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Envia-M will komplett weg vom Gas

Deutschland unabhängiger von russischem Gas zu machen, geht nicht über Nacht, erklären die Chefs des ostdeutschen Energieversorgers Envia-M.

Von Nora Miethke
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Envia-M-Chef Stephan Lowis (r.) sieht sich beim Ausbau erneuerbarer Energien in Sachsen gebremst. Ende 2021 kündigte er mit BASF Schwarzheide-Chef Fuchs den Bau eines Solarparks an.
Envia-M-Chef Stephan Lowis (r.) sieht sich beim Ausbau erneuerbarer Energien in Sachsen gebremst. Ende 2021 kündigte er mit BASF Schwarzheide-Chef Fuchs den Bau eines Solarparks an. © BASF Schwarzheide

Die Ukraine musste am Mittwoch kriegsbedingt den Gas-Transit Richtung Westeuropa stoppen. Wird jetzt das Gas knapp? Das glaubt der Vorstand des ostdeutschen Energieversorgers Envia-M vorerst nicht.

„Ob wirklich jetzt weniger Gas ankommt, muss man sehen, denn es gibt noch andere mögliche Routen. Eine akute Gasmangellage erwarten wir erst einmal nicht“, sagte Andreas Auerbach, Vertriebsvorstand und Geschäftsführer der Envia-Tochter Mitgas, am Mittwoch anlässlich der Bilanzvorlage für das Geschäftsjahr 2021 in Chemnitz. Eine Gasmangellage für ein ganzes Land - was ein Novum in Europa wäre - sei aber nach wie vor nicht auszuschließen. Auch wenn es gegenwärtig keine Lieferengpässe gebe, sei eine Gasmangellage für das ganze Land nach wie vor nicht auszuschließen. „Die bittere Wahrheit ist: Ein kompletter Ausfall russischer Gaslieferungen ist im Winter nicht vollständig zu kompensieren“, betonte Auerbach.

Mitgas sieht bei der gesetzlich vorgeschriebenen Füllmenge von Speichern auch die Politik in der Pflicht. Das neue Energiesicherheitsgesetz sei vernünftig. „Aber wenn wir die Speicher zu den gegenwärtig hohen Preisen füllen, kostet das sehr viel Geld.“ Das Befüllen der Speicher auf Vorrat müsse vorfinanziert werden. Man könne das Preisrisiko nicht den Versorgern allein überlassen, fordert Auerbach.

Die Mitgas hat vorausschauend einen Kavernenspeicher in Staßfurt mit einem Volumen von 1,8 Millionen Terawattstunden angemietet. „Wenn wir den zu einem Preis wie aktuell von 100 Euro pro Megawattstunde füllen, kostet das 180 Millionen Euro. Das ist ein Vielfaches unseres Jahresergebnisses.“ Zwar komme beim Verkauf des Gases Geld wieder herein, aber niemand könne eine verlässliche Prognose über die Preisgestaltung abgeben.

Andreas Auerbach, Mitgas-Geschäftsführer und Vertriebs-Vorstand bei Envia-M, sieht derzeit keine Gasmangellage, will sie aber nicht für immer ausschließen. Foto: Mitgas Mitteldeutsche Gasversorg
Andreas Auerbach, Mitgas-Geschäftsführer und Vertriebs-Vorstand bei Envia-M, sieht derzeit keine Gasmangellage, will sie aber nicht für immer ausschließen. Foto: Mitgas Mitteldeutsche Gasversorg © Mitgas Mitteldeutsche Gasversorg

Zur Debatte um einen möglichen Lieferstopp von russischem Gas sagte Auerbach: „Wir brauchen russisches Erdgas, um die Speicher zu füllen. Das gilt mindestens für die nächsten beiden Winter, schlimmstenfalls noch für einen dritten.“ Wenn über Nacht der Hahn abgedreht werde, könnten die Speicher nicht vollständig gefüllt werden. „Und wenn es dann richtig kalt wird, gelangen wir in eine Situation, die wir Gasmangellage nennen“. Dann müsste man Verbraucher abschalten, das werde zuerst die Industrie treffen. Es gebe Produktionsanlagen, die man nicht sofort abschalten könne wie Stahlwerke, Glashersteller und die chemische Industrie. Aber auch die privaten Haushalte müssten sich in Zukunft auf weitere Preissteigerungen einstellen. Mitgas hatte zum 1. Juli eine Erhöhung des Erdgaspreises um 4,25 Cent auf 13,32 Cent pro Kilowattstunde angekündigt.

Wasserstoffbrücke zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt

Langfristig will Envia-M Erdgas durch Wasserstoff ersetzen und „zwar komplett“, betonte Vorstandschef Stephan Lowis. Das rund 7000 Kilometer lange Gasnetz sei schon heute für Wasserstoff geeignet. In dem Projekt „Green Bridge“ soll eine Brücke für grünen Wasserstoff zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt errichtet werden. Im ersten Schritt sind in Bitterfeld, Roitzsch und Thalheim in Sachsen-Anhalt drei Anlagen zur Produktion von grünem Wasserstoff geplant, der dann auf sächsischer Seite von Kunden wie BMW, Porsche und dem Leipziger Flughafen genutzt werden soll. „Wir trauen uns zu, den Gasverbrauch von Porsche, BMW und dem Flughafen Leipzig zu ersetzen“, so Lowis. Doch dafür bedürfe es Förderung und politischer Unterstützung. Envia-M will noch in diesem Jahr beginnen, die Förderanträge zu schreiben. Dann könnte die Wasserstoffbrücke in drei bis vier Jahren realisiert sein.

Dabei will Envia-M auch selbst Erzeuger von Wasserstoff werden und Elektrolysekapazitäten aufbauen. Voraussetzung für grünen Wasserstoff ist aber auch die Verfügbarkeit von Ökostrom. Der Energieversorger treibt den Ausbau erneuerbarer Energien voran und baut neue Solarparks zum Beispiel in Neukirchen im Erzgebirge und gemeinsam mit BASF in Schwarzheide. Nur in Sachsen hinke man vor allem beim Ausbau der Windkraft hinterher und wünscht sich das Unternehmen mit 3.400 Beschäftigten bessere Rahmenbedingungen. Konkret forderte Lowis, die Regionalpläne anzupassen, um mehr Flächen für Windräder auszuweisen, und die Planungsgenehmigungsverfahren zu verkürzen. Im sächsischen Koalitionsvertrag sei das Ziel vereinbart worden, in dieser Legislaturperiode eine zusätzliche Leistung von vier Terawattstunden Windenergie zu installieren. „Stand heute sehe ich dieses Ziel in Gefahr“, so Lowis.

Envia-M, das in diesem Jahr sein 20. Firmenjubiläum feiert, ist trotz aller Risiken ein „kerngesundes Unternehmen“, hieß es. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern lag 2021 bei 316,7 Millionen Euro, eine Million Euro weniger als im Vorjahr. Die Dividende wurde von 0,65 auf 0,77 Euro angehoben - Anteilseigner sind neben dem Energiekonzern rund 650 ostdeutsche Kommunen. Der Energieversorger beliefert nach eigenen Angaben mehr als 1,3 Millionen Kunden in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen mit Strom, Gas und Wärme, betreibt aber auch ein eigenes Glasfasernetz. (mit dpa)