Wie Fette uns gesund machen können

Dresden. Jedes Mal, wenn ein Vertrag mit einem neuen Kunden abgeschlossen ist, ertönt auf dem Flur des Dresdner Biotech-Unternehmens Lipotype ein asiatischer Gong. Der mag zwar nicht so ganz in die eher sterile Büro- und Labor-Atmosphäre des ehemaligen Start-up-Unternehmens passen. Er symbolisiert aber den globalen Anspruch, den das 26-köpfige Team hat: einen Gesundheitstest auf den Weltmarkt zu bringen, der durch Analyse der Fettmoleküle in der menschlichen Zellmembran gezielt Krankheiten vorhersagen kann.
Diabetes, Fettleibigkeit, Nierenerkrankungen, Alzheimer, Multiple Sklerose, ... - es gäbe viele Krankheiten, die sich frühzeitig anhand der Menge der charakteristischen Lipide, der Fettmoleküle im Blut, feststellen ließen. Frühzeitig - ob das nun ein Jahr oder 30 Jahre sind, das kann Oliver Uecke noch nicht sagen. Er ist kaufmännischer Leiter des 2012 gegründeten Unternehmens, ein Spin-off aus dem u. a. von Kai Simons gegründeten Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden.
Derzeit würden Partner für die klinischen Studien gesucht, so Uecke. Die Dresdner und Leipziger Unikliniken seien bereits mit im Boot, aber auch Kliniken im Ausland.
Gesundheitstest wohl erst ab 2024/25 frei erhältlich
Eigentlich sollte der Gesundheitstest schon seit rund zwei Jahren auf dem Markt sein. Doch dann kam Corona. "Für uns hat es während dieser Zeit sehr lange gedauert, Patienten für Studien zu finden", sagt Uecke. Außerdem habe es für Fördermittel bedingt durch die Krise andere Prioritäten gegeben. Firmenkunden, die die bereits vollständig entwickelte Analyse-Technologie als Dienstleistung für Forschung und Entwicklung nutzen, seien wegen der Arbeit im Homeoffice nicht mehr in ihren Laboren gewesen. Daher konnten sie keine Proben einschicken. Und die Bereitschaft, neue Projekte anzugehen, sei wegen Ungewissheiten der Pandemie auch nicht sehr groß gewesen.

Die Pläne von Lipotype seien zwar etwas durchkreuzt worden, sagt Uecke. Dennoch sei das Unternehmen insgesamt gut durch die Krise gekommen. So wuchs das Team in den letzten zwölf Monaten von 16 auf 26 Mitarbeiter. Viele davon haben internationale Wurzeln. Der Gong auf dem Flur schlug 2020 zwar hauptsächlich digital, aber immerhin 120 Mal, je einmal für jeden neuen Kunden.
Lipid-Analyse auch für Lebensmittelhersteller interessant
Unter ihnen bekannte Pharmaunternehmen wie Johnson & Johnson, Forschungseinrichtungen wie die Yale Universität und Lebensmittelproduzenten wie Nestlé. "Unsere Kunden sind extrem heterogen", sagt Uecke. Denn die Lipid-Analyse kann außer zur Vorhersage von Krankheiten auch für andere Zwecke genutzt werden, etwa zur Herstellung von Medikamenten, Anti-Aging-Cremes oder sogar Lebensmitteln.
Die Kunden schicken ihre Proben ins Labor von Lipotype, wo sie analysiert werden. Untersucht werden können beispielsweise die gesundheitliche Wirkung von Olivenöl oder die Bedeutung einer bestimmten Butter für das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Störung zu erkranken. Für sogenannte "Health Claims" - also die Angabe, ein Lebensmittelprodukt stärke die Gesundheit - müssen die Produzenten strikte Vorgaben erfüllen. Einige ließen daher ihre Produkte vorher bei Lipotype analysieren.
Lipotype sieht sich als Weltmarktführer in der Lipid-Analyse. Zwar sei das grundlegende Verfahren nicht neu, aber kein Unternehmen habe sich so stark auf das Analyseverfahren für Lipide spezialisiert wie das 2012 gegründete Start-up aus Dresden. Eine Besonderheit, so Uecke, sei die Quantifizierung der vorhandenen Lipide. In einem der drei Massenspektrometer - jedes eine halbe Million Euro wert - werden die einzelnen Blut- oder Stoffproben von gerade mal einem Millionstel Liter auf eine durchlöcherte Scheibe geschossen. So könne man sich das zumindest bildlich vorstellen, sagt Uecke.

