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In Sachsen bleiben 2.000 Lehrstellen unbesetzt

In diesem Jahr sind in Sachsen mehr Lehrverträge unterschrieben worden als im letzten Vor-Corona-Jahr. Doch Tausende Ausbildungsplätze bleiben frei. Warum Angebot und Nachfrage nicht immer zusammenpassen.

Von Georg Moeritz
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Ausbildung am Modell einer Produktionsanlage: Max Walther arbeitet in der Lehrwerkstatt des Mikrochip-Herstellers Globalfoundries in Dresden. Er musste nur eine Bewerbung schreiben.
Ausbildung am Modell einer Produktionsanlage: Max Walther arbeitet in der Lehrwerkstatt des Mikrochip-Herstellers Globalfoundries in Dresden. Er musste nur eine Bewerbung schreiben. © dpa/Sebastian Kahnert

Dresden. Für Technik hat sich der 18-jährige Max Walther schon immer interessiert. Doch an seiner Oberschule in Dresden-Tolkewitz fiel sogar das Löten aus – der Fachlehrer fehlte. Dafür kann der Auszubildende Max Walther jetzt in der Lehrwerkstatt in Dresdens größter Fabrik viel Technik ausprobieren.

Der künftige Mechatroniker setzt unter Anleitung des Ausbilders Mirko Augustin Teile einer Übungs-Anlage zusammen, samt kleinem Transportband. Ähnliche Maschinen in groß stellen bei Globalfoundries Mikrochips her. Den Reinraum mit den richtig komplizierten und teuren Anlagen wird Max Walther erst in einigen Monaten zum ersten Mal betreten. „Leider“ war das Herz der Fabrik bisher noch nicht Teil der Ausbildung, berichtet der Lehrling.

Doch Max Walther plant schon, nach der Ausbildung noch einen Techniker-Lehrgang zu machen. Er wird später Anlagen warten, reparieren und Verschleißteile austauschen – sein Beitrag zur Produktion von Mikrochips fürs Handy oder Auto. Globalfoundries wächst gerade rasch und will innerhalb von zwei Jahren die Produktionskapazität verdoppeln.

Erst Ausbildung, dann Studium - der Betrieb macht mit

Die Ausbildungsleiterin Cornelia Löwe berichtet, die Zahl der Auszubildenden bei Globalfoundries Dresden von jetzt 93 solle nächstes Jahr auf 125 steigen. Der Betrieb hat 3.400 Beschäftigte, Lehrlinge bekommen dort eine Übernahmegarantie. In diesem Jahr haben sich bei Globalfoundries etwa 200 Jugendliche auf 35 Lehrstellen beworben.

Max Walther musste nur eine einzige Bewerbung schreiben. „Ein Versuch, ein Treffer!“, sagt er. Nach einem kleinen Test wurde er genommen. Nun hofft Cornelia Löwe, dass der Auszubildende dem Betrieb treu bleibt – wie sein Kollege Timo Becker, der als angehender Physiklaborant im Zuverlässigkeitslabor Mikrochips prüft. Becker kann sich vorstellen, später zu studieren. Die Ausbildungsleiterin will in solchen Fällen die Studiengänge möglichst gemeinsam mit den Jugendlichen auswählen, damit sie zum Betrieb passen und die Mitarbeiter nach der teuren Ausbildung nicht abtrünnig werden.

Erst Ausbildung, später vielleicht doch ein Studium – für diese Kombination werben auch sächsische Handwerker, seit ihnen Lehrlinge und Nachfolger fehlen. Nicht selten verdienen Meister und Techniker mehr Geld als Studienabsolventen, sagt Klaus-Peter Hansen, Chef der sächsischen Arbeitsagenturen. Er zog am Donnerstag bei Globalfoundries Bilanz zum neuen Lehrjahr und stellte einen Rekord an gemeldeten Stellen fest.

