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Wann wird Strom wirklich billiger?

Sachsens Energieminister Günther widerspricht Kretschmer: Ein erhöhtes Stromangebot werde nicht zu sinkenden Preisen führen. Er fordert eine Reform des Preisbildungsprozesses.

Von Nora Miethke
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Wolfram Günther, Sächsischer Staatsminister für Ernergie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft, spricht sich für eine Zufallsgewinnsteuer aus.
Wolfram Günther, Sächsischer Staatsminister für Ernergie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft, spricht sich für eine Zufallsgewinnsteuer aus. © Jürgen Lösel

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer fordert regelmäßig, die Bundesregierung sollte sich stärker für eine „Angebotserweiterung“ bei Energie einsetzen, damit die Energiepreise wieder sinken könnten, statt die Bevölkerung zum Energiesparen aufzurufen. Für eine Angebotserhöhung müsse „alles in die Waagschale geworfen werden“, so der CDU-Politiker vergangene Woche in Dresden und hat vermutlich im Sinn, dass die Atomkraftwerke länger laufen müssen, die letzten Braunkohlekraftwerke nicht schon 2030 stillgelegt werden dürfen und der Ukraine-Krieg „eingefroren“ werden soll, damit wieder russisches Gas nach Deutschland fließt.

Dieser Logik widerspricht Sachsens Energieminister Wolfram Günther vehement. „Die Preise an den Märkten müssen runter. Das ist existenziell für Bürgerinnen, Bürger und Wirtschaft“, so Günther gegenüber Sächsische.de. Aber der Haken sei: „Eine Ausweitung der Strommengen bringt keine Hilfe. Auch wenn das viele fordern, die Ausweitung des Angebots senkt den Preis nicht“, sagt der Grünen-Politiker.

Warum nicht? Günther verweist auf den Preisbildungsmechanismus an den Strommärkten, der dafür sorgt, dass immer die teuerste Kilowattstunde den Preis bestimmt. Diese komme aus technischen Gründen aus Gaskraftwerken. „Zusätzliche Mengen würden nur zu den aktuell hohen Preisen gehandelt“, betont der Minister.

Preisbildung nach der Merit-Order-Logik

An der Strombörse werden die Preise für den jeweils nächsten Tag ermittelt. Dabei kommt die Merit-Order-Logik ins Spiel: Bei täglichen Auktionen werden die Kraftwerke zu ihren jeweiligen Grenzkosten angeboten. Das sind variable Kosten wie zum Beispiel Brennstoff- und CO2-Kosten. Auf der anderen Seite stellen die Energielieferanten Order, um ihren Energiebedarf für den Folgetag zu decken. Die Börse ordnet die Angebote der Kraftwerksbetreiber in aufsteigender sowie die Nachfrage in absteigender Reihenfolge (Merit Order-Kurve) und ermittelt das Kraftwerk, das gerade noch zur Deckung des Energiebedarfs notwendig ist – für jede einzelne Stunde des Folgetags. Der Strompreis dieses letzten Kraftwerks ist somit preissetzend für die gesamte benötigte Strommenge: Jedes Kraftwerk bekommt den gleichen Preis für die erzeugte Menge. Und diese letzte benötigte Kilowattstunde Strom wird in Gaskraftwerken erzeugt – zu enorm gestiegenen Gaspreisen. Die Vergütungen der anderen Produzenten steigen „künstlich“ mit.

„Dieser Mechanismus muss dringend verändert werden. Dann gehen auch die Preise runter“, sagt Günther. Er setzt sich dafür in Berlin und Brüssel ein und hält das auch im Zusammenspiel von Bund und EU für machbar. „Denn wir haben kein Mengenproblem beim Strom, wir haben ein Mengenproblem beim Gas“. Die Forderung, Kohlekraftwerke hochzufahren, hält er für wohlfeil. Die sächsischen Braunkohlekraftwerke würden bereits unter Volllast laufen. Aber nicht allein, um Gas zu ersetzen, sondern weil Riesenmengen Strom nach Frankreich exportiert werden. „Wir haben in diesem Jahr bis jetzt schon mehr Strom exportiert als im gesamten Jahr 2021. Wir springen in die Bresche für den Ausfall maroder Atomkraftwerke in Frankreich und weil dort Kühlwasser fehlt. Und das hat rein gar nichts mit dem Krieg in der Ukraine zu“, betont der Energieminister. Dies sei auch ein alarmierender Fingerzeig dafür, was Atomstromerzeugung in Zeiten der Klimakrise bedeute.

