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Lasst das Licht an im Advent

Der Herbst ist nicht so heiß geworden wie vorhergesagt. Dafür strahlen jetzt doch überall die Lichterketten. Und das tut gut. Trotzdem gibt es Grund zur Abrüstung.

Von Heinrich Löbbers
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Advent und Weihnachten ohne festliche Beleuchtung? Dass es nicht komplett dunkel ist, darüber freut sich SZ-Chefkurator Heinrich Maria Löbbers.
Advent und Weihnachten ohne festliche Beleuchtung? Dass es nicht komplett dunkel ist, darüber freut sich SZ-Chefkurator Heinrich Maria Löbbers. © dpa

Nun ist’s also doch noch Advent geworden. Ein Lichtlein brennt. Und das zweite folgt sogleich. Wer hätte das gedacht. Die Lichter sind angezündet, als gäb’s Strom im Sonderangebot. In den Fenstern leuchten die Schwibbögen um die Wette, an den Glühweinständen tummeln sich die Massen arglos ohne Mund-und Nasenschutz, und selbst auf dem Striezelmarkt hat sich noch keine Klimakämpferin an die Pyramide geklebt.

Dabei ließen die Diskussionen der vergangenen Wochen Schlimmstes befürchten. Heißer Herbst, kalte Stuben, Blackout und Winterwelle. Und nun das: Sollte es tatsächlich eine ganz normale Weihnachtszeit werden, trotz all der schlechten Nachrichten und trüben Aussichten?

Im Radio spielen sie jedenfalls längst wieder „Last Christmas“. Wer’s nicht mehr hören kann, für den hier mal drei Vorschläge aus meiner Advents-Playlist:

„Wer hat hier schlechte Laune?“, heißt frecherweise das neue Album von Max Raabe, darauf ein Lied mit dem unverschämten Titel „Es wird wieder gut“.

„Va bene“, was wir mal schlicht mit „Alles gut“ übersetzen wollen, heißt ein Song der österreichischen Kapelle Wanda. Der Refrain enthält das Bekenntnis: „Es muss weitergehen!“

„Zukunft Pink“ schließlich kommt vom Berliner Seeed-Frontmann Peter Fox im Bündnis mit der Sängerin Inez aus Dresden. Sie singen: „Alle malen schwarz, ich seh‘ die Zukunft pink/ Wenn du mich fragst, wird alles gut, mein Kind.“

Man traut seinen Ohren kaum. Woher kommt plötzlich dieser Optimismus? Es mag naiv sein, an das Gute zu glauben, aber ja, es tut gut. Gewiss, viele Menschen sind zurecht verunsichert und besorgt – nicht nur, weil die Preise steigen. Macht sich aber nicht ganz leise der Verdacht breit, dass es vielleicht nicht ganz so schlimm kommen könnte? Dass die Unzahl der beschlossenen Maßnahmen – vom Doppelwumms und Soforthilfen bis zu Tankrabatt und Gaspreisbremse – allmählich greift?

Der Herbst ist bisher jedenfalls nicht annähernd so heiß geworden, wie viele befürchtet und manche erhofft hatten. Die meisten bewahren eben doch einen kühlen Kopf. Und ob es ein Wutwinter wird, erscheint ebenso fraglich. Plötzlich sind die Gasspeicher voll, die Stimmung in der Wirtschaft hellt sich etwas auf, selbst der Sprit ist wieder günstiger. Das ist nicht die Rettung, aber es lässt hoffen.

Während die Ukrainer ohne Strom und Heizung nicht nur vor Kälte bibbern, strömen hier die Massen auf die Weihnachtsmärkte. Wer sich dort umschaut, sieht, wie gut es ihnen tut. Das muss nicht heißen, das Grauen zu ignorieren und die Klingglöckchen hemmungslos klingelingelingen zu lassen. Im Gegenteil, gerade im Advent haben viele das Bedürfnis, sich um andere zu kümmern, zu helfen, zu spenden. Nur, wie soll man all das verkraften – Krieg, Klima und sonstige Krisen –, wenn sich die Kraft nicht irgendwo tanken lässt? Die nächsten Monate werden noch hart genug. Jetzt ist die Zeit, mal durchzuschnaufen. Sich zu besinnen, es sich gemütlich zu machen, vielleicht sogar Spaß zu haben. Und sei es nur bei Glühwein oder Lichterglanz.

Wie abwegig war der Vorschlag der Deutschen Umwelthilfe, in diesem Jahr auf Weihnachtsbeleuchtung komplett zu verzichten. Advent ohne Licht, das ist wie Leben ohne Hoffnung.

Da sind sich sogar mal Sachsens CDU-Ministerpräsident Kretschmer und der grüne sächsische Umweltminister Günther einig. Beide sahen sich genötigt, klarzustellen, dass in Sachsen sehr wohl die Lichter angezündet werden dürfen. Wohl wissend, dass auch Weihnachten ein Politikum werden kann. Ganz abgesehen davon, dass dunkle Innenstädte für weitere Einbußen bei Händlern sorgen würden.

Die inzwischen verebbte Lichterdiskussion ist ein weiteres Beispiel dafür, wie solche Debatten zur Hysterie neigen. Ein Wunder, dass niemand gefordert hat, das Keksebacken einzustellen. In der Weihnachtsbäckerei wird doch jede Menge Energie verbraucht. Und der Backofen zieht mehr Strom als jede Lichterkette.

Wenn‘s nun also recht heimelig wird in unseren Stuben, auch mit ein paar Grad weniger als sonst, liest man seinen Liebsten gern mal was vor. Warum nicht aus der „Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung“? Heißt wirklich so: 17 Silben, 56 Buchstaben; im Bundeswirtschaftsministerium sprechen sie zärtlich von der EnSikuMaV. Darin ist festgelegt, dass das weiter bestehende Beleuchtungsverbot für öffentliche Gebäude nicht für Beleuchtung gilt, „die anlässlich traditioneller oder religiöser Feste (wie beispielsweise Weihnachten) installiert und betrieben wird“.

Es darf also gelichtelt werden!

Was aber bitte nicht bedeutet, alle verfügbaren Lampen bis zum Anschlag aufzudrehen. Es liegt ein weites Feld zwischen totaler Verdunklung und massiver Lichtverschmutzung. Ein paar Lichterketten und Leuchtreklamen weniger tun der Besinnlichkeit sowieso gut, ganz unabhängig von der Energiekrise. Intelligente Lösungen mit LED-Leuchtmitteln sollten selbstverständlich sein. Außerdem kann man Licht auch dimmen. Und die acht über sowieso abschalten. So gesehen ist die Beleuchtungskrise sogar eine Chance, die absurden Auswüchse des Weihnachtsbrimboriums abzurüsten. Weniger könnte da wirklich mal mehr sein.