Je nach getroffenem Loch lässt sich bestimmen, welche Masse das Fettteilchen hat und um welches Lipid es sich damit konkret handelt. Darüber hinaus lasse sich in Dresden sogar zählen, wie viele der jeweiligen Lipide in der Blutprobe vorhanden sind, woraus sich wiederum auf eine sich anbahnende Krankheit schließen lässt. 3.100 verschiedene Lipide lassen sich derzeit differenzieren, die alle verschiedene Aussagen über potenzielle Krankheitsverläufe haben können.
Ampel informiert über Gesundheitszustand
Als Ergebnis haben die Forscher zum Schluss ein Lipid-Spektrum in der Hand, das sie mit dem eines gesunden Menschen vergleichen. Für den Privat-Kunden, der den Gesundheitstest beispielsweise in einer Apotheke gekauft und seine Blutprobe ins Labor geschickt hat, soll ein Ampel-Modell entwickelt werden. Die Ampel soll anzeigen: So gesund bin ich wirklich.
Zeigt die Ampel kein gesundes Grün, könnten gezielt Gesundheitstipps gegeben werden, die einem Ausbruch der Krankheit vorbeugen. Aufgrund der Erkenntnisse in der Arbeit mit den Lebensmittelproduzenten könnten auch Ernährungsempfehlungen ausgesprochen werden: beispielsweise, 14 Tage lang mehr Olivenöl zu sich zu nehmen. Bis dieser Test auf den Markt kommt, werde es allerdings noch drei bis vier Jahre dauern, sagt Uecke. Der Test könne um die 50 Euro kosten.
Lipotype finanzierte sich im vergangenen Jahr zu rund 30 Prozent aus Fördermitteln, vornehmlich von der EU, und zu 70 Prozent aus Umsätzen mit Kunden im Dienstleistungsgeschäft. 2012 hatte der finnisch-stämmige Gründungsdirektor des Dresdner Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik, Kai Simons, das Unternehmen gegründet, um seine Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Lipide zu vermarkten.
Corona lässt Biotechnologiebranche boomen
Und die Nachfrage nach der Lipid-Analyse steigt: Zuletzt investierte Lipotype eine Million Euro in neue Geräte, um die Analysekapazität zu verdoppeln. "Durch Corona hat das Interesse an Gesundheitsprävention noch mal an Fahrt aufgenommen", sagt Oliver Uecke. Fettleibigkeit als Risiko für eine Erkrankung an Covid-19 lasse sich auch mit dem Gesundheitstest vorhersagen und durch gezielte Präventionsempfehlungen verhindern.
Hat das Unternehmen auch den globalen Markt im Auge, stößt es dennoch an räumliche Grenzen. "Es gibt einfach nicht genug Laborfläche in Dresden", sagt Uecke. Zu Gründungszeiten hatte Lipotype Teile der angemieteten Räumlichkeiten im Bioinnovationszentrum noch untervermietet. Jetzt muss Uecke im Hinblick auf die kommenden Jahre schauen, wie das Unternehmen auch räumlich expandieren kann. Ob Dresden auch langfristig Standort bleiben kann, ist noch nicht entschieden. Aufgrund der Laborknappheit müsse auch außerhalb der Landeshauptstadt gesucht werden.