Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bringt Teile der Fahrradlobby gegen sich auf: Um die Verkehrssicherheit zu erhöhen, soll es künftig verschärfte Vorschriften für Fahrradanhänger in der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) geben. Demnach würde gelten, dass ungebremste Fahrradanhänger samt Zuladung nicht mehr als 50 Kilo, in bestimmten Fällen maximal 60 Kilo, wiegen dürfen. Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) hält die Neuregelung für unnötig.
Was bedeutet das Limit für Nutzer von Fahrradanhängern?
„Wenn wir bei einem zweisitzigen Anhänger zum Kindertransport von 15 Kilo Eigengewicht ausgehen, würden nur noch 35 Kilo Zuladung übrig bleiben“, sagt Matthias Stoelk, Organisator einer Kampagne gegen die Pläne des Ministeriums. Dieser Wert könne mit zwei älteren Kindern locker überschritten werden. „Auch wer zwei Bierkästen transportieren will, kann die 50-Kilo-Marke schnell reißen.“
Immerhin: Maximal 60 Kilo sollen laut Ministerium erlaubt sein, wenn der Hänger auf Höhe der Hinterachse mit dem Rad verbunden ist.
Und wenn die Fuhre schwerer ist als 50 oder 60 Kilo?
In diesem Fall wäre künftig ein eigenes Bremssystem am Anhänger vorgeschrieben. Diese separate Vorrichtung verhindert, dass bei starkem Verzögern der hintere Teil des Gespanns zu sehr schiebt und womöglich einen Unfall verursacht. Laut Ministerium soll diese Anforderung für neu in Verkehr gebrachte Anhänger, aber erst nach Ende einer längeren Übergangsfrist gelten. Die Rede ist von fünf Jahren nach Inkrafttreten der geänderten StVZO.
Der aktuelle Änderungsentwurf muss noch eine sogenannte Rechtsförmlichkeitsprüfung durchlaufen. Ist die wie geplant im Frühjahr 2025 abgeschlossen, muss sich noch der Bundesrat mit dem Vorhaben befassen.
Wie genau funktioniert eine Auflaufbremse?
Wie der Name schon sagt: Die Auflaufbremse ist ein System, das in Gang gesetzt wird, wenn der Anhänger auf das bremsende Fahrrad aufläuft. Dadurch wird ein Metallseil im Anhänger gespannt, was dessen Bremse aktiviert. „Das Fahrrad stoppt, der Anhänger will noch weiter – genau diese Weiterbewegung löst das eigenständige Bremsen des Anhängers aus“, erklärt Thomas Geisler vom Pressedienst Fahrrad.
Was viele nicht wissen: „Eine Auflaufbremse entlastet nicht automatisch die Fahrradbremse“, sagt Peter Hornung-Sohner von der Firma Hinterher, einem Hersteller von Fahrradanhängern. „Erst wenn man ausreichend stark mit dem Fahrrad abbremst, ,merkt‘ die Auflaufbremse überhaupt, dass sie jetzt ebenfalls bremsen soll.“
Gibt es schon Anhänger mit Auflaufbremse?
Hierzulande seien bislang keine Kinderfahrradanhänger mit Auflaufbremse erhältlich, sagt Hornung-Sohner. Bei Anhängern zum Lastentransport dagegen gebe es die Technik vereinzelt. Die Gewichtsgrenzen sind aber vergleichsweise niedrig angesetzt. Derzeit verfügbare Auflaufbremsen haben alle eine maximale Nutzlast von 80 Kilogramm. Das ist die Grenze, ab der eine neue EU-Norm überhaupt erst solche Bremsen vorschreiben würde.
„Dass diese Technik bislang wenig verbreitet ist, ist historisch bedingt“, meint Hornung-Sohner. „Vor dem Aufkommen leistungsfähiger E-Bikes sind schwere Lasten nur in Ausnahmefällen mit dem Lastenanhänger bewegt worden. Zudem ist der technische Aufwand für eine unter allen Bedingungen zuverlässig funktionierende Auflaufbremse enorm.“
Kann ich mit jedem Rad einen Hänger mit Auflaufbremse ziehen?
Nein. Bisher, sagt Thomas Geisler, sei die Auswahl an geeigneten Rädern begrenzt gewesen. Schuld ist das Systemgewicht, also die Summe aus Rad, Person im Sattel, Gepäck und Anhänger. Erst seit es Räder mit Systemgewichten von 180 Kilo und mehr gebe, sei das Ziehen schwererer Anhänger zu einer Option geworden.
Lassen sich ungebremste Fahrradanhänger nachrüsten?
Theoretisch wäre es möglich. In der Praxis dürfte sich kaum jemand die Mühe der Nachrüstung machen. Die Kosten beziehungsweise der technische Aufwand für eine Auflaufbremse überstiegen den Wert der meisten aktuell erhältlichen einfachen Fahrradanhänger, sagt Peter Hornung-Sohner.
Wie groß ist das Unfallrisiko von ungebremsten Fahrradanhängern?
Kritiker der geplanten Gesetzesänderung sagen, die Pläne für Auflaufbremsen suggerierten eine Gefahr, die wissenschaftlich nicht belegt ist. Was es gibt, sind aktuelle Untersuchungsergebnisse der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Deren Fazit: Fahrradanhänger sind sicherer als Lastenräder und Kindersitze. Grundsätzlich seien Unfälle mit Beteiligung von Fahrradanhängern „sehr selten“, sagt der ADFC-Bundesvorsitzende Frank Masurat. „Moderne Fahrradbremsen haben ausreichend Reserven, um das zusätzliche Gewicht eines Anhängers zu bremsen.“
So sieht es auch Johann Schmidt vom Leipziger Fahrradanhängerhersteller Veolo. „Aus technischer Sicht sehen wir keinen Anlass für die Gewichtsbeschränkung auf nur 50 Kilo.“ Das Verkehrsministerium beruft sich dagegen auf noch unveröffentlichte Erkenntnisse der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), die die strenge Regelung für ungebremste Anhänger begründen sollen. Eine Ende Juli von der Transparenz- und Rechercheplattform Frag-den-Staat gestellte Anfrage an die BASt ist noch nicht beantwortet.
Wie groß ist der Widerstand gegen die Wissing-Pläne?
Die Onlinepetition „Nein zu deutschen Sonderregeln für Fahrradanhänger“ ist in den vergangenen zwei Wochen rund 8.000-mal unterschrieben worden. Gleichzeitig üben die Organisatoren scharfe Kritik an den Plänen des FDP-geführten Verkehrsministeriums. Die geplante Verschärfung der StVZO verstoße gegen im Ampel-Koalitionsvertrag vereinbarte Ziele wie Bürokratieabbau, Einhaltung der Klimaziele und Förderung des Radverkehrs, sagt Peter Hornung-Sohner.
Ähnlich äußert sich Konrad Krause vom ADFC Sachsen. In der Praxis drohe der neue Bremsenzwang vor allem eines zu bewirken, sagt er: „Statt Fahrradanhänger zu benutzen, wechseln wieder mehr Familien zum Auto. Das kann doch nicht im Sinne des Erfinders sein.“
Ausführliche Informationen zu den geplanten StVZO-Änderungen für Fahrradfahrer hat Peter Hornung-Sohner hier zusammengestellt.