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Kohlekraftwerke Jänschwalde: Inbetriebnahme wird kompliziert

Die stillgelegten Kohlekraftwerke der Leag in Jänschwalde wieder ans Netz zu schicken, ist eine Herausforderung. Ein Knopfdruck alleine reicht längst nicht.

Von Irmela Hennig
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Wegen der Gaskrise hat der Bundestag den Weg dafür frei gemacht, mehr Kohlekraftwerke zur Stromerzeugung heranzuziehen.
Wegen der Gaskrise hat der Bundestag den Weg dafür frei gemacht, mehr Kohlekraftwerke zur Stromerzeugung heranzuziehen. ©  Archiv/Patrick Pleul/dpa

Rohre gegen Rost schützen, 52 Heizlüfter installieren, um Frostschäden zu verhindern, Stellen sozialverträglich abbauen. Das vorzeitige Aus für zwei Kraftwerksblöcke am brandenburgischen Standort Jänschwalde beim Energieunternehmen Leag war ein großes Stück Arbeit. Begleitet von emotionalem Protest der Mitarbeitenden. Sie stellten beispielsweise im November 2017 in Cottbus 600 leere Stühle vor die Stadthalle, um die verlorenen Jobs anschaulich zu machen.

Inzwischen sind die Jänschwalder Kraftwerksblöcke E und F weitgehend außer Betrieb. Sie wurden 2018 und 2019 in die sogenannte Sicherheitsbereitschaft überführt. Das heißt, sie sind nicht mehr regulär zur Stromerzeugung am Netz, können im Notfall aber aktiviert werden. Eigentlich wäre für sie zum 1. Oktober dieses Jahres beziehungsweise 2023 endgültig Schluss gewesen. Doch nun sollen sie zunächst befristet bis Ende März 2024 noch einmal laufen.

Ein Knopfdruck reicht nicht

Grund sind sinkende Gaslieferungen aus Russland, Sorge vor einem totalen Stopp dieser Lieferungen und das Ziel der Bundesregierung, sich von russischen Gas weitgehend unabhängig zu machen. Gas wird auch zur Stromerzeugung eingesetzt – 2021 lag der Anteil dieses Brennstoffs am Strommix laut Verband Zukunft Gas bei 15 Prozent. Tendenz damals leicht abnehmend.

Die Jänschwalder Blöcke für einen längeren Zeitraum wieder in Betrieb zu nehmen, das geht nicht per Knopfdruck. Schon für einen Kurzeinsatz – wofür die Bereitschaft eigentlich gedacht war – wären zehn Tage Vorlaufzeit nötig gewesen. Das hatte die Leag vor einigen Jahren angegeben. Für einen längeren Betrieb liegen die Hürden höher. Das Entfernen der Heizlüfter sei noch die geringste Aufgabe, wie Unternehmenssprecherin Kathi Gerstner sagt. „Wir habe ja keine praktische Erfahrung damit, denn die Leistung der Blöcke wurde nie aufgerufen.“ Sprich – sie waren zwar die ganze Zeit in Sicherheitsbereitschaft, doch ohne aktive Einsatzphase.

Darum laufen nun, so die Sprecherin, für beide Blöcke umfangreiche Funktionsproben und Revisionsarbeiten. Dabei sei man abhängig von den Kapazitäten bei Material und bei den Servicepartnern. Sind die Kraftwerksbereiche erst einmal wieder in Betrieb, können sie „für unbestimmte, längere Zeit betrieben werden“. Konkrete Vorgaben dazu kommen vom Gesetzgeber. Ziel sei es, „Gas aus der Stromerzeugung zu ersetzen und so einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Strom- und Wärmeversorgung zu leisten“, so Kathi Gerstner. Denn von Jänschwalde aus werden viele Menschen in Cottbus und in Peitz auch mit Fernwärme versorgt. Alle sechs Blöcke des Kraftwerkes haben eine installierte Leistung von je 500 Megawatt. Zusammen könnten sie theoretisch für 5,7 Millionen Haushalte Strom bereitstellen, ist auf der Leag-Webseite zu lesen.

Für den Betrieb der Blöcke E und F benötigt das Unternehmen etwa 200 zusätzliche Mitarbeiter. Es gehe unter anderem um Ingenieure und Elektroniker. Die meisten werden im Kraftwerk, einige Kollegen aber auch im Tagebau, also bei der Kohleförderung, gebraucht. Die Personalsuche laufe über Stellenanzeigen im Print- oder Onlinebereich, es werden ehemaliges Personal rekrutiert oder Mitarbeiter aus dem Vorruhestand zurückgeholt. Es gebe auch Kooperationen mit anderen Unternehmen. Wie viel mehr an Kohle der Neustart der Blöcke erfordert, stehe indes noch nicht fest. Das werde gerade analysiert.

