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Sachsens Weg zu mehr Selbstversorgung

Auf der Grünen Woche in Berlin demonstriert Sachsens Landwirtschaftsminister Wolfram Günther für regionale Produkte: Er probiert sich durch Biere und Bio-Eierlikör. Bauern fordern einen neuen Schlachthof.

Von Georg Moeritz
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Mit Tornadokartoffel am Spieß: Sachsens Landwirtschaftsminister Wolfram Günther (Grüne, links im Bild) hat am Montag auf der Grünen Woche viel verkostet. Mit dabei Friweika-Mitarbeiterin Anke Möbius und Mittelsachsens Landrat Dirk Neubauer.
Mit Tornadokartoffel am Spieß: Sachsens Landwirtschaftsminister Wolfram Günther (Grüne, links im Bild) hat am Montag auf der Grünen Woche viel verkostet. Mit dabei Friweika-Mitarbeiterin Anke Möbius und Mittelsachsens Landrat Dirk Neubauer. © SZ/Veit Hengst

Berlin. Vier sächsische Biere, dreimal Eierlikör, dazwischen die Tornadokartoffel am Spieß für vier Euro: Sachsens Landwirtschaftsminister Wolfram Günther (Grüne) hat am Montag fast das ganze Angebot der Sachsen-Halle 21b auf der Grünen Woche in Berlin zu schmecken bekommen. Günther schluckte auch eine geröstete Grille.

Wer regionale und ökologische Lebensmittel fördern will, der muss mit gutem Beispiel vorangehen. Minister Günther sagte in Berlin, ihm sei kein anderes Bundesland bekannt, das "in solcher Breite" Programme für heimische Ernährungswirtschaft mache. Inzwischen komme Lausitzer Karpfen in Leipziger Restaurants auf die Tische: "Wir haben sie zusammengebracht". Sächsische Kantinenwirte erhielten einen Musterleitfaden und Kontakte zu Produzenten - ein heikles Projekt, weil die Europäische Union bei Auftragsvergaben europaweite Offenheit fordert und gerade nicht Beschränkung.

Doch Günther betont, er wolle "bioregionale Wertschöpfungsketten" unterstützen. Dazu gehörten auch kurze Transportwege. In den vergangenen Jahren hat er ein Kompetenzzentrum Ökolandbau und mehrere Bioregiomodellregionen eröffnet sowie die Sächsische Agentur für Regionale Lebensmittel (Agil). Zwar weiß auch Günther, dass viele Verbraucher wegen der stark gestiegenen Preise jetzt auch bei Bio-Produkten sparen. Doch der Minister sagt, der langfristige Trend sei intakt und "enorm stark".

Alle wollen Regionales und Bio

Bei einem Pressegespräch in einem abgetrennten Teil der Sachsen-Halle belegte Günther die Trends mit Zahlen: Der Umsatz der sächsischen Ernährungswirtschaft stieg voriges Jahr um 17 Prozent, auf 7,6 Milliarden Euro. Ein großer Teil dieses Zuwachses kam allerdings durch die gestiegenen Milchpreise zustande - Sachsens Molkereien stehen für 44 Prozent dieses Umsatzes. Die Biobranche hat laut Günther in der Coronazeit eine "Sonderkonjunktur" erlebt, weil mehr Menschen zu Hause kochten und zum Beispiel Gemüsekisten bestellten. Inzwischen werde wieder mehr in Kantinen gegessen. Doch der Umsatz mit Biolebensmitteln sei weiterhin viel höher als vor Corona. Die sächsische Anbaufläche im ökologischen Landbau wuchs im Jahr 2021 um mehr als 14 Prozent auf rund 83.000 Hektar.

Selbst gezapft: Günther verkostete mehrere Biere und Eierliköre, am Stand von Feldschlößchen durfte er sein Helles selbst in Glas füllen.
Selbst gezapft: Günther verkostete mehrere Biere und Eierliköre, am Stand von Feldschlößchen durfte er sein Helles selbst in Glas füllen. © SZ/Veit Hengst

Wer sich durch die rund 20 Ausstellungshallen der Grünen Woche probiert, findet in jedem Bundesland Werbung für Regionales und für Ökoprodukte. Auch in der Mecklenburg-Halle mit ihren segelverzierten Tresen lässt sich Bio-Hanfsamenöl erwerben. Bayern hat eine eigene Bio-Königin Raphaela I., deren Autogrammkarten ausliegen. Nordrhein-Westfalen stellt in langen Reihen Apfelsorten aus - darunter den Pinova, der 1965 in Dresden-Pillnitz durch Kreuzung erfunden wurde.

Demonstranten machten am ersten Messewochenende in Berlin allerdings deutlich, dass ihnen die Änderungen in der Landwirtschaft nicht ausreichen. Plakate und Flugblätter gegen "Massentierhaltung" gehörten wie jedes Jahr dazu, obwohl inzwischen der Grüne Cem Özdemir Bundeslandwirtschaftsminister ist. Sachsen-Minister Günther reagiert auf das Wort Massentierhaltung kaum anders als der Bauernpräsident: Das sei ein "Kampfbegriff", den er nicht benutze.

Bauernverband schlägt Schlachthof in Region Chemnitz vor

Der grüne Sachsen-Minister sagt, zwar müsse die tierische Erzeugung global betrachtet und im Sinne des Klimaschutzes verringert werden. In Sachsen aber sei noch "Luft nach oben". Die landwirtschaftliche Kreislaufwirtschaft brauche Tiere, schon wegen des Dungs. Günther sagte, für tiergerechte Haltung mit Licht und Luft müsse gesorgt werden. Er unterstütze Forderungen der Landwirte, wieder mehr Schlachtmöglichkeiten in Sachsen zu schaffen. Laut Landesbauernverband liegt Sachsens "Selbstversorgungsgrad" bei Schweinefleisch bei 30 Prozent. Bei Milch dagegen ist Sachsen Exportland.

