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Mehr als das Klopapier im Regal

Am "Tag der Logistik" buhlt die Branche um Aufmerksamkeit und Personal – auch Sachsens führende Spedition Weck + Poller.

Von Michael Rothe
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Wenn, wie hier Mitte März im 25-Kilometer-Stau auf der A4 wegen verschärfter Kontrollen an Polens Grenze, nichts mehr geht – dann merkt auch der/die Letzte, wie wichtig eine reibungslose Logistik ist.
Wenn, wie hier Mitte März im 25-Kilometer-Stau auf der A4 wegen verschärfter Kontrollen an Polens Grenze, nichts mehr geht – dann merkt auch der/die Letzte, wie wichtig eine reibungslose Logistik ist. © ronaldbonss.com

Logistik ist allgegenwärtig. Sie sorgt weltweit dafür, dass Güter und Waren stets dort sind, wo sie gebraucht werden, rund um die Uhr. Die Branche ist systemrelevant – und mehr als das mit Klopapier gefüllte Drogerieregal. Dennoch sieht sie sich in der öffentlichen Wahrnehmung unterbelichtet. „Vor 20 Jahren gab es sicher ein Imageproblem, aber heute nicht mehr“, sagt Heiko Nowak, Geschäftsführer von Weck+Poller in Zwickau, einer der größten Speditionen mit Sitz im Freistaat. Es gebe interessante und krisensichere Jobs – auch mit Blick auf Digitalisierung und Robotertechnik. „Warenbewegungen im weitesten Sinn braucht es immer“, so der Chef von mehr als 1.000 Beschäftigten.

Die Logistik ist mit über drei Millionen Beschäftigten in Deutschland der größte Wirtschaftsbereich nach der Autoindustrie und dem Handel. 268 Milliarden Euro Umsatz wurden 2020 branchenübergreifend erwirtschaftet, ein coronabedingter Rückgang um sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr. Trotz der Bedeutung als Getriebe der Wirtschaft ist weniger als die Hälfte der logistischen Leistungen für jedermann sichtbar. Planung, Steuerung und Umsetzung innerhalb der Unternehmen bleiben für Außenstehende verborgen.

Mittelständler öffnen ihre Türen

Um die Sichtbarkeit zu erhöhen, hat die Bundesvereinigung BVL einen „Tag der Logistik“ ins Leben gerufen, an dem Unternehmen ihre Türen für die Öffentlichkeit öffnen – darunter viele Mittelständler, aber auch Branchenriesen wie Deutsche Post DHL, die Deutsche Bahn und der Onlinehändler Amazon mit seinem Netzwerk aus 15 Logistikzentren in Deutschland. Das Motto: „Logistik macht’s möglich“.

„Am Donnerstag wollen wir uns präsentieren und vor allem für den Nachwuchs und Quereinsteiger interessant sein“, sagt Heiko Nowak von Weck+Poller. Den in Eisleben geborenen Maschinenbauingenieur hatte es nach gut 30 Jahren in Dortmund zurück in den Osten gezogen. Dort führt er das Zwickauer Unternehmen seit Januar gemeinsam mit Doreen Paesold-Runge. Der Maschinenbauingenieur war zuvor Manager bei namhaften Adressen wie Fiege, Tengelmann und Rhenus.

Gigaliner kein großes Thema mehr

Weck+Poller ist Dienstleister für Lagerlogistik, Transport und Recycling/Produktion und agiert an sechs Standorten in Sachsen und Baden-Württemberg. Die Zwickauer machten vor acht Jahren Schlagzeilen, weil sie als eine der ersten Speditionen testweise auch mit umstrittenen Gigalinern fuhren. „Diese Lang-Lkw haben sich bei uns nicht durchgesetzt“, sagt Heiko Nowak. Die 25 Meter langen Gefährte lohnten nur auf langen Autobahntouren, wenn es nicht durch Orte und über Landstraßen gehe.

„Wir befassen uns lieber mit alternativen Antrieben“, sagt der 55-Jährige, der zwischen Zwickau und Dortmund pendelt, aber im nächsten Jahr mit seiner Familie nach Leipzig ziehen will. „Wir setzen auf Wasserstoff und führen dazu Gespräche mit unserem Hauptkunden Daimler“, sagt Nowak. Nach der Serienreife würden erste Versuche folgen. Allerdings gebe es Nachholbedarf bei den Tankmöglichkeiten.Ein anderes Problem begegnet ihm bei seinen Heimfahrten: Überfüllte Park- und Rastplätze, wo die Brummifahrer teils auf dem Standstreifen stehen müssen. „Hier erwarte ich endlich Signale der Politik, für eine bessere Infrastruktur zu sorgen.“

Frachtpreise vervierfacht

Vom Brexit spürt Weck+Poller wenig – weil das Unternehmen zuerst national für die Auto-, Bau- und Lebensmittelindustrie fährt und sich bei risikoreichen und teuren Auslandstouren spezialisierter Partner bedient. Die jüngste Schiffshavarie im Suezkanal schlage dafür richtig durch. Der Stau habe den Mangel an Leercontainern in Deutschland verschärft. Folge: Lieferengpässe und eine Vervierfachung der Frachtpreise. Coronabedingt fehlt es an Material, aber vor allem an Personal.