Ein Problem ist: Die Jänschwalder Blöcke E und F erfüllen nicht die Vorgaben, welche die 13. Verordnung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes für solche Anlagen macht. Konkret gehe es unter anderem um eine Abweichung von Grenzwerten beim Ausstoß von Luftschadstoffen, beispielsweise Stickstoff, wie das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz in Brandenburg auf Nachfrage informiert. Die Leag habe deswegen eine Ausnahmegenehmigung beantragt – auch dafür, von konkreten Messanforderungen abweichen zu können. „Das Verfahren hierzu ist noch nicht abgeschlossen, ein Bescheid ist für Ende September beabsichtigt“, teilt Ministeriumssprecher Sebastian Arnold mit. Geprüft werde zum Beispiel, ob die gesetzlichen Anforderungen nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohen Aufwand erfüllbar seien oder ob immissionsschutzrechtliche Vorgaben der EU dem Ganzen entgegenstehen.

Starttermin ist offen

Davon abgesehen, hatte ein Sprecher des Sächsischen Umweltministeriums kürzlich darauf verwiesen, dass Kraftwerksbetreiber für Blöcke, die in Sicherheitsbereitschaft mussten, eine Entschädigung erhalten. Die könne bei einer Wiederinbetriebnahme möglicherweise wegfallen, so der Sprecher. Dem sei aber nicht so, wie es aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz heißt; die entsprechenden Regelungen gelten weiter. Insgesamt knapp 1,7 Milliarden Euro wurden den betroffenen Kraftwerksbetreibern zugesagt.

Aus der Sicherheitsbereitschaft werde laut Bundesministerium zum 1. Oktober 2022 eine Versorgungsreserve. Dann können Braunkohlekraftwerke unter bestimmten Voraussetzungen vorübergehend wieder ans Netz gehen.

Noch ist offen, wann das in Jänschwalde passiert. Und ob überhaupt. Vom Bund braucht es dafür erst noch eine Verordnung. Sollte die kommen, darf die Leag mit den beiden Blöcken ab 1. Oktober 2022 wieder regulär am Markt agieren. Im Rahmen der Sicherheitsbereitschaft hätte der Netzbetreiber die Reserve anfordern müssen oder könnte dies jetzt auch noch tun. Aber dafür gebe es, laut Leag, derzeit keine Anzeichen. Den Notfall-Einsatz der Blöcke für wenige Tage könnte das Energieunternehmen auch jetzt schon leisten. Doch nun gehe es um einen längerfristigen Betrieb, dafür müsse anders gewartet und mehr Personal gewonnen werden. Deswegen brauche es Zeit für die Vorbreitung, wie Kathi Gerstner erklärt.

Wenn es tatsächlich losgeht, werde zum Anfahren jedes Blockes als erstes der Dampferzeuger gezündet, so Sprecherin Kathi Gerstner. Das erfolge mit Heizöl. „Zeitlich gestaffelt werden dazu sechs Ölbrenner in Betrieb genommen.“ Nach rund einer Stunde stellen sich die Bedingungen wie Temperatur im Feuerraum des Dampferzeugers für den Start der Kohlefeuerung ein.

Kritik vom Umweltnetzwerk Grüne Liga

Die erste Kohlemühle werde zugeschaltet, Braunkohlenstaub in den Feuerraum eingeblasen. Der Staub zünde und verbrenne. Nach und nach werde weitere Mühlen in Gang gesetzt. Wenn vier laufen, sei die Kohlenstaubfeuerung stabil. Die Ölbrenner brauche man dann nicht mehr.

Kritik an der Wiederinbetriebnahme der Blöcke kommt laut Sender RBB vom Umweltnetzwerk Grüne Liga. Der Grund – für den Antrieb der Dampfturbinen würden 13 Millionen Kubikmeter Wasser gebraucht. Und dies im stark unter Trockenheit leidenden Brandeburg. Allerdings nutze die Leag nach eigenen Angaben Grubenwasser aus dem Tagebau Jänschwalde. Das muss ohnehin abgepumpt werden, damit das Bergwerk nicht absäuft.

Für andere Anlage der Leag stellt sich die Frage nach dem Reaktivieren derzeit nicht. Weder in Boxberg, noch in Schwarze Pumpe sind Blöcke in Sicherheitsbereitschaft. Sachsens große Kohlekraftwerke gehen gemäß Kohleausstiegspfad zwischen 2029 und 2038 vom Netz. Sie sind also derzeit noch komplett in Betrieb. Der Mitteldeutsche Braunkohleverstromer Mibrag ist gar nicht betroffen; er legt das Kraftwerk im sachsen-anhaltinischen Schkopau laut Plan erst 2034 still.