Fürs Tierwohl ist nicht nur der Bauer zuständig

Haben Sie schon die Bratwurst für Ihren Grillabend gekauft? Sogar beim Billig-Discounter finden Sie inzwischen eine Auswahl: Da liegen Bio-Thüringer zum Kilopreis von 11,63 Euro neben dem Einsteigermodell für 4,79 Euro.
Das soll jetzt keine Reklame für Aldi sein – die Handelskette hat in dieser Woche schon viel Aufmerksamkeit mit einer überraschenden Ankündigung erzielt. Aldi will ab 2030 nur noch Frischfleisch aus den höheren Tierwohl-Haltungsformen 3 und 4 verkaufen. Bioläden waren da allerdings schneller: Ihre Waren gehörten immer schon zur höchsten Stufe.
Doch Tierschutzbund und Greenpeace haben Aldi als Vorbild gelobt, und sie haben recht: Wenn ein Lebensmittel-Discounter die billigsten Fleischsorten nicht mehr annimmt, gibt er den Tierzüchtern ein Signal. Bauern müssen jetzt die Sau rauslassen! Sie können zunehmend Fleisch von Schweinen verkaufen, die im Leben Auslauf hatten – und mehr Platz als vorgeschrieben. Aber wird es in großem Stil dazu kommen, reißen Agrarbetriebe jetzt enge Ställe ab und bauen luftige Schweine-Apartments?
Leberkäse aus Haltungsform 3
Natürlich will Aldi mit seiner Ankündigung den Konkurrenten von Netto bis Biocompany die Kundschaft abjagen. Der Druck zur Veränderung steigt rasch.
Die Stammkunden von Fleischern, Hof- und Bioläden müssen sich zwar keine Sorgen um ihre Fachgeschäfte machen. Aber die ehemaligen Billigheimer meinen es ernst und werden tatsächlich ihr Sortiment verändern: Bis 2025 will Aldi zumindest schon mal auf Fleisch von Rind, Schwein, Hähnchen und Pute aus der schlechtesten Haltungsform verzichten. Damit verlieren Massentierhalter einen Großkunden.
Nun überbieten sich große Ketten mit Versprechen. Das klingt gut: Kaufland teilte mit, „ab sofort“ kein frisches Schweinefleisch aus der Haltungsform 1 mehr anzubieten. Die 1 ist der gesetzliche Mindeststandard, und er gefällt außer Tierschützern auch den Händlern nicht mehr. Auch Rewe und Edeka wollen auf Fleisch verzichten, das nur die Mindestbedingungen erfüllt.
Kaufland schrieb spöttisch, statt „Absichtsbekundungen“ gebe es bei ihm schon konkrete Maßnahmen. Im Prospekt für diese Woche bietet der Händler auch Lyoner und Leberkäse der Haltungsform 3 an. Das bedeute 40 Prozent mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben und „viel frische Luft durch Auslauf oder Offenfrontställe“.
Das Ei war zuerst da
Die Kennzeichnung macht es uns beim Einkaufen leichter, Fleisch aus besseren und schlechteren Betrieben zu unterscheiden und mit unserem Geld die Produktion zu steuern. Bei einem anderen Agrarprodukt gibt es das längst: Das Ei war zuerst da. Nummern auf dem Ei zeigen die Haltungsform, Boden- oder Freilandhaltung steht auf der Packung.
Fürs Tierwohl zu sorgen ist zwar die Aufgabe der Bauern. Aber als Kunden müssen wir die Arbeit und Kosten auch honorieren. Wenn die Bauern jetzt Wände alter Ställe einreißen oder Neubauten mit mehr Platz errichten sollen, dann brauchen sie Planungssicherheit. Mit Jahreszahlen wie 2025 und 2030 signalisiert Aldi immerhin, in welchen Schritten sich die Nachfrage ändern könnte. Das hilft.
Doch viele Landwirte trauen dem Braten nicht. Bauernpräsident Joachim Rukwied zog die Aldi-Ankündigung in Zweifel: Sie werde nur „glaubwürdig“, wenn außer Frischfleisch auch Verarbeitungsware und Fleisch-Erzeugnisse einbezogen würden. Das stimmt: Das Fleisch aus schlechten Ställen darf nicht einfach in andere Produkte umgeleitet werden. Bei der Agrarwende sollen keine neuen Schmuddel-Ecken entstehen.
Sachsens Bauernpräsident: Lohnen sich Investitionen?
Auch die Sorgen von Sachsens Bauernpräsident Torsten Krawczyk sind ernst zu nehmen: Er fragt regelmäßig, ob die Nachfrage wirklich ausreicht. Lohnen sich Investitionen in mehr Tierwohl, in offene Ställe oder Biozertifikate, falls die Verbraucher auf Billigprodukte von sonstwoher ausweichen?
Sachsens Agrarminister Wolfram Günther (Grüne) will mit dem Heimat-Argument locken. Das kann funktionieren: Was aus der Nähe kommt, genießt Vertrauen und hat nicht viel Benzin verbraucht. Günther will auch bei Großverbrauchern wie Kantinen und Kliniken für sächsische Produkte werben.
Händler und Politiker wollen wenigstens ein bisschen Agrarwende. Betriebe sollen sich umstellen, nicht etwa kaputtgehen. Großbetriebe werden nicht zu Bilderbuchhöfen werden. Doch laut Günther ist das Interesse an regionalen und Bioprodukten gestiegen, das müssen die Bauern jetzt nutzen.
Kuhkomfort oder veganes Essen?
Auch die EU will die Landwirte dazu bringen, mehr „Gemeinwohlleistungen“ zu erbringen – sonst bekommen sie weniger Agrarsubventionen. Die Landwirte wissen, dass die Ansprüche steigen: Gerade die Nachwuchs-Kundschaft will Schweinewohl und Kuhkomfort – oder gar kein Fleisch mehr. Jugendliche zeigen viel Interesse an fleischloser oder veganer Ernährung. Auf Demonstrationen wird Bauern Mitschuld am Klimawandel vorgeworfen. Stallneubauten stoßen auf Widerstand, ein Ferkelzüchter in Stolpen bekommt es derzeit mit Protest wegen des Gestanks zu tun.
Manche Bauern sind unsicher, ob sich Aufwand für ihre Tiere wirklich rentiert oder nur immer mehr Forderungen hervorruft. Doch die neuen Vorgaben der großen Handelsketten erleichtern zumindest die Entscheidungen für die nächsten Jahre. Schweine bekommen mehr Platz.