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Cape Canaveral: Erste Mondmission seit 50 Jahren startet heute

Nach dem Aus der Spaceshuttles dämmerte der Weltraumbahnhof Cape Canaveral vor sich hin. Damit ist es jetzt vorbei. Mit der Artemis-Mission plant die Nasa die Zukunft der bemannten Raumfahrt. Heute steht der erste Testflug an.

Von Stephan Schön
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Die Mission Artemis 1 soll am Montagnachmittag in Cape Canaveral starten. Diesmal noch unbemannt als letzter Test.
Die Mission Artemis 1 soll am Montagnachmittag in Cape Canaveral starten. Diesmal noch unbemannt als letzter Test. © Nasa

Der Weg zum Mond beginnt in einem Nationalpark. Genau dort, wo vor gut 50 Jahren Amerika schon einmal Menschen zum Mond geschickt hat. Jetzt soll sich das wiederholen, nur anders. Anders, was den Sinn der Aktion betrifft. Und auch anders, weil es kein allein amerikanisches Ding mehr ist. Erstmals beteiligt sich Europa an einem Nasa-Raumschiff, und dieses wird Menschen weiter von der Erde weg bringen als je zuvor. Natürlich auch wieder zurück. Artemis nennt sich dieses Mondprogramm der Nasa.

Am Montag soll erstmals die neu entwickelte Schwerlast-Rakete SLS starten. Es ist die stärkste bisher je gebaute. Auf ihrer Spitze montiert ist Orion, ein Raumschiff für vier Astronauten. Dessen gesamter Antrieb, die Sauerstoffversorgung, Wasser, Heizung liefert dann das Europäische Service-Modul ESM. All inclusive für die Astronauten also. Und damit werden ab 2025 auch europäische Astronauten zunächst um den Mond fliegen. Die beiden Deutschen Matthias Maurer und Alexander Gerst sind Top-Kandidaten für diese Mission.

Seit einem halben Monat schon steht dieses gigantische Konstrukt der Artemis-Mission 1 auf der Startrampe. 39 B. Es ist jener Platz, von dem aus auch die ersten Apollo-Astronauten zum Mond gebracht wurden. Vor mehr als 50 Jahren entstanden hier Dinge, die bis heute für die Raumfahrt genutzt werden: ein riesiges Gebäude vor allem. Schon weit aus der Ferne ist es zu sehen, sogar von den Badestränden gut zehn Kilometer südlich. Eigentlich ist die Bade-Hochsaison an der schmalen Landzunge von Cocoa Beach vorbei. Die Regenzeit hat begonnen.

Die Touristen bleiben weg, die Hotels sind trotzdem voll

Es schüttet, oft, heftig und jeden Tag. Mit Gewittergüssen, dass die Straßen und Wege binnen Minuten knöcheltief unter Wasser sind. Derartiger Starkregen ist hier normal, solange es kein Hurrikan ist, geht alles. Die Touristen mögen es dennoch nicht. Stets weit über 30 Grad und extreme Luftfeuchtigkeit, das macht das Atmen schwer. Also trocken werden hier an der Luft weder Handtücher noch wassernasse Schuhe. Das Auto hilft. Unter der Glasscheibe läuft der standardmäßige energiesparende Trockner – mit Solarenergie.

Die Touristen bleiben weg, die Hotels sind trotzdem voll. Ausgebucht im Umkreis von 100 Kilometern. Die Preise, selbst für etwas heruntergekommene letzte freie Herbergen, entsprechen denen, die hier sonst eine Suite am Meer kostet. Wer sich das nicht leisten kann oder will, der campt. Boondocking nennt sich das, wenn Amerikaner ihre Autositze umklappen und im Van übernachten. Wo auch immer.

Die Zeit ist reif, anzureisen. Viele kommen Hunderte Kilometer weit herangerollt mit Campern, die so groß sind wie ein Reisebus. Karawanen Tausender Reisemobile bauen sich dann zu einer campenden Mauer aus Blech entlang des Banana Rivers auf. So etwas hat es mehr als zehn Jahre hier nicht gegeben. Zuletzt, als die letzten Space-Shuttle gestartet waren. Die Ostküste zwischen Cocoa Beach und Merritt Island wird zum größten Campingplatz Floridas für diesen einen Tag. Mit riesigen Fotoapparaturen und Teleskopen reisen sie an. Mitunter mehrere Staaten weit. Aber erst wenige Stunden vor dem Start beginnt das große Gerangel um die besten Plätze. Derzeit fischen hier nur einige und schauen aufs Wasser statt in die Sterne.

