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Jetzt wird’s eng am Himmel

Alte Satelliten und explodierte Raketen versperren den Weg ins All. Eine kosmische Müllabfuhr muss her, sehr schnell. Doch die wird teuer.

Von Stephan Schön
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Crash im All. Was hier die Grafik zeigt, das ist bereits Realität. Der Kurzfilm „Time to Act“ warnt vor der zunehmenden Gefahr durch Weltraumschrott.
Crash im All. Was hier die Grafik zeigt, das ist bereits Realität. Der Kurzfilm „Time to Act“ warnt vor der zunehmenden Gefahr durch Weltraumschrott. © ESA/ONiRiXEL

Von den unendlichen leeren Weiten ist nicht viel geblieben. Der Himmel über uns ist eine Art Schnellstraße für Satelliten. Aber eine, auf der nicht nur ziemlich viel Verkehr herrscht. Sondern eine, an deren Straßenrändern immer mehr Wracks stehen. Manche Fahrzeuge sind einfach auch mitten auf der Straße geblieben. Weltraumschrott wird zum ernsten Problem. So sehr, dass er unter anderem die Telekommunikation auf der Erde und die Navigation per GPS bedroht. Erst recht die bemannte Raumfahrt.

Der Crash im All ist allgegenwärtig. Und wäre die Internationale Raumstation nicht schon mehrfach vor Trümmerteilen anderer Raumfahrzeuge ausgewichen, gäbe sie es wohl nicht mehr. 28-mal war das bisher der Fall. Allein 2020 dreimal. Die Leere im All um die Erde herum, sie war einmal. Besonders eng wird es mittlerweile auf der geostationären Umlaufbahn in etwa 36.000 Kilometern Höhe. Weil dies der einzige Platz im Orbit ist, an dem beispielsweise Fernsehsatelliten wie festgemacht an einem exakten Ort über der Erde stehen.

Was dort oben einmal angekommen ist, gelangt ohne Treibstoff oder ohne fremde Hilfe nicht mehr zur Erde hinab. Und es fliegt auch nicht einfach so ins All davon. Auf niedrigeren Umlaufbahnen dauert es bis zum Verglühen in der Erdatmosphäre Jahre bis Jahrhunderte. Je nach Flughöhe.

Allein im vergangenen Jahr gab es pro Woche zwei Raketenstarts. Tausende neue Satelliten fürs weltweite Internet an jedem Punkt der Erde, für bessere Navigation, die Umweltbeobachtung und Spionage sind geplant. Das geht weltweit koordiniert vor sich. Die Technik im All wird jedoch dann zur Bedrohung, wenn sie durch Fehlfunktion irgendwann einmal ungesteuert und ungebremst durchs All rast mit mehreren Zehntausend Stundenkilometern. Dann werden selbst millimeterkleine Trümmerstücke zum Geschoss.

In der Cupola, der Aussichtskuppel der Internationalen Raumstation, hat Esa-Astronaut Tim Peake 2016 eine sieben Millimeter große Beschädigung entdeckt. Verursacht von nur einem Schrottteilchen von einem Bruchteil eines Millimeters. 128 Millionen solche Stückchen gibt es den Berechnungen der Europäischen Raumfahrtagentur Esa zufolge. Keines ist als solches mit seiner Bahn bekannt und vorhersehbar, weder im All noch von der Erde aus. Selbst die 900.000 bis zu einem Zentimeter großen Teile sind nicht bekannt. Was indes bis zu zehn Zentimeter groß ist, wird zum Teil bereits mit seiner Flugbahn berechnet. Das sind 34.000 Objekte im All.

Alte ausgediente Raketenstufen und Satelliten werden sowieso per Tracking verfolgt. Den kosmischen Crash eines alten und eines intakten Satelliten gab es bereits 2009. Die derzeit größte Gefahr ist, dass jeder derartige Crash aus bisher zwei Stücken Altmetall Tausende gefährliche Trümmerstücke macht. Denn auch die Trümmer zerlegen sich immer weiter mit jedem Aufeinandertreffen. Es entsteht eine Schrottwolke.

Das große Putzen beginnt

Den Himmel frei von Müll zu halten, ist so nötig wie auf der Erde. Raumfahrt wird sonst für künftige Generationen unmöglich sein. Eine tödliche Barriere aus Schrott würde den Weg ins All versperren. Aufräumen ist daher angesagt. Europa wird weltweit die erste Mission Clear Space 1 im Jahr 2025 in den Orbit schicken. Dieser Minisatellit soll dann einen alten, außer Kontrolle geratenen Satelliten einfangen und nach unten bringen, bis er in der Atmosphäre verglüht. Kosten: 120 Millionen Euro. Das Aufräumen im All wird teuer. Müll vermeiden wäre billiger.

Erstmals soll dieser Satellitenfänger das All aufräumen. Ein außer Kontrolle geratener Satellit wird eingefangen und zum Verglühen in der Atmosphäre gebracht.
Erstmals soll dieser Satellitenfänger das All aufräumen. Ein außer Kontrolle geratener Satellit wird eingefangen und zum Verglühen in der Atmosphäre gebracht. © ClearSpace SA

Wieder einmal haben in der vergangenen Woche die Experten der Welt im Darmstädter Esoc, dem Satellitenkontrollzentrum der Esa, zusammengesessen. Diesmal virtuell. Es ist bereits das achte und inzwischen bedeutendste Meeting im Kampf gegen den Weltraumschrott. Eine Erkenntnis: Ohne finanzielle Haftung für ausgefallene Technik im All wird es nicht gehen. Es gibt Startversicherungen, künftig wohl auch welche für den Ausfall im All. Das Aufräumen am Himmel könnten dann private Dienstleister erledigen.

Und vielleicht findet ja angesichts dramatischer Kosten für die kosmische Müllabfuhr dann doch ein Umdenken viel zeitiger schon statt: Indem zum Beispiel am Ende der Lebensdauer eines Satelliten noch genügend Treibstoff vorhanden bleibt, um ausgediente Technik zum Absturz zu bringen.

Oder es wird gleich an jeden Satelliten noch ein zusätzlicher, autonomer Mini-Antrieb mit angebaut für den letzten Transport bis zum Verglühen in der Atmosphäre. Das könnte den künftigen Raumfahrtprojekten solch teure Satellitenfänger-Missionen wie Clear Space ersparen.

Der Satellitenfänger, gebaut in Europa mit großer Beteiligung Deutschlands, ist ein erster technischer Versuch. Aber er bietet eine durchaus reale Chance, mit dem Aufräumen am Himmel zu beginnen. Europas Raumfahrtindustrie ist in diesem Bereich führend, was ja für sie auch eine kommerzielle Chance wäre. Genau darauf läuft es nun hinaus.

Was im internationalen Weltraumrecht noch fehlt, sind verbindliche Regeln für die Beseitigung ausgedienter Weltraumtechnik. Und es bleibt auch die große Streitfrage: Wer räumt all den Schrott aus dem All, der jetzt schon dort oben ist?