Heiko Nowak (55) ist seit Januar Geschäftsführer von Weck+Poller in Zwickau. Der Eislebener ist verheiratet und hat einen Sohn.
Heiko Nowak (55) ist seit Januar Geschäftsführer von Weck+Poller in Zwickau. Der Eislebener ist verheiratet und hat einen Sohn. © Bildstelle

„Gerade bei Berufskraftfahrern ist die Lage mehr als dramatisch“, sagt Nowak. Trotz relativ guter Bezahlung und betrieblicher Altersvorsorge sei es schwer, junge Menschen für den Job zu begeistern. „Die abgeschaffte Wehrpflicht und die damit verbundene breite Ausbildung inklusive Lkw-Führerschein merken wir“, räumt der Chef ein. Außerdem achte die Jugend heutzutage auf die Work-Life-Balance. Eine Abwesenheit von Montag bis Freitag komme für viele nicht mehr infrage. „Wir fahren mehr Begegnungsverkehre, damit unsere rund 600 Fahrer mindestens zwei Nächte pro Woche daheim sind“, sagt er.

Bei aller Konkurrenz: Spediteure betonen immer wieder auch die Solidarität in der Branche. Man helfe sich mit Fuhren gegenseitig, heißt es vom Netzwerk Logistik Mitteldeutschland. Das 2008 gegründete Bündnis mit 140 Mitgliedern, anfangs auf den Raum Leipzig-Halle fokussiert, hat mittlerweile 24 Beitragszahler in Ostsachsen. Sein Ziel: Firmen eine Plattform bieten, auf der gemeinsame Ideen und Geschäftsmodelle entwickelt werden.

Lieferketten brechen zusammen

Netzwerkchef Toralf Weiße nennt die Corona-Pandemie „eine der größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte“. Verglichen mit der Krise 2008/09 sei die Branche noch mehr gefordert. „Lieferketten brechen zusammen, Kunden stellen ihren Geschäftsbetrieb ein, Logistikunternehmen müssen ihren Fuhrpark stilllegen“, so Weiße. Es brauche Maßnahmen, die nicht nur die Großen stärken, sondern Kleinunternehmern und Mittelständlern das Überleben sichern.

„Die Politik darf nicht zögern und sich in einen föderalistischen Streit begeben“, hatte der Vorstandsvorsitzende des Vereins im Frühjahr 2020 gewarnt. Und ein Jahr später ist Deutschland noch immer ein Flickenteppich bei den Corona-Regelungen, fehlt es an Impfdosen und Testkapazitäten, kritisieren Logistiker angeordnete Test-Kontrollen an den Grenzen zu Tschechien und Tirol und fordern freie Fahrt für den Güterverkehr.

Industrie und Handel ohne Logistik undenkbar

Weck+Poller-Chef Nowak will nicht über die Sinnhaftigkeit von Tests für Brummifahrer im Transit diskutieren, er geht die Strategie mit. „Wenn die Auflagen nicht deutlich schlechter werden, können wir mit der Situation leben“, sagt er – auch wegen des eigenen Testzentrums in Schönfeld, wo alle Fahrer drei Mal pro Woche getestet würden. Die Westsachsen sind bislang gut durch die Krise gekommen, hatten 2020 mit 150 Millionen Euro Umsatz fast keine Einbußen zum Vorjahr. „Und in diesem Jahr sieht es ähnlich aus.“

„Industrie und Handel sind ohne Logistik nicht denkbar“, schreibt Sachsens Wirtschaftsministerium. Das werde spätestens klar, wenn die Versorgung nicht funktioniere, die Produktion ins Stocken gerate oder Waren nicht verkauft werden könnten. Die Branche erwirtschafte im Freistaat mit 170.000 Mitarbeitern 11,7 Milliarden Euro Umsatz, heißt es. Und Sachsen sei wegen seiner zentralen Lage Drehscheibe und ein wichtiges Transitland.

Lebenswichtig & unterschätzt

  • Nur knapp die Hälfte der logistischen Leistungen besteht in der gemeinhin sichtbaren Bewegung von Gütern.
  • Die andere Hälfte findet in der Planung, Steuerung und Umsetzung innerhalb von Unternehmen statt.
  • Das Netzwerk Logistik Mitteldeutschland richtet am 15. April eine rein virtuelle Messe für Logistikberufe aus.
  • Schüler, Studenten, Quereinsteiger können sich von 10 bis 16 Uhr über Lehrstellen und Jobs informieren.
  • Besucher können Videos und Infomaterial ansehen und im Live-Chat in Kontakt zu Ausstellern treten. (SZ/mr)

www.messe.taxi; www.tag-der-logistik.de