Durch Europa radeln mit Kleinkindern - wie geht das?
Eine Familie aus Dresden ist mit dem Fahrrad von Dresden nach Istanbul gefahren, als die Kinder zwei und vier Jahre alt waren. Ausstattung, Routen, Kosten: Worauf es dabei ankam.
Kennengelernt haben sie sich als Radreisende im kirgisischen Bischkek, inzwischen sind sie verheiratet und haben zwei Kinder, Jonne und Oskar. Unterwegs sind Sophie Ehret-Sander (37) und Ingo Ehret (55) aus Dresden immer noch am liebsten im Sattel, nun als Quartett. Im Interview berichtet das Ehepaar von ihrer ersten großen Tour durch zwölf Länder.
Wie kommt man auf die Idee, mit zwei kleinen Kindern eine Radreise bis ans Ende Europas zu machen?
Ingo: Ich bin schon viel mit dem Fahrrad durch die Welt gefahren, zum Beispiel rund ums Himalaya-Gebirge, durch den Nahen Osten oder Afrika und nach Südostasien. Meine Frau beneidet mich ein bisschen, dass sie nicht mehr so viel machen kann. Ohne Kinder geht alles halt einfacher. Mit ihnen zu reisen, verändert vieles.
War Ihnen von vornherein klar: Auch mit Kindern werden wir reisen?
Ingo: Ja, genau.
Sophie: Das Schönste ist ja, dass man immer draußen und den Menschen ganz nah ist. Nicht so abgeschottet wie im Auto. Auf dem Fahrrad ist die Aussicht anders. Es geht langsam, man kommt aber trotzdem Stück für Stück voran. Zu Fuß ist es zu schwer, alles Notwendige mitzunehmen.
Mussten die Kinder aus Ihrer Sicht ein bestimmtes Alter erreichen, damit Sie wieder losziehen konnten?
Ingo: Die erste Eintagestour mit Oskar haben wir gemacht, als er zwei Monate war.
Sophie: Unsere erste „richtige“ Tour ging dann an die Ostsee, da hat er teilweise noch im Tragetuch auf dem Rücken gesessen.
Die Botschaft ist also: Es geht von Anfang an, wenn man will?
Sophie: Ja, wenn man sich keinen Zeitstress macht. Es spielt keine Rolle, wie weit man kommt, sondern um das Zusammensein in der Familie, das intensive Erleben – ohne Ablenkung.
Wann haben Sie angefangen, Ihre Tour von Dresden nach Istanbul vorzubereiten?
Ingo: Die Idee gab es schon länger, mit der Planung begonnen haben wir erst einen Monat vorher. Meine Frau hat noch gearbeitet und ist dann in Elternzeit gegangen. Ich war als Freiberufler eh flexibel.
Es war also klar, dass genug Zeit sein würde, die Frage war eher wohin?
Ingo: Genau. Wir hatten einige Osteuropa-Reiseführer gelesen und uns einige der dort verlaufenden Eurovelo-Radwege angeschaut. Der E13 erschien uns reizvoll. Diese Route verläuft von Finnland bis ans Schwarze Meer, immer am früheren Eisernen Vorhang entlang. Wir hatten dann die Idee, wenn wir schon von Dresden bis ans Schwarze Meer fahren, könnten wir auch noch bis Istanbul radeln.
Sophie: Wichtig war uns, von Zuhause loszufahren, damit die Kinder sehen: Das dauert so lange, dorthin zu kommen. Oskar konnten wir unterwegs an den Resten des Zauns erklären: „Da war mal eine lange Grenze, hier durfte man nicht drüber.“
Haben Sie vorab eine Zeit veranschlagt, die Sie bis Istanbul brauchen würden?
Ingo: Im Jahr zuvor sind wir den Oder-Neiße-Radweg abgefahren und haben innerhalb eines Monats rund 1.000 Kilometer geschafft. Daher haben wir für 4.000 Kilometer bis Istanbul vier Monate geplant. Tatsächlich waren wir nach vier Monaten und zwei Tagen in Istanbul. Insgesamt hat die Reise viereinhalb Monate gedauert.
Wie bereitet man sein Equipment für eine solche Tour vor?
Sophie: Die beste Vorbereitung ist, einfach sein Rad zu bepacken und mal ein, zwei Tage zu fahren. Da stellt man fest, was man braucht und was nicht.
Ingo: Wir hatten ja schon viel Ausrüstung – durch die früheren Reisen.
Was für Räder?
Ingo: Sophie hat ein Reiserad mit Rohloff-Schaltung und einigem Schnickschnack, ich bin mit einem 30 Jahre alten Rad gefahren. Durchgehalten haben beide.
Sophie: Ganz gut ist, wenn man sich ein bisschen auskennt. Ich habe mein Rad in einer Selbsthilfewerkstatt eigenhändig zusammengebaut. Da bekommt man eine Idee davon, wie man Komponenten reparieren oder Verschleißteile wechseln kann.
26 Zoll oder 28 Zoll?
Sophie: 26. Einen 26er-Reifen findet man weltweit einfacher als einen 28er.
Ersatzteile?
Ingo: Da haben wir uns sehr beschränkt: Bremsbeläge, Seilzüge, Flickzeug.
Wie viel Gepäck ist es geworden, und wie haben Sie es transportiert?
Sophie: Jeweils zwei Seitenträger vorn und hinten für Taschen , auf dem hinteren mittigen Träger waren Schlafsäcke und zwei kleine Zelte fixiert. Dazu Lenkertaschen.
