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Und nun? Zurück zur Erde!

Nach 2.500 Erdumrundungen ist die Dienstreise für Matthias Maurer zu Ende. Mehrere Experimente aus Dresden sind schon verpackt.

Von Stephan Schön
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Ende März, Matthias Maurer muss zu Außenarbeiten raus an die Station. Sieben Stunden lang. Er hat’s geschafft.
Ende März, Matthias Maurer muss zu Außenarbeiten raus an die Station. Sieben Stunden lang. Er hat’s geschafft. © NASA/ESA

Was für eine Gelassenheit. Alles wuselt aufgeregt um ihn herum, ihn lässt es kalt. Das war wenige Stunden vor seinem Start ins All. Matthias Maurer kann nichts, aber auch gar nichts aus der Ruhe bringen.

„Die Landung dann, wenn die Raumkapsel am Fallschirm hängt, schaukelt und letztlich stark abgebremst wird – das ist sicher der Moment, in dem die größte Wahrscheinlichkeit für eine Reisekrankheit besteht.“ Das sagte der deutsche Astronaut, bevor er im November gestartet war, im Gespräch mit der Sächsische.de. „Gruseln tut mir vor keinem Moment. Ich möchte eigentlich alles zu 100 Prozent genießen.“ Er sagt es, als wäre es kein Raumflug, sondern Bootsausflug zu Südseeinseln.

Und nun bleiben ihm nur noch drei, vier Tage bis zur Rückkehr von der Internationalen Raumstation auf die Erde. Wann genau, das weiß noch nicht einmal SpaceX, Elon Musks Firma, die den Transport ins All und zurück durchführt. Und, wo bleibt jetzt die Gelassenheit von Matthias Maurer?

Der zwölfte Deutsche im All, Matthias Maurer. Seine kosmische Dienstreise geht nun zu Ende. Folgt dann der Mond?
Der zwölfte Deutsche im All, Matthias Maurer. Seine kosmische Dienstreise geht nun zu Ende. Folgt dann der Mond? © NASA/ESA

Verkehrte Welt. Jetzt sind alle anderen tiefenentspannt, nur einer ist aufgeregt. Vor Freude auf Familie und Freunde. In Erwartung all der schönen, irdischen Dinge: Wind, Wasser und Wellen. Bäume und Blüten. Frische Luft. Ja, frisches Gemüse und knusprige Pizza auch.

Nach fast einem halben Jahr im All und mehr als 2.500 Erdumrundungen sind die meisten Sachen jetzt gepackt. Nur der Schlafsack schwebt noch in seiner Ruhekoje im amerikanischen Teil der Raumstation. Auf der ISS ist es gerade ziemlich eng. Crew-4 ist mit SpaceX am Donnerstag an der ISS angekommen. Und mit ihr auch Semantha Cristoforetti, die Ablösung für den Deutschen im All. Die Italienerin hat an der TU München einen ihrer vielen Hochschulabschlüsse gemacht.

Maurer und Cristoforetti zusammen in der ISS, das ist für die europäische Raumfahrt eine absolute Seltenheit. Zwei Esa-Astronauten gehören für einige Tage zur selben Stationsbesatzung. Maurer packt ein, Cristoforetti packt aus. In diesen Stunden bekommt sie von ihrem deutschen Kollegen die besten Tipps zu den wissenschaftlichen Versuchen. Die besten Tricks, um die Schwerelosigkeit zu überlisten, und möglichst wenig Kleinkram zu verlieren.

Im November vergangenen Jahres startet die Crew mit dieser Falcon 9 in Cape Canaveral.
Im November vergangenen Jahres startet die Crew mit dieser Falcon 9 in Cape Canaveral. © NASA/ESA

Alles verschwindet irgendwie

Was hatte es den Saarländer anfangs unglaublich genervt, seinem Werkzeug ständig hinterherfliegen zu müssen. Was nicht angebunden oder eingesteckt ist, driftet halt in der Schwerelosigkeit davon, bis in die entlegensten, oft versteckten Ecken. Einfach mal was ablegen, um die Hände freizuhaben, das geht dort oben nicht. Abgesehen davon, „Matthias ist mit der Schwerelosigkeit sehr gut zurechtgekommen“, sagt sein Missionsmanager vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) der Sächsischen Zeitung. Volker Schmid kennt den Astronauten seit Jahren. Mit ihm hat er die Experimente vorbereitet. Und er war einer der wenigen, die auch mal aus dem All von Matthias Maurer direkt angerufen wurden. „Unglaublich, so wie von einem Ende der Stadt zum anderen.“ Hallo, wie geht’s, alles gut? Und was man sonst auch ganz irdisch mit guten Freunden bequatscht, so sei es auch zwischen Himmel und Erde gewesen.

