 Windanlagen, eine Biogasanlage und eine Solaranlage.
Am Rand von Feldheim drehen sich Windräder. Der Ortsteil betreibt 55 Windanlagen, eine Biogasanlage und eine Solaranlage. © dpa/Bernd Settnik

Der Boom für solche Anlagen sei seit etwa zehn Jahren vorbei, meint die Wirtschaftsingenieurin Ines Wilkens, die an der Universität Kassel an einem Forschungsprojekt zu Bioenergiedörfern beteiligt war. Es seien neue, rentable Modelle für die Energiewende gefragt, zumal die Vergütung für Strom aus Biogasanlagen, basierend auf dem Erneuerbare Energien-Gesetz, weniger attraktiv geworden sei.

Wilkens sieht eine wachsende Bedeutung etwa für die Solarthermie. Bei Photovoltaik ist ein Boom erkennbar: Die Zahl der Solaranlagen stieg im vergangenen Jahr um 235.600 auf rund 2,2 Millionen. Im ersten Halbjahr 2022 kamen 157.566 neue Anlagen hinzu.

Vor einem Blackout im Winter müssen sich Bioenergiedörfler wie die Bewohner im brandenburgischen Feldheim keine Sorgen machen, selbst wenn es richtig bitterkalt wird. Eine Hackschnitzel-Heizung, betrieben mit Holz aus umliegenden Wäldern, kann in Spitzenzeiten zur Biogasanlage zugeschaltet werden. Dass die sehr günstige Energie auch dort etwas teurer wird, ist aber nicht ausgeschlossen. Mindestens bis zum Jahresende bleibe der Preis stabil, sagt die Vorsitzende des Fördervereins Neue Energien Forum Feldheim, Doreen Raschemann. Dann muss wegen gestiegener Dieselkosten für die Landwirte und der schlechteren Ernte noch mal nachgerechnet werden. (dpa)