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Gewinne von Envia-M steigen trotz Energiekrise

Der große ostdeutsche Energieversorger Envia-M in Chemnitz hat voriges Jahr viel weniger Strom und Gas verkauft. Warum Chef Stephan Lowis trotzdem steigende Gewinne verteidigt.

Von Georg Moeritz
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Für ihn ist die Energiekrise nicht vorbei: Stephan Lowis, Vorstandsvorsitzender der Envia-M in Chemnitz, warnt vor dem nächsten Winter.
Für ihn ist die Energiekrise nicht vorbei: Stephan Lowis, Vorstandsvorsitzender der Envia-M in Chemnitz, warnt vor dem nächsten Winter. © Archivfoto: Envia-M AG

Chemnitz. Wann werden Strom und Gas wieder billiger? Der große ostdeutsche Energieversorger Envia-M mit Sitz in Chemnitz hat schon vor einigen Wochen angekündigt, zum Juli die Preise zu senken. Doch sie bleiben oberhalb der staatlichen Preisbremsen und sind höher als beim Dresdner Nachbarkonzern Sachsen-Energie. Envia-M-Chef Stephan Lowis machte seinen 1,3 Millionen Kunden am Dienstag keine Hoffnung auf weiter sinkende Preise in den kommenden Monaten. Beim Jahrespressegespräch online sagte Lowis, die Energiekrise sei nicht beendet. Im kommenden Winter könne es erneut Preissprünge geben.

Der Chemnitzer Chef von mehr als 3.300 Beschäftigten in vier Bundesländern sagte, Envia-M sei gut durch das Krisenjahr 2022 gekommen. Doch er könne nicht ausschließen, dass im kommenden Winter mal ein Tanker mit dem Flüssiggas LNG sein Ziel nicht erreiche oder eines der neuen LNG-Terminals zum Entladen nicht funktioniere.

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Vorstandsmitglied Patrick Kather, zuständig für Vertrieb und Erzeugung, kann die nächste Preissenkung auch "noch nicht absehen". Er sagte, Envia-M und die Erdgas-Tochterfirma Mitnetz kauften selbst für zwei bis drei Jahre im Voraus ein. Die gesunkenen Preise an den Energiebörsen wirkten sich daher nicht schnell auf die Verkaufspreise aus.

Gewinn geht an Eon und an ostdeutsche Kommunen

Kurzfristig orientierte Händler könnten jetzt wieder günstig einkaufen und daher niedrigere Preise bieten. "Wir haben einen unfairen Nachteil am Markt", sagte Kather, weil Envia-M Kunden von anderen Händlern übernehmen und die Grundversorgung absichern musste. Weshalb die Sachsen-Energie bei ähnlichen Voraussetzungen niedrigere Preise biete, könne er nicht beurteilen.

Die stark steigenden Preise im vorigen Jahr führten dazu, dass der Umsatz der Firmengruppe Envia-M um mehr als 13 Prozent auf 3,15 Milliarden Euro wuchs. Trotz Energiekrise wuchsen auch die Gewinne. Um 5,6 Prozent auf 335 Millionen Euro stieg das Ergebnis vor Steuerabzug, dabei sind Sondereffekte schon herausgerechnet. Lowis sagte, Envia-M habe beispielsweise von Kostensenkungen für Bauprojekte profitiert, die im Eon-Konzern bereits lange geplant waren.

Der Umsatz der Firmengruppe Envia-M ist voriges Jahr um 13,5 Prozent gestiegen, der Gewinn vor Steuerabzug um 5,6 Prozent.
Der Umsatz der Firmengruppe Envia-M ist voriges Jahr um 13,5 Prozent gestiegen, der Gewinn vor Steuerabzug um 5,6 Prozent. © SZ/Georg Moeritz

Vom Gewinn werden gut 161 Millionen Euro an die Besitzer überwiesen: der größere Teil an den Eon-Konzern, aber auch rund 68 Millionen Euro an die rund 650 beteiligten ostdeutschen Kommunen. Die Dividende pro Stückaktie sinkt von 77 auf 65 Cent. Envia-M versorgt Haushalte und Betriebe außerhalb der größeren Städte in West- und Mittelsachsen, Südbrandenburg, südlichem Sachsen-Anhalt und Teilen Thüringens. Für Ostsachsen ist dagegen Sachsen-Energie zuständig. Envia-M nennt sich "führender regionaler Energiedienstleister in Ostdeutschland".

"Größtes Investitionsprojekt unserer Geschichte" erwartet

Konzernchef Lowis verteidigte die gestiegenen Gewinne auf Nachfrage. Er sagte, er könne zwar die Erwartung von Kunden verstehen, angesichts der gestiegenen Preise auf Gewinne zu verzichten. Doch er sei froh, diese Erwartung nicht erfüllt zu haben. Envia-M habe "als gesundes Unternehmen gut gewirtschaftet". Das Geld werde auch gebraucht, weil Envia-M angesichts der Energiewende "vor dem größten Investitionsprogramm unserer Geschichte" stehe.