Ingo: Jeder hatte etwa 25 bis 30 Kilo Gewicht am Fahrrad.
Wieso zwei Zelte?
Sophie: Für uns war die Lösung „Je ein Erwachsener und ein Kind pro Zelt“ praktischer. Es hat sich bewährt, dass die Kinder getrennt einschlafen.
Haben Sie vorher darüber nachgedacht, wie die Kinder mitfahren sollen?
Ingo: Es war klar, dass Jonne und Oskar auf ihren Sitzen auf dem Oberrohr des Rahmens mitfahren sollen. Von dort haben sie die beste Aussicht, und wir können besser mit ihnen reden.
Sophie: Tatsächlich wollte keiner der Beiden im Anhänger sitzen, den wir trotzdem noch mitgenommen hatten.
Ingo: Bis nach 2.000 Kilometern mein Knie anschwoll, weil ich ständig mit gespreizten Beinen treten musste. Ab da musste immer ein Kind in den Anhänger. Da ging das Gezeter los, weil keiner wollte.
Wie weit sind Sie am Tag gefahren?
Sophie: Die Etappen waren von vielen Faktoren abhängig. Wenn das Wetter gut – also nicht so heiß – war, war es oft bergig. Auf Flachetappen bei großer Hitze, etwa entlang der Donau, sind wir dagegen nur früh und ganz spät abends gefahren. So sind wir auf Distanzen zwischen 20 und 60 Kilometern gekommen. Im Schnitt waren es 35. Mehr wäre auch wegen des Tagesrhythmus nicht drin gewesen: Sieben Uhr muss das Frühstück fertig, zwölf Uhr das Mittagessen gekocht sein. Wir mussten also gegen elf schon Pausenplätze ansteuern. Am besten einen mit einem Spielplatz oder einer Badestelle. Bei 40 Grad tagsüber sind wir dann erst abends 18 Uhr weitergefahren.
Ingo: Und wir haben spätestens nach zwei Stunden Fahrt eine Pause eingelegt.
Sophie: Es gab fast nie Diskussionen ums Aufsteigen. Meistens haben sich beide gefreut, wenn wir wieder losgefahren sind.
Wussten Sie immer, wo Sie übernachten würden?
Ingo: Nein. Wir haben fast nur wild gezeltet, mussten also nie einen bestimmten Ort erreichen. Ging es nicht mehr weiter, haben wir uns einen schönen Fleck gesucht.
Haben Sie versucht, stark befahrene Straßen zu meiden? Wie war die Rad-Infrastruktur auf Ihrer Route?
Sophie: Sehr unterschiedlich. Tschechien hat viele tolle Radwege, Österreich ebenso. Auch in Ungarn ist der E13 noch gut ausgeschildert, in Bulgarien dann nicht mehr. Trotzdem ist es schön, durch Bulgarien zu radeln, ich bin dort schon gewesen.
Ingo: Dort war auch der höchste Punkt unserer Tour – ein Pass auf 1.700 Metern.
Wie viele Pannen gab es unterwegs?
Ingo: Mir ist zweimal der Freilauf kaputt gegangen. Beim ersten Mal wurde in einer Werkstatt im serbischen Novi Sad das ganze Hinterrad getauscht. Mit einem gebrauchten Ersatz ging es noch mal 1.000 Kilometer gut. In Bulgarien musste dann erneut getauscht werden. Das hat aber nur rund 60 Euro gekostet. Außerdem hatten wir mehrere Platten, auch am Anhänger.
Wie war es, am Ende der Reise in einem Moloch wie Istanbul anzukommen?
Ingo: In der Metropolregion leben 20 Millionen Menschen. Je näher man der Stadt kommt, desto größer die Straßen. Da ist irgendwann nichts mehr für Radfahrer.
Sophie: Eine Route haben wir dann aber gefunden, die hat uns an den nördlichsten Punkt von Istanbul geführt. Von dort fährt eine Fähre durch den Bosporus ins Zentrum. Die Kinder haben diese Stadt aufgesogen, nach all der Ruhe und Idylle zuvor.
Sophie: Mit dem Zug und dem Bus. Die Jungs haben viel aus dem Fenster geschaut und gesagt: „Das geht ja schnell!“ Der Spiel-Zug, den sie hier zuhause haben, fährt jetzt natürlich auch nach Istanbul.
Was hat Sie die Reise gekostet?
Ingo: Rund 4.000 Euro. Wir haben aber fast immer selber gekocht und sind fast nie essen gegangen. Und die paar Tage Istanbul am Schluss haben vermutlich genauso viel gekostet wie ein Monat in Serbien.
Letzte Frage: Wo geht die nächste Radreise hin?
Ingo: Sophie wälzt Südamerika-Reiseführer. Patagonien wäre ein Ziel. Das wäre aber frühestens im Herbst möglich.
Sophie: Klar ist auch: Sechs Wochen Südamerika machen keinen Sinn. Damit es sich lohnt, muss man länger bleiben.
Ingo: Die Kosten sind halt andere. Man zahlt ja auch für die Kinder den vollen Flugpreis. Ob wir das wirklich umsetzen können und wie bis dahin unser finanzieller Hintergrund ist, wissen wir noch nicht.
Ingo Ehret hat sich 2011 mit seinen Reisevorträgen selbstständig gemacht. Kontakt für Anfragen: www.ingo-ehret.de