Volker Schmid gab dem deutschen Astronauten aber auch ein ganz wichtiges Feedback zu seiner Arbeit im All. Herausragend, so sein Urteil. Das wahrscheinlich prägendste Ereignis war der Außenbordeinsatz. Sieben Stunden lang harte Arbeit und eine Aussicht wie nie zuvor.

„Alles nicht von dieser Welt!“, schwärmte der Saarländer bei Twitter. Selbst die Vorbereitung dafür war schon sehr hart. „Dieses Training im Raumanzug über sechs Stunden ist mental und körperlich sehr anstrengend. In diesem aufgepumpten Anzug muss man unter Wasser hart arbeiten“, sagte Maurer damals im Gespräch mit der SZ. „Das ist schon eine Herausforderung an den Körper. Und dabei steht man unter ständiger Beobachtung, dass die Sicherheitsleinen nicht falsch an der Station angelegt sind. Man darf ja nie den Kontakt zur Station verlieren. Man würde wegdriften und zu Weltraumschrott werden.“

Aber nicht dieser Außeneinsatz, sondern etwas ganz anderes brachte den wirklich gefährlichen Moment. Gleich in den ersten Tagen, so berichtet DLR-Missionsmanager Volker Schmid. Weltraummüll als Trümmerwolke eines alten Satelliten bewegte sich auf die ISS zu. Binnen Stunden mussten alle Forschungsmodule geschlossen werden. Rückzug für alle in den Kern der Station. Auch die Raumkapseln für die Rückkehr waren bereits vorbereitet. – Es ging gut aus. Und so konnte Matthias Maurer an die 100 Experimente abarbeiten. Gut 30 davon kamen aus Deutschland. „Sachsen ist stark dabei“, sagt Schmid.

Dresdner Forschungen im Weltraum

Um es genauer zu sagen: Nie war mehr Wissenschaft von hier auf einer bemannten Raumfahrtmission. An vier Experimenten sind Dresdner Wissenschaftler beteiligt. An drei davon sogar maßgeblich mit einem wissenschaftlichen Supervisor. In einem Fall ging es um Biotinte. Hautzellen aus dem mobilen Drucker, der aussieht wie eine Heißklebepistole. Ein Handheld-Bioprinter.

Der leitende Mediziner bei diesem Experiment ist Professor Michael Gelinsky vom Zentrum für Gelenk- und Weichgewebeforschung der TU Dresden. Bei Bioprint First Aid geht es um schnelle Hilfe bei Hautverletzungen, wenn kein Arzt in der Nähe ist. Zukünftig soll diese Technologie für lange Weltraummissionen und für den Einsatz auf der Erde weiterentwickelt werden.

In einem Elektroschmelzofen hat Matthias Maurer für Dresdner Wissenschaftler berührungslos in der Raumstation neue Werkstoffe erzeugt. Das Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) hatte dieses Experiment an Bord. Auch Icarus hat der deutsche Astronaut fortgesetzt – bis zum Kriegsbeginn in der Ukraine zumindest. Seit 2018 wurden mit dem Icarus-Projekt Hunderte Vögel mit winzigen Sensoren und Sendern bestückt. Sie funken ihre Flugdaten zur ISS.

Icarus fliegt nicht mehr

Die Antennen befinden sich am russischen Segment der Raumstation. Die Sendetechnik haben Dresdner Ingenieure von der Inradios GmbH entwickelt. Die Daten kommen von der Station zum russischen Raumfahrtzentrum und von dort zum Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell. Doch mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hat Deutschland alle bilateralen Raumfahrtprojekte beendet. Icarus sendet nicht mehr. Zumindest keine Daten nach Deutschland. Einzig die Kooperation bei der Internationale Raumstation funktioniert noch.

Maurer sieht in der ISS ein bedeutendes Projekt der Zusammenarbeit zwischen Ländern und Kulturen. „Besonders in diesen Zeiten ist es wichtig, dem Beispiel der ISS zu folgen“, sagt er. „Wir sind an Bord eine internationale Gemeinschaft, und gemeinsam zeigen wir seit 21 Jahren, dass wir mit friedlicher Kooperation viel erreichen können.“

Was bleibt Matthias Maurer im All nun noch zu tun? Ein bisschen auf die Erde schauen, aus der Cupola, dem verglasten Balkon der ISS. Und dann ist noch ganz zum Schluss ein wichtiges Experiment abzuarbeiten: Metabolic Space, entwickelt vom Institut für Luft- und Raumfahrttechnik an der TU Dresden. Metabolic Space hat die meiste Astronautenzeit von den vier sächsischen Experimenten auf der ISS bekommen. Es kann die Körperfunktionen, den Zustand und die Arbeit der Organe erkennen. Den stofflichen Umsatz anhand solcher Faktoren wie Puls, Hauttemperatur und Zusammensetzung der Atemluft. Metabolismus nennen das Mediziner.

