Neue Entlastungen wegen Gas-Umlage geplant

Von Georg Ismar
Es ist inzwischen fast ein tägliches Duell. Während Kanzler Olaf Scholz (SPD) abwartet, wie die Dinge sich in der Koalition entwickeln, beharken sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) und streiten um den Weg zu weiteren Entlastungen wegen der Folgen von Wladimir Putins Kriegspolitik.
Beim Tankrabatt, der zunächst offensichtlich nicht komplett weitergegeben wurde, schob Lindner den Ball Habeck zu. Der sei ja für das Kartellamt und damit die Preisaufsicht zuständig. Habeck nutzte die Vorlage und kündigte eine Verschärfung des Kartellrechts an, um mehr Transparenz in den Spritmarkt zu bekommen. Doch die zeitweise Erhöhung der Benzin- und Dieselpreise auf über zwei Euro pro Liter war ein laues Lüftchen gegen das, was gerade auf die Gaskunden in Deutschland zukommt.
Habeck ist es nun, der bei einem ersten konkreten Vorschlag vorprescht, um hier für etwas Entlastung zu sorgen. Er will bei der Gas-Umlage die Mehrwertsteuer streichen. Gerade bei SPD und Grünen wächst die Sorge, dass die Bürger mit Wut und Unverständnis reagieren, wenn sie Schwarz auf Weiß die neuen Gasrechnungen sehen.
„Insgesamt haben 136 Grundversorger bisher Erhöhungen von durchschnittlich 50 Prozent angekündigt“, sagt Lundquist Neubauer vom Vergleichsportal Verivox auf Tagesspiegel-Anfrage. Allerdings schwankten die Erhöhungen stark.
Die Stadtwerke Konstanz zum Beispiel erhöhen ihren Grundversorgungstarif zum 1. September um 152 Prozent. Bei einem Durchschnittshaushalt mit einem Verbrauch von 20000 Kilowattstunden seien das Mehrkosten von 2642 Euro im Jahr. Obendrauf soll nun die Gas-Umlage kommen. Nach Habecks Plänen sollen die Gashändler bis zu 90 Prozent der rasant gestiegenen Beschaffungskosten an die Gaskunden weitergeben dürfen.
Alle Gaskunden bezahlen ab Oktober indirekt Uniper-Rettung mit
Weil Russland die Lieferungen etwa durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 auf 20 Prozent gedrosselt hat, mussten Gashändler für viel Geld Ersatzlieferungen beschaffen. Deshalb geriet das größte Unternehmen, Uniper, so in Schieflage, dass der Staat mit Milliardensummen einspringen muss. Alle Bürger, die mit Gas heizen und die Industrie, die Gas für ihre Produktionsprozesse braucht, bezahlen ab Oktober über die Umlage indirekt die Uniper-Rettung mit.
Die Gas-Umlage soll laut Habeck zwischen 1,5 Cent und fünf Cent je Kilowattstunde (kWh) liegen. Derzeit kostet eine Kilowattstunde laut Vergleichsportal Verivox durchschnittlich etwa 26 Cent, vor einem Jahr waren es noch weniger als sechs Cent gewesen. Fast so viel könnte nun allein die zusätzliche Gas-Umlage ausmachen.
Für eine Familie mit einem Jahresverbrauch von 20000 kWh bedeute das unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer Mehrkosten zwischen 357 und 1190 Euro zusätzlich, sagt Verivox-Experte Neubauer. Insgesamt könnten so die Mehrbelastungen für eine Familie bis zu 4000 Euro im Jahr ausmachen, also mehr als die Kosten eines mehrwöchigen Urlaubs.
Der Staat verdient an den höheren Gaspreisen kräftig mit, dank der 19 Prozent Mehrwertsteuer. Laut „Spiegel“ könnte der Fiskus nur durch die Gaspreissteigerungen über 3,6 Milliarden Euro mehr an Mehrwertsteuer einnehmen.
Habeck spielt Lindner den Ball zu, denn der Staat würde auch bei der Umlage noch mitverdienen. „Auf die Umlage eine Mehrwertsteuer zu erheben, wäre falsch“, sagte Habeck dem Tagesspiegel. Er gehe davon aus, dass auch das Finanzministerium so sehe.

Linder lässt schnell verbreiten, er prüfe das nun. Aber sein Ministerium spielt den Ball zugleich zu Habeck zurück. Das Klimaschutz- und Wirtschaftsministerium habe die Umlage leider so ausgestaltet, dass nach europäischem Recht eigentlich Mehrwertsteuer anfallen müsse. Habeck wiederum kontert er hoffe, dass Lindner eine Lösung finde.