Envia-M will zwei Milliarden Euro bis 2026 investieren. "Wir arbeiten stetig an der Versorgungssicherheit", versicherte Lowis. Dieses Jahr sollen 343 Millionen Euro in Stromnetze auf dem Gebiet des Unternehmens investiert werden. Dazu gehört, dass 50 Umspannwerke gebaut oder ertüchtigt werden. Außerdem fließen 50 Millionen Euro in Kommunikationsnetze. Auf manchen Hochspannungsmasten stecken Antennen.

Lowis erinnerte an die "Achterbahnfahrt" der Energiekrise im vorigen Jahr. Für eine mögliche Gasmangellage habe er "nichts in der Schublade" gehabt. Weil der Winter mild war und die Kunden sparten, verkaufte Envia-M voriges Jahr fast ein Viertel weniger Gas als im Jahr zuvor. Der Stromverkauf ließ um 22 Prozent nach. Werbung um Neukunden gab es nicht mehr. Als Vorteil stellte Lowis heraus, dass die Emissionen des Klimagases CO2 von 3,7 auf 3,1 Millionen Tonnen sanken. Envia-M strebe "Klimaneutralität" ab 2040 an.

Neubau von Gaskraftwerken nötig, aber lohnt sich nicht

Um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen, müssten im Gebiet von Envia-M bis 2030 beispielsweise 900 Windkraftanlagen und 1.500 Kilometer Freileitungen gebaut werden. Das sei "nicht schaffbar", sagte Lowis - außer bei "dramatisch geänderten" Gesetzen. Genehmigungsverfahren dauerten immer noch zu lange, auch den Behörden fehle Fachpersonal. Der Staat dürfe nicht vergessen, dass zu neuen Windkraftanlagen und Wärmepumpen auch neue Leitungen gehörten. Das Niederspannungsnetz in den Straßen sei darauf nicht vorbereitet. "Mich stört, dass die Bundesregierung kein Ziel für den Netzausbau vorgegeben hat", sagte der Chemnitzer Konzernchef.

Lowis erinnerte daran, dass im Envia-M-Gebiet bereits mehr Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt werde als aus konventionellen. Für Zeiten mit wenig Wind und Sonne müsse "gesicherte" Leistung beispielsweise aus wasserstofffähigen Gaskraftwerken vorbereitet werden. Doch jetzt Gaskraftwerke zu bauen lohne sich für Energieunternehmen nicht, auch Envia-M habe das nicht vor.

Der Braunkohleverstromer Leag hat allerdings angekündigt, an seinen Standorten wie Schwarze Pumpe und Lippendorf Gaskraftwerke mit 600 bis 900 Megawatt Leistung zu bauen. Lowis sagte, im Herbst wolle die Bundesregierung ein Modell vorstellen, nach dem Gaskraftwerke künftig Geld auch ohne Stromlieferung bekämen - um als Reserve bereitzustehen.

Envia-M investiert weiter in Erneuerbare Energien. Der Konzern besitzt Anlagen mit 194 Megawatt installierter Leistung, voriges Jahr kamen 44 Megawatt neu dazu. Dieses Jahr sollen rund 20 Millionen Euro für Anlagen ausgegeben werden, vor allem für den Solarpark Mockrehna mit mehr als 30 Megawatt. Die Monteure sind zunehmend mit Elektroautos unterwegs.

Gut 60 Beschäftigte weniger

Die Zahl der Beschäftigten bei Envia-M ist voriges Jahr um 62 gesunken, auf 3.336 Vollzeitstellen. Personal-Vorstandsmitglied Sigrid Nagl sagte, das sei nicht etwa Folge eines Sparprogramms. Fachkräfte seien nötig, um die "ehrgeizigen Pläne der Energiewende" umzusetzen. Ziel sei die Sicherung des Mitarbeiterstammes. Derzeit seien 200 Stellen offen.

Envia-M will dieses Jahr 90 Berufsanfänger einstellen und bildet auch Kaufleute mit der neuen Berufsbezeichnung Digitalisierungsmanagement aus. An den großen Bürostandorten Halle und Markkleeberg buchen die Beschäftigten über eine App ihre Schreibtische wie Dienstwagen. Es gebe dort sowohl Räume der Begegnung als auch Büros zum Zurückziehen. Ein Großteil der Mitarbeiter sei aber am Netz tätig, und auch die Arbeit in der Leitstelle könne nicht mit ins Homeoffice genommen werden.

Nagl sagte, die Energiekrise habe zumindest den Vorteil gebracht, dass die Bedeutung der Branche für die Sicherheit der Versorgung allgemein aufgefallen sei. "Wir sind im Rennen um die besten Talente", sagte die Personalchefin. Doch auch ein großer Konzern spüre die Alterung der Gesellschaft. Statt früher zehn kämen nur noch zwei bis fünf Bewerber pro Ausbildungsplatz, und weniger als früher bestünden die Eignungstests.