Energie-Experten zweifeln an Reform

Die EU will die Preise auf dem Strommarkt entkoppeln, so dass Verbraucher für günstigen Strom aus Sonne und Wind weniger bezahlen müssen. Bis Ende des Monats soll die EU-Kommission Vorschläge vorlegen, wie das geschehen soll. Energie-Experten wie der Ökonom Georg Zachmann von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel haben allerdings Zweifel, ob das hilft. Laut Zachmann würde der Preis sich auch in einem alternativen System auf den Preis der teuersten Energiequelle einpendeln. „Das ist eine ökonomische Gesetzmäßigkeit“, so Zachmann, die daran liege, dass auch Anbieter von günstigem Strom - etwa aus Windkraft - einen höheren Preis verlangen können, wenn die Nachfrage steigt und teurere Energiequellen wie Gaskraftwerke eingeschaltet werden müssen.

„Den Merit-Order-Preismechanismus kann man, glaube ich, nur dauerhaft aussetzen, wenn man den Markt radikal zentralisiert“, sagt Zachmann. Eine Entkopplung sei nur möglich, wenn der Staat quasi in alle Vertragsbeziehungen eingreifen könne. Solch eine Reform sei aber langwierig und politisch unrealistisch, auch wegen unterschiedlicher Interessen der Länder und Energiefirmen.

Übergewinnsteuer trifft auch Ökostrom-Hersteller

Dagegen hält Zachmann eine Übergewinnsteuer für sinnvoll. Die exzessiven Gewinne der Stromunternehmen müssten besteuert und dieses Geld dann an die Kunden zurückzahlt werden, so der Energie-Ökonom. Die Bestimmung der Übergewinne sei jedoch kompliziert, auch weil Strom, der voriges Jahr verkauft wurde, erst jetzt produziert werde. Die EU Kommission schlägt vor, die Gewinnmargen für alle Energieformen außer Gas bei 200 Euro pro Megawattstunde abzuschöpfen.

Auch Wolfram Günther hält dies für den richtigen Weg, „So kann Geld zielgenau an Verbraucherinnen, Verbrauchern und Unternehmen zurückgegeben werden“, so der sächsische Energieminister. Allerdings wären von der Steuer auch die Produzenten von Ökostrom betroffen. Die Branche warnt vor einem Abbremsen des Ausbaus von Erneuerbaren Energien. Schwierig dürfte die Definition sein, was „Übergewinne“ sind und wo man die Grenze zieht. Die Bedenken der EE-Produzenten seien nachvollziehbar, allerdings wäre der Ausbau auch mit dem geltenden EEG-Vergütungssystem „möglich und leistbar“, heißt es im sächsischen Energieministerium. Zudem gibt es Vorschläge, die Einnahmen aus der Zufallsgewinnsteuer neben der Unterstützung von Haushalten auch für den Ausbau Erneuerbarer Energien oder Speichertechnologien zu nutzen.

Angebot und Nachfrage wieder einpendeln

Die wichtigste Aufgabe mit Blick auf die Zukunft bleibt für ihn: „Erneuerbare ausbauen“. Die Flächen für Windenergie seien da. Sie müssten nur planungsrechtlich freigegeben werden, fordert Günther. Beim Thema Solar müssten die komplizierten Regeln für private Hauseigentümer schnell vom Bund erleichtert werden. Auch bei der Nutzung von Biomasse müsse es Erleichterungen geben. Ein weiteres Thema ist der Brennstoffwechsel. „Heizkraftwerke, die von Gas etwa auf Leichtöl umstellen, brauchten bislang komplizierte Genehmigungen. Mein Haus hat schon im Juni einen Erlass verabschiedet, damit das schneller geht“, macht Günther aufmerksam

Das Grundproblem bleibt jedoch der Mangel an Energie. Der Brüsseler Energie-Ökonom Zachmann.plädiert dafür, so viele Kraftwerke wie möglich zusätzlich ans Netz zu bringen, damit mehr Energie verfügbar ist, und gleichzeitig mehr Anreize zum Energiesparen zu machen. „Wenn wir Angebot und Nachfrage wieder besser in Einklang bringen, dann lösen sich viele dieser Preis-Probleme auch aus dem gewohnten Mechanismus wieder“, ist er sich sicher. (mit dpa)