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Kann ein Longtail-Lastenrad das Auto ersetzen?

Ein neues Modell erlaubt es, schweres Gepäck und Kinder mitzunehmen. Ein Test zeigt, wie gut das gelingt.

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Die Packtaschen am Multitinker
von Riese & Müller fassen zusammen 84 Liter. Sie verdecken aber die Fußleisten. Vor allem, wenn sie prall gefüllt sind.
Die Packtaschen am Multitinker von Riese & Müller fassen zusammen 84 Liter. Sie verdecken aber die Fußleisten. Vor allem, wenn sie prall gefüllt sind. © Stefan Weißenborn/dpa

Familien mit einem Faible für Lastenfahrräder entdecken immer häufiger das sogenannte Longtail. Dieses Modell, auch Backpacker genannt, hält sogar größere Mitfahrer auf dem langen Heckgepäckträger aus. Doch erst seit der Novelle der Straßenverkehrsordnung 2020 dürfen auch Menschen transportiert werden, die älter als sieben Jahre sind.

Voraussetzung: Der Fahrer muss mindestens 16 Jahre und das Fahrrad „zur Personenbeförderung gebaut und eingerichtet“ sein. Wir waren mit dem Multitinker der Firma Riese & Müller mit kleinem Sozius an Bord unterwegs.

Der Einsatzzweck

Das Multitinker sei der der „ideale Autoersatz in der Stadt“, behauptet der Hersteller. Zwei Kinder kutschieren, den Großeinkauf bewältigen, dafür sei das Modell gedacht. Das zulässige Gesamtgewicht von 200 Kilo unterstreicht diesen Anspruch. Doch kein Vorteil ohne Abstriche: Schon ohne Extras wie Packtaschen oder Frontgepäckträger wiegt das Longtail 36 Kilo. Das Rad einen Treppenabsatz hinauf in den Hausflur zu tragen, ist schon sehr mühsam.

Die Technik

Das Testrad hat Boschs „sportlichsten Motor“, den Performance Line CX mit bis zu 85 Newtonmetern Drehmoment, zusammen mit einer stufenlosen Enviolo-Hecknabenschaltung. Dank ihr ist eine auch jenseits der elektrisch unterstützten 25 km/h taugliche Übersetzung vorhanden. Da die Nabe über eine Dauerschmierung verfügt, verspricht Enviolo über die gesamte Produktlebensdauer Wartungsfreiheit.

Um das Multitinker verlässlich zum Stehen zu bringen, sind hydraulische Scheibenbremsen von Magura montiert, vorn mit vier Bremskolben für mehr Biss, hinten mit ausreichenden zwei Kolben. Dieses Bremsen-Set-up gab während der Testfahrten keinerlei Anlass zu Kritik. Ausreichend dimensioniert auch der 625-Wattstunden-Akku. Vollgeladen zeigte das Display knapp 70 Kilometer Reichweite im Eco-Modus.

Der Fahreindruck

Sicher fühlt sich die die Fahrt dank des tiefen Schwerpunkts immer an. Doch etwas Eingewöhnung ist gefragt, vor allem, wenn Lasten an Bord sind. Je schwerer, desto fremdbestimmter wirkt das Heck. Lenkbewegungen fühlen sich unverbindlich an, das Vorderrad wird immer nervöser. Davon abgesehen: Zwei Getränkekisten oder bis zu zwei Kinder mitnehmen zu können, löst das Autoersatzversprechen durchaus ein.

Und wendiger als ein Lastenrad mit großer Kiste vor dem Lenker ist das Multitinker auch. Am Testrad ist das Safety-Bar-Kit als Zusatzausstattung montiert, eine umlaufende Rohrkonstruktion, die passgenauer Ladung Halt und dem Nachwuchs die Möglichkeit zum Festhalten gibt. Allerdings: Mehr als 50 Kilogramm dürfen hinten laut Hersteller nicht drauf. Konfiguriert man das Multitinker mit dem sogenannten Passagier-Kit, darf aber eine bis zu 65 Kilo schwere Person mitfahren.

Die weiteren Bauteile, das Zubehör

Vorn ist ein Gepäckträger für Taschen oder Einkäufe bis acht Kilo montiert, der sich vor allem dann als praktisch erweist, wenn die hinteren Plätze belegt sind. Ansonsten bleibt er wegen der Ladeoptionen am Heck oft reine Zierde und kostet zudem 50 Euro Aufpreis.

Anders die zwei passenden Cargo-Taschen für hinten: Die kosten 100 Euro Aufpreis, fassen aber je 42 Liter. Nachteil: Man muss sich zwischen vollen Taschen und Passagieren entscheiden. Sind die Taschen prall gefüllt, müsste man unbequem breitbeinig auf der Sitzbank hocken.

Der Preis

Mit einem Preis ab 6.200 Euro bewegt sich das Multitinker Vario je nach Ausstattung auf dem Niveau vergleichbarer Markenräder. Das Testrad mit seiner Zusatzausstattung kostete aber schon rund 6.820 Euro. Sparen kann, wer statt der Nabenschaltung eine Zehn-Gang-Kettenschaltung von Shimano ordert. Die kostet 500 Euro weniger.

Das Fazit

Dass man als Multitinker-Besitzer das Auto öfter mal stehenlassen kann, freut Geldbeutel und Umwelt. Positiv bemerkbar machen sich auch die gute Verarbeitung und die robuste Bauweise. Minuspunkte gibt es fürs leicht zappelige Fahrverhalten und die kleinen 20-Zoll-Räder, die weder Schlaglöcher noch lockeren Untergrund verzeihen. Dafür ist das Multitinker auch wendiger als viele andere Lastenräder. (dpa)