SZ-Wissenschaftsredakteur Stephan Schön hat eine der wenigen deutschen Akkreditierungen der Nasa für die Live-Berichterstattung.
SZ-Wissenschaftsredakteur Stephan Schön hat eine der wenigen deutschen Akkreditierungen der Nasa für die Live-Berichterstattung. © SZ/Stephan Schön

Rund um den Banana River ist der Start fast überall zu sehen. Dennoch stehen auf den Highways große Anzeigetafeln: „Mittelstreifen ist Parkverbot“. Das ist zwar schon immer so, aber an solchen Tagen muss das offenbar noch mal extra deutlich gesagt werden. Das macht auch das Raumfahrtunternehmen Blue Origin von Amazon-Gründer Jeff Bezos so. Es hat seine Werkhallen für die neuen Raketen noch vor der Sperrzone. Dennoch sperrt es schon zwei Tage zuvor alles ab: „Hier ist kein Beobachtungspunkt für den Start“, steht dort an jeder Einfahrt.

Die Straße führt schnurgerade über Brücken und Dämme sowie über Wasser und Sumpf. Die letzten Hotels und Surf-Shops entlang der Straße liegen ein paar Kilometer zurück. Hier beginnt das wirkliche Merritt Island. Ein Vogelparadies, wie es dies nur selten auf der Welt gibt. Ein Naturwunder. Die wenigsten werden es dennoch kennen sondern nur Cape Canaveral als Amerikas Weltraumbahnhof. Von den Badeorten wie Cocoa Beach bis hierher zum Raketenstartplatz sind es gerade mal 30 Kilometer. Das Tor ins All öffnet sich mitten in diesem Naturschutzgebiet.

Anfang der 60er-Jahre fanden Weltraumplaner diesen Ort ideal, um ins All zu kommen. Er ist ausreichend weit von großen Städten entfernt, direkt an der Küste gelegen und umgeben von Sumpf. Was für Baikonur die Wüste ringsherum ist, schafft auf Cape Canaveral der Sumpf: Abstand. Ungebetener Besuch hat es da schwer, heranzukommen. Touristen können sich dadurch weder absichtlich noch unabsichtlich in das Sperrgebiet von Merritt Island verirren. Dichtes Unterholz, mal Mangroven, mal Dornengestrüpp, immer wieder Kanäle und jede Menge Wasser. „Die Tiere leben hier ungestört wie nirgends sonst an Floridas Küsten“, erklärt Parkrangerin Kimberly King-Wrenn.

Die riesige Halle wurde für die Saturn-Mondraketen in den 60er-Jahren gebaut. Heute wird sie wieder dafür genutzt.
Die riesige Halle wurde für die Saturn-Mondraketen in den 60er-Jahren gebaut. Heute wird sie wieder dafür genutzt. © SZ/Stephan Schön

Symbiose zwischen Hightech und Natur

Ungestört? Wenn dort die Triebwerke der Raketen zünden? „Die Störung für die Tiere ist wirklich kurz. Die Vögel kreischen und fliegen auf, die Alligatoren geben Laute von sich.“ Das alles beruhige sich aber nach gut einer Stunde. „Die Tiere kommen wieder zurück. Hier haben sie ein Habitat, das sich nirgends sonst in der Region so wiederfindet: Wasser, Nahrung und Schutz.“ Dennoch sorgt sich die Rangerin um das Terrain, wenn sie in die Zukunft schaut: „Was aber passiert, wenn künftig hier täglich Raketen starten?“ Eine Antwort darauf gibt es derzeit nicht. Zumindest bisher war diese Symbiose zwischen Hightech und Natur für beide gut. Seit die Nasa hier ist, wurde das Gebiet anders als die restliche Küste Floridas nicht besiedelt und zugebaut, hier sähe es sonst anders aus.

Und die Nasa sitzt hier nach wie vor geschützt auf ihrer Scholle. Nur ein Teil des Nationalparks und Schutzgebietes ist für Besucher offen. Der Weltraumbahnhof freilich nicht. Und der braucht noch nicht einmal hohe Zäune. Da kommt kein Besuch freiwillig auf illegalem Pfade herein. Wer mag schon im Unterholz die Schlange darum bitten, sich ins Geäst zurückzuziehen. Wer will schon im Sumpf mit dem Alligator verhandeln, um Zutritt ins Sperrgebiet zu bekommen. 2.000 solcher Tiere sollen es hier im Sumpfgebiet von Merritt Island sein. „Wir haben die nie gezählt“, gibt die Rangerin zu. Warum sollten sie es auch tun. Das sind zu viele, und denen fehlt es an nichts. „Wir kümmern uns mit unserem Team um die wirklich seltenen Arten.“ 14 gibt es weltweit nur hier. 500 Tierarten seien es insgesamt im Terrain und mehr als 1.000 Pflanzenarten. Das hat sogar die Nasa überzeugt. Sie beschäftigt jetzt eigene Biologen.

Das Kennedy-Space-Center liegt im Naturschutzgebiet Merritt Island mit seinen mehr als 500 Tierarten.
Das Kennedy-Space-Center liegt im Naturschutzgebiet Merritt Island mit seinen mehr als 500 Tierarten. © SZ/Stephan Schön

Was aber ist mit den Alligatoren? Überall im Besucherzentrum und im Sperrgebiet warnen Schilder: „Vorsicht, nicht nah ans Wasser“. Aus gutem Grund. Gleich neben dem Besucherparkplatz schauen eben mal keine drei Meter von der Warntafel entfernt zwei Augen aus dem Tümpel. Wieder andere Exemplare machen es sich mitunter sogar auf den Pisten im Kennedy Space Center bequem. Sie mögen halt den warmen, sonnenaufgeheizten Beton.

