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Dresdner Verkehrswissenschaftler: "Der Autoverkehr wird Spuren abgeben müssen"

Eigentlich ist Dresden in Sachen Radverkehr gut aufgestellt. Doch wie kann er weiter verbessert werden? Und warum muss der Autoverkehr dafür zurückstecken? Ein Verkehrswissenschaftler hat Antworten.

Von Juliane Just
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"Eine Stadt ist in erster Linie zum Leben da, nicht zum Durchfahren", sagt Sven Lißner, Verkehrswissenschaftler an der TU Dresden. Die Dresdner müssten ihre Mobilität verändern, damit die Stadt lebenswert bleibt.
"Eine Stadt ist in erster Linie zum Leben da, nicht zum Durchfahren", sagt Sven Lißner, Verkehrswissenschaftler an der TU Dresden. Die Dresdner müssten ihre Mobilität verändern, damit die Stadt lebenswert bleibt. © Sven Ellger

Dresden. Eigentlich will die Stadt den Radverkehr in Dresden voranbringen, doch über die Umsetzung wird viel gestritten. Ist Dresden überhaupt eine Fahrradstadt? Sven Lißner, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Verkehrsökologie der Fakultät Verkehrswissenschaften "Friedrich List" an der Technischen Universität Dresden beschäftigt sich seit 2013 mit Dresdens Radverkehr. Im Interview mit Sächsische.de spricht er darüber, warum der Autoverkehr in Zukunft zurückstecken muss.

Herr Lißner, wie ist Dresden Ihrer Meinung nach in Sachen Radwegenetz aufgestellt?

Im deutschlandweiten Vergleich der Großstädte ist Dresden im Mittelfeld angesiedelt. Wir haben eigentlich ein ordentliches Radwegenetz, das jedoch die eine oder andere Lücke hat. Wenn man das Bürgerempfinden einbezieht, ist Dresden bei den Fahrradklima-Tests des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) regelmäßig auf den hinteren Plätzen. Das heißt, die Dresdner hätten gern mehr Radwege und die Qualität könnte an vielen Stellen besser sein. Man muss aber sagen, dass in den vergangenen Jahren viel passiert ist. Wir bewegen uns in die richtige Richtung - auch mit mutigen Entscheidungen.

Was war denn beispielsweise "mutig"?

Ich fand es mutig und sehr wichtig, dass auf der St. Petersburger Straße die Parkflächen entfallen sind, um einen Unfallschwerpunkt zu entschärfen, nachdem an dieser Stelle ein tödlicher Unfall passiert ist. Auch auf der Karl-Marx-Straße in Klotzsche sind Parkflächen entfallen, um vor dem Gymnasium die Radverkehrsanlagen zu verbreitern und Schutzstreifen zu schaffen. Dort wurden auch Dooring-Sicherheitszonen geschaffen, wo Radfahrer ausreichend Schutz haben, um nicht in sich öffnende Autotüren hereinzufahren. All das ist ein Zeichen, dass man den Radverkehr stärker mitdenkt und man Radverkehrssicherheit prioritär behandelt.

Wo ist für Sie die gefährlichste Stelle für Radfahrer in Dresden?

Das ist etwas sehr Subjektives. Es gibt Ecken, die objektiv gut gebaut sind, an denen sich Radfahrer trotzdem unsicher fühlen. Da fällt mir spontan die Königsbrücker Straße stadteinwärts oberhalb der Stauffenbergallee ein. Da hat man als Radfahrer die Wahl: Mitschwimmen im Kfz-Verkehr oder den Weg auf der anderen Seite gemeinsam mit dem Fußverkehr. Am Olbrichtplatz folgt eine ganz unangenehme 90-Grad-Linkskurve in einen kleinen Park hinein. Da denke ich jedes Mal: Mein Gott, das ist ungeheuer ungünstig gelöst. Da muss unbedingt etwas getan werden. Die Planungen laufen, aber das dauert eben. Bei Planfeststellungsverfahren gibt es meist einen Umsetzungshorizont von drei Jahren und länger. Da kann die Stadtverwaltung nichts dafür, da muss man sie ein bisschen aus der Schusslinie nehmen. Das hängt häufig an der Landesdirektion.

