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Sachsens Industrie und die Energiekrise: Ohne Gas kein Glas

Die Glashütte Freital kämpft seit Monaten mit der Energiekrise. Auch die Farbglashütte Reichenbach macht sich Sorgen, dass Erdgas rationiert wird. Droht ein zu schnelles Abschalten?

Von Georg Moeritz
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Sachsenflasche mit Drehverschluss: Die Glashütte Freital kann bei 1.500 Grad viele Lebensmittelverpackungen produzieren. Aber ohne Hitze gehen ihre Glaswannen kaputt.
Sachsenflasche mit Drehverschluss: Die Glashütte Freital kann bei 1.500 Grad viele Lebensmittelverpackungen produzieren. Aber ohne Hitze gehen ihre Glaswannen kaputt. ©  Archivfoto: Claudia Hübschmann

Freital. Das ist richtig heiß: Bei über 1.500 Grad werden Altglas, Sand und Karbonate zu Glas geschmolzen – zu Wackerbarth-Weinflaschen, zu Nudossi-Gläsern und zu Verpackungen für Honig, Gewürze und Leberwurst.

Die 130 Beschäftigten der Glashütte Freital GmbH haben zu tun: „Das Geschäft muss ja laufen, weil keine Bier- und Weinflaschen mehr aus Russland und der Ukraine kommen“, sagt Geschäftsführer Hans-Bernhard Führ. In der Corona-Krise war schon die Nachfrage nach Haushalts-Konservengläsern aus Freital gestiegen. Das Unternehmen investierte sogar in die Entwicklung neuer Modelle. Nun werden wegen des Ukraine-Krieges Flaschen und andere importierte Lebensmittelverpackungen knapp.

Doch die Glashütte Freital kann das große Interesse an ihren Hohlglasbehältern für die Nahrungsmittel-Industrie nicht recht genießen. Der Betrieb bekommt die Energiekrise zu spüren, und zwar schon seit vorigem Jahr.

Schon im Dezember eine Produktionslinie abgestellt

Ende Dezember stellte Führ eine seiner beiden Produktionslinien in Freital-Deuben ab. Der Grund: Der Erdgaslieferant aus Oldenburg war pleite gegangen. Er war einer von mehreren Energielieferanten in Deutschland, die günstige Preise versprochen hatten, aber das Versprechen nicht halten konnten.

Dabei steht im Geschäftsbericht der Glashütte Freital für 2020 der beruhigende Satz, dass die Energiekosten bis einschließlich 2022 festgeschrieben werden konnten. Stattdessen musste sich die Glashütte Freital um andere Lieferanten kümmern und zahlt steigende Preise für einen ihrer wichtigsten Rohstoffe: „Wir hängen am Spotmarkt für Gas“, sagt Führ. Statt langfristiger Absicherung ist nun der tägliche Blick auf die Energiepreise gefragt.

Falls die Glashütte plötzlich gar kein Gas mehr bekommen sollte, müsste sie nicht nur die Produktion unterbrechen – ihre beiden Glaswannen würden kaputtgehen. Der Bundesverband Glasindustrie erklärt das so: Glas wird in großen Schmelzöfen hergestellt, die kontinuierlich mit Rohstoffen befüllt werden. Erdgas zum Heizen ist üblich, von Öl haben sich die meisten Betriebe verabschiedet, Wasserstoff erfordert noch Untersuchungen.

Die Glashütte Freital von der S-Bahn aus: An der Halle im Stadtteil Deuben steht noch der frühere Name Glaswerk Freital.
Die Glashütte Freital von der S-Bahn aus: An der Halle im Stadtteil Deuben steht noch der frühere Name Glaswerk Freital. © Georg Moeritz

Nicht genügend Fachfirmen zum kontrollierten Abschalten

Normalerweise bleibt eine Glaswanne aus feuerfesten Materialien bis zu 20 Jahre lang im Dauerbetrieb. Wird dieser Thermoprozess für mehr als ein paar Stunden unterbrochen, sinkt die Temperatur, das geschmolzene Glas erstarrt, und „die Ofenanlage wird irreversibel beschädigt“.

Geschäftsführer Führ sagt, die Öfen ließen sich zwar zur Vorbeugung „kontrolliert herunterfahren“. Doch das dauere eine bis anderthalb Wochen, und darum müsse sich eine Fachfirma kümmern. Es gebe aber nicht genügend Fachfirmen, die alle Glaswerke gleichzeitig bedienen können.

Zur Branche gehören rund 400 Betriebe in Deutschland mit 56.000 Beschäftigten, darunter große Flachglashersteller. Der Bundesverband berichtet, mit den vorhandenen Materialien und Arbeitskräften könnten in Deutschland nur etwa zehn Glaswannen gleichzeitig und etwa 30 pro Jahr repariert werden. Ein Gasstopp würde in Sachsen wohl auch die Trinkgläserproduktion der Stölzle Lausitz GmbH in Weißwasser, die Flaschenproduktion von O-I Germany in Bernsdorf bei Hoyerswerda und den Betrieb der Flachglas Torgau GmbH treffen.

Farbglashütte hat Vertrag mit Gaspreisen bis Ende 2023

Auch die Farbglashütte Reichenbach bei Görlitz mit 30 Beschäftigten macht sich Sorgen. Dabei hat ihr Geschäftsführer Ralf Teuchert voriges Jahr mit dem Dresdner Unternehmen Sachsen-Energie Gaspreise bis Ende 2023 festgeschrieben, wenn auch auf höherem Niveau als zuvor. „Aber was sind die Verträge wert, wenn Gas knapp wird?“, fragt sich der Geschäftsführer.

Gerade jetzt sei die Geschäftslage „sehr gut“, berichtet Teuchert. Seine Farbglashütte beliefert Glaskünstler, manchmal auch die Bauindustrie mit schillernden Stäben und Granulaten. Fast 200 Farben sind in Reichenbach zu bekommen. Zwar befeuert Teuchert keine Glaswanne, aber einen Ofen – der auch etwa zwei Wochen zum kontrollierten Abkühlen benötigt.

Bundesnetzagentur entscheidet im Notfall, wer Gas erhält

Doch zwei Wochen Frist würden ihm im Notfall nicht zugestanden, das hat der Firmenchef schon erfahren. Die Bundesnetzagentur wird bei Gasmangel entscheiden, welche Betriebe noch Energie bekommen. Wohnungen und Krankenhäuser gehen vor, bei der Industrie kommt es auf die Bedeutung an.

Der Bundesverband Glas hat daher im April eine Stellungnahme zur Versorgungssicherheit geschrieben, in der er das „ressourcenschonende Behälterglas für die Lebensmittelindustrie“ und das Pharmazieglas für Medizinprodukte erwähnt. Der Dresdner Fotovoltaik-Spezialist Solarwatt bezieht Glasscheiben für seine Solarmodule aus Brandenburg und weist darauf hin, dass ohne diese Scheiben auch die Energiewende ausgebremst würde.

Hans-Bernhard Führ von der Glashütte Freital hat wenig Hoffnung, dass er im Fall einer strengen Erdgas-Rationierung durch die Bundesnetzagentur weiter produzieren könnte: „Dann gehen die Lichter aus. Aber nicht nur bei uns.“