Der Kennedy Parkway ist zwar in jedem Pkw-Navi zu finden, ist aber schon Sperrgebiet. Ausländische Medienleute werden draußen mit einer Art amerikanischem Schulbus abgeholt. Weiß umlackiert und ziemlich betagt. Doch der ist ganz sicher nicht so alt wie das wohl markanteste Gebäude im gesamten Kennedy Space Center. Eines der größten weltweit, als riesige Montagehalle schon kilometerweit aus der Ferne zu sehen. Das VAB, Vehicle Assembly Building. Direkt davor hält der Bus mit den Reportern aus aller Welt. Gleich sucht ein Polizeihund die Kameras nach Sprengstoff ab. 100 Meter weiter dann das Pressezentrum mit dem seit Jahrzehnten immer wieder selben Raum für TV-Übertragungen von Pressekonferenzen. Dunkles Holz und blauer Stoff auf dem Podium. Vieles von dem hat schon die Zeiten der ersten Mondraketen erlebt. Und nun dies, 50 Jahre später: Zurück zum Mond.

Es gibt mehr noch aus alter Zeit. In dem riesigen Gebäude der Nasa, in dem in den 60er-Jahren Wernher von Braun seine Mondraketen zusammengebaut hat, entstehen nun die neuen Mondraketen. Für drei Jahrzehnte wurden in der riesigen Halle zuvor noch die Spaceshuttles montiert. Viel zu groß war das XXL-Haus dafür eigentlich. Der Hurrikan Katrina hatte schließlich die Fassade beschädigt. Toren und Dach aber blieben ganz. 200 Stundenkilometer Wind, so die Berechnungen, kann dieses Monsterhaus aushalten ohne Schäden. Die Fassade ist neu, drinnen die Technik natürlich auch. Da musste freilich auch das riesige, 40 Meter große Nasa-Logo frisch aufgehübscht werden. Jetzt passt die neue SLS-Schwerlastrakete dort ins VAB bestens hinein. Sie ist stärker als die Saturn V damals, wenn auch zwölf Meter kleiner.

„Go Artemis. Good Luck“

Was von außen eher unspektakulär wirkt, die wahre Dimension wird erst drinnen klar. Auf der obersten Plattform A. Airbus-Ingenieur Steve Bornhöft durfte als Gast und Kollege mal mit hinauf. Bornhöfts Job im Space-Center ist eigentlich ein anderer. Er ist an den letzten Tests des nächsten Servicemoduls beteiligt. Airbus Defence and Space baut dieses System im Auftrag von Nasa und Esa in Bremen. ESM soll letztlich 2024 dann erstmals Astronauten um den Mond fliegen.

Der Countdown für Artemis 1 auf der Startrampe läuft. Jetzt hängt alles vom Wetter ab.
Der Countdown für Artemis 1 auf der Startrampe läuft. Jetzt hängt alles vom Wetter ab. © SZ/Stephan Schön

Steve Bornhöft hat an der TU Dresden Luft- und Raumfahrttechnik studiert. Jetzt ist er für ein entscheidendes Stück europäischer Raumfahrttechnik mit zuständig. Er baut an den nächsten Transportsystemen des Mond-Raumschiffes Orion mit. Sein Arbeitsplatz für das Europäische Service Modul ist im Bremer Airbus-Reinraum. „Ich bin dafür verantwortlich, dass dort alles reibungslos läuft, die richtige Schraube am richtigen Ort ist.“ Und von wegen Raumfahrt ist voll digital: Es gibt sie immer noch, die Handbücher, die schweren Aktenordner mit allen Anweisungen, Schraube xy, davon 2 Stück mit Schlüssel xy zweimal links drehen.

Steve Bornhöft ist inzwischen wieder vom Cape nach Bremen zurückgekehrt. Zum Start des ersten Raumschiffs mit dem Bremer Servicemodul, zur großen Party dort für die Mitarbeiter wird er den Artemis 1 am Montag 14.30 Uhr live von dort aus sehen. An der Space Coast von Amerika fällt die Party kleiner aus. Sie findet in den Souvenirläden statt. Die aber haben sich noch nicht so wirklich auf das neue Mondprogramm eingestellt. Aber das kann sich ja noch ändern. Weit über 100.000 Besucher werden für Montag erwartet.

Das Kennedy-Space-Besucherzentrum hat schon mal komplett eine Artemis-Beflaggung bekommen. Die Läden in Cocoa Beach werben mit Artemis. Auf einem großen LED-Display leuchtet zwischen Kaffee und Sandwich: „Go Artemis. Good Luck“.