Matthias Maurer während des Experiments Metabolic Space für die TU Dresden. Es geht dabei um die Untersuchung des menschlichen Stoffwechsels.
Matthias Maurer während des Experiments Metabolic Space für die TU Dresden. Es geht dabei um die Untersuchung des menschlichen Stoffwechsels. © NASA/ESA

Metabolic Space ist das weltweit kleinste derartige Gerät, berichtet Projektleiter Tino Schmiel von der TU. Schon Maurers Vorgänger, Astronaut Alexander Gerst, hatte es im All genutzt. Er mochte dieses Experiment, obwohl es einen durchaus etwas quält, denn es kommt etwa einer halben Stunde bergauf Radfahren gleich. Es war für Matthias Maurer eine zusätzliche Trainingseinheit zum ohnehin schon fest im Tagesplan vorgeschriebenen Sport.

Ähnliche Geräte wie Metabolic Space zur Gesundheitskontrolle gibt es zwar schon in Serie. Nur sind das ziemlich große Kästen mit noch viel mehr Kabeln und Schläuchen. Umständlich anzulegen. „Metabolic Space funktionierte einwandfrei“, berichtet Missionsmanager Volker Schmid. So gut sogar, dass eine weitere Nutzung im All nun möglich scheint. Irdische Anwendungen sind nicht nur denkbar, sie sind bereits vorgesehen: Feuerwehrleute und Katastrophenkräfte könnten so bei schweren Einsätzen gesundheitlich überwacht werden, bevor etwas passiert. Intensivpatienten ebenso. Freizeitsportler und Olympiakandidaten wüssten, was dem Körper für noch mehr Leistung fehlt.

Schmiel und sein Team von der TU Dresden arbeiten daran. Und an noch viel kleineren, einfacheren Apparaturen. Metabolic Space wird den deutschen Astronauten noch bis auf die Erde verfolgen. Kommende Woche, wenige Stunden nachdem die Dragon-Kapsel vor der Küste Amerikas ins Wasser getaucht ist, wird Matthias Maurer per Sonderflug von Cape Canaveral zurück nach Deutschland geschickt. Im Kölner DLR-Zentrum für Raumfahrtmedizin folgt dann der wochenlange Check nach dem Flug. Und dort gibt es wenige Stunden nach der Ankunft schon wieder das Dresdner Metabolic-Experiment – für wichtige medizinische Vergleichsdaten.

Ein Lieblingsplatz in der ISS, der Balkon. In der Cupola gibt es den besten Rundumblick.
Ein Lieblingsplatz in der ISS, der Balkon. In der Cupola gibt es den besten Rundumblick. © NASA/ESA

Wenn die Schwerkraft wieder zuschlägt

Noch gibt es einige wenige außerirdische Tage für Astronaut Matthias Maurer. Nach fast auf den Tag genau einem halben Jahr in der Raumstation ISS geht es kommende Woche zurück zur Erde. Ich denke, die Rückkehr ist wie der Start. Vielleicht auch wie der Weltraumspaziergang, eines der drei ganz großen Highlights.“ Auf jeden Fall sei es „ein dynamisches Event“, wenn man in die Erdatmosphäre eintrete. Wenn dann der Fallschirm aufgehe und man auf die Erde schaukele, das sei „schon ein wirklich intensiver Moment, auf den ich mich einerseits freue, andererseits denke ich mal, wünsche ich mir, dass es vielleicht dann schnell vorbei ist. Am wenigsten freue ich mich auf die Schwerkraft.“

Ein paar Wochen Medizin-Checks beginnen dann sofort im Envihab, dem Kölner Großlabor der deutschen Raumfahrtmedizin. Es folgen Experiment-Auswertungen zusammen mit den Forschern. Schließlich perspektivisch soll Matthias Maurer in Köln an der neuen europäischen Mondtrainingsanlage Luna mitarbeiten. „Und wenn sich dann in Zukunft noch einmal eine Fluggelegenheit ergeben würde Richtung Mond, zum Mond, auf den Mond – dann wäre ich sehr, sehr glücklich darüber. Und würde sofort sagen: Absolut, ich bin dabei.“