Wieder mehr Lehrverträge in Sachsens Gastronomie

Sachsens Industrie- und Handelskammern (IHK) zählen in diesem Jahr mehr neue Lehrverträge als im letzten Jahr vor Corona, also 2019. „Mit Stolz und Zuversicht“ sagte Dresdens IHK-Präsident Andreas Sperl, Geschäftsführer der Elbe-Flugzeugwerke, dass auch in der corona-gebeutelten Gastronomie die Zahl der Lehrverträge nach dem Rückgang zuletzt wieder stark zugenommen hat. Er staunte selbst, dass der Koch-Beruf erneut unter den beliebtesten Lehrberufen erschien. Auf den vorderen Rängen standen Kaufleute und Verkäufer. "Mechatroniker steht auf Platz vier, ich hätte weiter vorne erwartet", sagte Sperl

Im sächsischen Handwerk ist das Niveau von vor Corona im Bezirk Chemnitz ebenfalls übertroffen worden, im Raum Dresden dagegen nicht. Das Handwerk im Bezirk Leipzig meldet für dieses Jahr einen Rückgang der neuen Lehrverträge. Doch insgesamt beurteilt Sperl die Bemühungen um die Ausbildung als „relativ erfolgreich“. Schließlich seien viele Schüler verunsichert bei der Berufswahl gewesen, hätten lange Zeit keine Praktika machen oder Berufswahlmessen besuchen dürfen.

Inzwischen arbeitet auch die Berufsberatung der Arbeitsagenturen laut Chef Hansen wieder „im Normalbetrieb“. Globalfoundries wird im November wieder Praktikanten aus Schulen nehmen. Hansens Arbeitsagenturen kennen noch 2.700 freie Lehrstellen im Land, und der Chef räumt ein, das seien noch nicht alle. In Corona-Zeiten seien nicht alle Stellen den Arbeitsagenturen gemeldet worden. „Jede achte Ausbildungsstelle, die wir besetzen sollten, ist unbesetzt geblieben.“

Drei Gründe für Lehrstellenüberschuss in Sachsen

IHK-Chef Sperl sagt, dass 45 Prozent der Ausbildungsbetriebe nicht alle Stellen besetzen konnten. Hansen nennt drei Gründe für den „Lehrstellenüberschuss“ in Sachsen: erstens Geografie – der Ausbildungsplatz ist aus Sicht des Bewerbers zu weit entfernt. Zweitens Menge – Angebot und Nachfrage in vielen Berufsbildern passen nicht zusammen. Zum Beispiel fehlen Bewerber für Sanitär-, Heizungs-, Klimatechnik, Fachverkäufer für Bäckerei und Fleischerei, Zerspanungsmechaniker und Dachdecker.

Erst als dritten Grund nennt Hansen mangelnde Eignung – sowohl der Bewerber als auch der Betriebe, die Jugendlichen nicht attraktiv genug erschienen.762 Bewerber aus den Dateien der Arbeitsagenturen waren Ende September noch nicht vermittelt, sollen aber noch Angebote bekommen. Im Berufsinformationszentrum und im Internet informieren die Agenturen über die Berufswahl und die Ausbildung.

Immerhin haben sächsische Betriebe in diesem Jahr die Rekordzahl von 21.892 Lehrstellen gemeldet, ein Zuwachs von 1.545 zum vorigen Jahr. Die Zahl der Ausbildungsbewerber schrumpfte laut Hansen um 107 auf 19.218. Dieses Jahr werde die Zahl der Schulabgänger leicht steigen, allerdings entscheiden sie sich zum Teil auch für eine schulische Ausbildung oder ein duales Studium.

Zu den Chancen für Geflüchtete sagte Hansen, unter den Lehrstellenbewerbern in diesem Jahr seien nur etwa 750 Geflüchtete gewesen. 79 davon hätten noch keine Lehrstelle. Ukrainer seien in diesen Zahlen kaum enthalten. In der Regel müssten sie zunächst Deutsch lernen. Die zuerst eingetroffenen Ukrainer gehörten eher zur „Elite“ und wollten wohl lieber studieren.

Globalfoundries will unterdessen auch Praktikanten an Schulen in Südbrandenburg und im Kreis Bautzen suchen. Cornelia Löwe hat nämlich von Mitarbeitern gehört, dass andere Arbeitgeber sich ebenfalls dort umschauten. Der Konzern profitiert derzeit von der stark gestiegenen Nachfrage nach Mikrochips auf dem Weltmarkt. Im jüngsten Quartal waren die Umsätze von Globalfoundries 22 Prozent höher als ein Jahr zuvor und stiegen auf 2,1 Milliarden Dollar. Erstmals wurden in einem Vierteljahr 637.000 Siliziumscheiben zu Mikrochips verarbeitet, fünf Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Manager Matthias Bonkass betonte in Dresden, Globalfoundries beschäftige Menschen aus 50 Staaten. "Wir werden mehr Menschen von außen brauchen. Dafür müssen wir alle offen sein."