Was bedeutet „You’ll never walk alone“ konkret?
Laut Verivox könnte die Umlage ohne Mehrwertsteuer bei einem Single-Haushalt um 14 bis 48 Euro geringer ausfallen, beim Paar-Haushalt um 34 bis 114 Euro, bei Haushalten mit Einfamilienhaus um 57 Euro bis 190 Euro. Es zeichnet sich ab, dass die Mehrwertsteuer hier nicht greifen soll, aber die bange Frage im politischen Berlin lautet, Reicht das? Scholz hat schließlich versprochen „You’ll never walk alone“. Denn zugleich will Lindner die Schuldenbremse 2023 wieder einhalten.
Zwar sind vor allem für Arbeitslose und Wohngeldempfänger weitere Entlastungen angekündigt, aber die Folgen der Putinschen Lieferblockade werden vor allem auch die Mittelschicht hart treffen.
Christoph Meyer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP, warnt auf Tagesspiegel-Anfrage vor neuen Entlastungen mit der Gießkanne. Mit weiteren Einmalzahlungen würden nur weitere „Bürokratiemonster“ geschaffen und „gegebenenfalls sogar noch die Inflation angeheizt“.
SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch erinnert daran, dass bereits die EEG-Umlage beim Strompreis abgeschafft worden ist und 300 Euro Energiekostenpauschale im September ausgezahlt wird. Aber er macht an die Adresse der FDP deutlich, dass das nicht reichen werde. „Mich besorgt, dass gerade Familien und Rentner, die knapp zu viel für Transferleistungen verdienen, die Last der steigenden Kosten nicht mehr stemmen können.“
Damit die Belastung der kleineren und mittleren Einkommen nicht aus dem Ruder laufe, müssten Miersch zufolge auch die derzeitigen Über-Gewinne in der Energiewirtschaft gerecht verteilt werden. „Wir können doch niemandem erklären, dass einige Energiekonzerne Milliarden Über- Gewinne machen, aber Energieimporteure vom Gaskunden gestützt werden müssen.“
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Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch will das auch und betont: „Wir werden Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, Rentnerinnen und Rentner und Menschen in der Grundsicherung gezielt und substanziell entlasten müssen und das nicht irgendwann, sondern ab Herbst. Eine einfache Abschaffung der kalten Progression ist das falsche Instrument, da es vor allem Topverdiener entlastet“.
Der FDP-Fraktionsvize Meyer ist strikt gegen eine Übergewinnsteuer. Das würde die Wirtschaft weiter belasten und Arbeitsplätze gefährden. „Das geeignete Instrument zur Entlastung der breiten Mitte ist der Abbau der kalten Progression: Hierdurch erhalten die Arbeitnehmer direkt einen höheren Nettolohn.“
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Somit stehen der Ampel hier harte Debatten bevor. Der Grünen-Politiker Audretsch betont gegenüber dem Tagesspiegel, es brauche jetzt ein Moratorium für Strom- und Gassperren, Kündigungen seien ausschließen. „Niemand darf im Winter in einer so schwierigen Lage die Wohnung verlieren.“ Mit Blick auf die Unternehmen müssten Hilfsprogramme verlängert werden. „Es geht um den Erhalt von Lieferketten, Arbeitsplätzen und Perspektiven für viele Menschen.“
Zudem brauche es einen Energiespar-Gipfel im Kanzleramt, bei dem Kommunen, Länder und der Bund verbindliche Einsparziele festlegen, fordert der SPD-Politiker Miersch.
Um das EU-Einsparziel von 15 Prozent zu erreichen, muss Deutschland so viel Gas einsparen wie fünf Millionen größere Haushalte im Jahr verbrauchen. Immerhin an einer Stelle gibt es Entwarnung. Die „Bild“-Zeitung hatte berichtet, dass Millionen Heizungen bei zu geringen Gasflüssen sich automatisch ausschalten könnten – erst Handwerker könnten sie wieder in Gang bringen.
Aber die Bundesnetzagentur will mit der Kontrolle der Gasflüsse und zur Not dem Abschalten von Industriebetrieben dafür sorgen, dass genau so ein Szenario nicht eintreten kann. Die stabile Lastverteilung sei in der jetzigen Krise schließlich deren zentrale Aufgabe, wird in Regierungskreisen betont.