Hat die Zahl der Radfahrer in den vergangenen Jahren zugenommen?

Bei der regelmäßigen Haushaltsbefragungen der TU Dresden verzeichnen wird in den vergangenen Jahren ein merkliches Ansteigen. Wahrscheinlich wird der Anteil der Radfahrten am Gesamtverkehr bei etwas über 20 Prozent liegen, zumindest legen das steigende Zahlen an den Zählstellen nahe. 2018 waren es noch 18,4 Prozent. Wobei man vorsichtig sein muss mit der Lockdown-Zeit, in der die Mobilität der Dresdner zwar insgesamt gesunken ist, der Radverkehrsanteil jedoch anstieg.

Dresden hat ein Radverkehrskonzept, bei dem bis 2025 insgesamt 450 Einzelprojekte umgesetzt werden sollen. Dies beinhaltet auch Radvorrangrouten und Radschnellwege. Sind das nachhaltige Varianten, um den Radverkehr zu stärken?

Unbedingt. Da kommt es nochmal zu einer Bündelung und das kann zu einer Beschleunigung des Radverkehrs führen. Für einen Radschnellweg gibt es bestimmte Merkmale, die ihn ausmachen - unter anderem, dass er überwiegend kreuzungsfrei geführt werden soll. Wenn eine Kreuzung nötig ist, dann mit Vorrang für den Radfahrer. So soll eine bestimmte Durchschnittsgeschwindigkeit erreicht werden. Wenn es eine Nord-Süd- und eine Ost-West-Achse geben würde, auf der man wirklich schnell vorankommen würde, wäre das ein Quantensprung für Dresden. Der Elberadweg ist beispielsweise früh am Morgen bereits eine Ost-West-Achse, die sehr gut funktioniert. Dort kommt es allerdings nachmittags zu einer hohen Verkehrsdichte und zu Nutzungsmischungen im Innenstadtbereich, was wiederum zu kritischen Situationen mit Fußgängern führt.

Kann ein Ausbau des Elberadweges auf durchgängig sechs Metern Breite Abhilfe schaffen?

Das ist schwierig. Den Elberadweg kann man nicht einfach verbreitern, weil er sich in einem Landschaftsschutzgebiet befindet. Da sprechen dann wieder andere Belange gegen den Radverkehr. Ein breiterer Weg kann außerdem wohl dazu führen, dass die Verkehrsteilnehmer schneller unterwegs sind. Es bleibt aber ein gemeinsamer Geh- und Radweg, auf dem theoretisch auch Kinder mit Kreide auf dem Pflaster malen dürften. Da müsste man neue, innovative Wege gehen und mit Verkehrspsychologen Konzepte erdenken, wie man wirksam eine Geschwindigkeitsbegrenzung transportiert bekommt.

Pkw-Fahrer beschweren sich über Staus, die DVB monieren das Ausbremsen von Bussen und Bahnen, Radfahrer wollen aber auch schneller vorankommen. Wie bekommt man denn an konfliktreichen Stellen einen Konsens für alle Teilnehmer hin?

Den wird es nicht geben. Die Herausforderung ist, dass wir unsere Städte in den kommenden Jahren lebenswert und klimagerecht gestalten. Die Städte müssen grüner werden und wir brauchen weniger Blech. Das ist unabdingbar. Da wird der Autoverkehr an Härtefallstellen, wo es baulich nicht anders lösbar ist, Spuren abgeben müssen. Das ist eine unbequeme Wahrheit, aber eine Stadt ist in allererster Linie zum Leben da, nicht zum Durchfahren.