Sachsens Bauernpräsident Torsten Krawczyk, selbst Schweinehalter, veröffentlichte am Nachmittag in Berlin Ergebnisse einer Studie, der zufolge „dringend“ ein neuer Schlachthof gebaut werden müsse. Die letzten großen Schlachthöfe in Chemnitz und Naunhof wurden 2011 und 1999 geschlossen, sodass Schweine und Rinder häufig nach Hof in Franken oder Weißenfels in Sachsen-Anhalt gefahren werden.

Rollenträgerinnen im Gefolge des sächsischen Ministers auf der Grünen Woche: Elisabeth Erzherzogin von Rochlitz, Weinkönigin Sabrina, Erntekönigin Luisa, Milchkönigin Sandra sowie die beiden Weinprinzessinnen Leo und Steffi.
Rollenträgerinnen im Gefolge des sächsischen Ministers auf der Grünen Woche: Elisabeth Erzherzogin von Rochlitz, Weinkönigin Sabrina, Erntekönigin Luisa, Milchkönigin Sandra sowie die beiden Weinprinzessinnen Leo und Steffi. © SZ/Veit Hengst

Die Studie im Auftrag des Bauernverbandes empfiehlt nun, in der Region Chemnitz einen Schlachthof für Rinder und Schweine mit bis zu 70 Arbeitsplätzen einzurichten. In Bautzen könne es später eine Erweiterung geben. Bauern und Fleischer sollten sich genossenschaftlich an dem Projekt beteiligen, dazu müssten mobile Schlachtmöglichkeiten kommen.

Sächsische Insektenlarven als Tierfutter

Dass Minister Günter auf der Grünen Woche auch eine Grille probierte, lag am Angebot des Unternehmens Madebymade GmbH aus Pegau bei Leipzig. Das stellte sich als „Pionier der industriellen Insektenzucht“ vor. Noch bieten die Pegauer ihre getrockneten Larven allerdings nur als Tierfutter an, für Hunde auch als Terrine mit Banane. Die Grille zum Naschen kam von einer Partnerfima aus Bremen.

Mal probieren: Minister Wolfram Günther bekommt eine geröstete Grille.
Mal probieren: Minister Wolfram Günther bekommt eine geröstete Grille. © SZ/Veit Hengst

Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir traf am Montag mehrmals auf Sachsen: Am Mittag stellte er mit dem Dresdner Bäckermeister Michael Wippler das Brot des Jahres 2023 vor, das Kürbiskernbrot. Wippler ist Präsident des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks. Für den Abend hatte sich Özdemir bei einem Treffen der sächsischen Aussteller angesagt - laut seinem öffentlichen Terminplan für 21.15 Uhr.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen, links) zeigt das Brot des Jahres auf der Grünen Woche gemeinsam mit dem Dresdner Michael Wippler, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen, links) zeigt das Brot des Jahres auf der Grünen Woche gemeinsam mit dem Dresdner Michael Wippler, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks. © dpa/Fabian Sommer

Grüne Wochen bedeuten lange Arbeitstage für Minister wie für Aussteller. Gunnar Mühlstädt fährt derzeit jeden Tag von Dresden-Hellerau nach Berlin, um frischen Nachschub auf die Messe zu bringen. Der Geschäftsführer der Anlagenbaufirma Puevit GmbH stellt nämlich Anlagen her, in denen sich die Alge Spirulina züchten lässt. Unter der Marke Algenwerk verkauft Mühlstädt diese Algen in Weckgläsern. Das grüne "Nährstoff-Topping" ist allerdings in der Halle 23 unter Sachsen-Anhalt zu finden, weil Mühlstädt ein Projekt mit der Hochschule Anhalt macht.

Teigwaren Riesa ohne Nudeln auf der Grünen Woche

Nach zwei Wochen Corona-Pause präsentiert sich die Grüne Woche wieder fast wie gewohnt - allerdings sind einige Hallen unbenutzt, Russland und die Ukraine fehlen. In der Sachsenhalle bietet der Publikumsmagnet Teigwaren Riesa in diesem Jahr keine Nudeln an, sondern ausschließlich Nudelsoßen und Pestos im Glas. Die Nudeln kenne ja schon jeder, sagte Janne Friebe aus dem Riesa-Handelsmarketing zur Begründung. Die Pestos kommen allerdings nicht aus Riesa. Kerstin und Hans-Jürgen aus Kamenz kauften trotzdem - sie hatten einen Rucksack mit viel Platz mitgebracht. "Wir sind ja nicht zum ersten Mal auf der Grünen Woche."

Auf der Bühne in der Sachsenhalle warb Minister Günter zusammen mit Mittelsachsen-Landrat Dirk Neubauer (parteilos) vor allem für die Region um Chemnitz, die in diesem Jahr Partnerregion ist. Die Grüne Woche dient immer auch der Tourismuswerbung, überall liegen Reiseprospekte aus. Neubauer sagte, auch der Kreis Mittelsachsen habe einen Einkaufsführer mit regionalen Empfehlungen herausgegeben. Im Tourismus gehe es heute "nicht mehr um billig, sondern um gut".

Die Grüne Woche in Berlin dauert bis 29. Januar. Sachsenhalle ist die Halle 21b.