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Bahntechnik-Messe Innotrans: Mit Ideen aus Sachsen in die Zukunft

Fast 80 Aussteller aus dem Freistaat, so viele wie nie zuvor, füllen auf der weltgrößten Bahntechnik-Messe Innotrans eine ganze Halle.

Von Michael Rothe
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Die Entwicklung der Straßenbahn für New Taipei City in Taiwan ist eine der Referenzen von Hörmann Vehicle Engineering, Dresden.
Die Entwicklung der Straßenbahn für New Taipei City in Taiwan ist eine der Referenzen von Hörmann Vehicle Engineering, Dresden. © Hörmann Vehicle Engineering

Wer Tilo Hanneforth fragt, auf welches Projekt er als Entwicklungschef von Hörmann Vehicle Engineering besonders stolz ist, bekommt schnell eine Antwort: „Die Kohlezüge für Queensland in Australien“, sagt der Leiter der Niederlassung Dresden. Die komplette mechanische Entwicklung der 20 Loks sei der erste Großauftrag von Siemens gewesen.

Die Liste seiner heutigen Kunden in 15 Staaten liest sich wie das „Who is who“ der Schienenfahrzeugbauer. Auch Autobauer wie VW, BMW und MAN nutzen die Expertise der Sachsen für Loks, Straßenbahnen, Hochgeschwindigkeits-, Nahverkehrs- und Doppelstockzüge, Motorräder, Busse und Sonderfahrzeuge – von der Idee bis zur Serie. Hörmann Vehicle Engineering, das seine Wurzeln im Zschopauer Motorradbauer MZ hat, ist Teil der Hörmann-Gruppe mit 3.000 Beschäftigten bei 27 Töchtern und 589 Millionen Euro Jahresumsatz.

Diesen für 200 Stundenkilometer ausgelegten Doppelstock-Hochgeschwindigkeitszug in Aluminium- und Stahlbauweise haben die Tüftler von Hörmann Vehicle Engineering für das chinesische Unternehmen CRRC in Zhuzhou entwickelt.
Diesen für 200 Stundenkilometer ausgelegten Doppelstock-Hochgeschwindigkeitszug in Aluminium- und Stahlbauweise haben die Tüftler von Hörmann Vehicle Engineering für das chinesische Unternehmen CRRC in Zhuzhou entwickelt. © Hörmann Vehicle Engineering

Im März gab es vom Leipziger Straßenbahnhersteller Heiterblick den Entwicklungsauftrag für Niederflurbahnen in der Messestadt, in Görlitz und Zwickau: 187 Fahrzeuge im Wert von 600 Millionen Euro. Hanneforth spricht vom größten Einzelauftrag. Er werde im Unternehmen mit Sitz in Chemnitz und Betriebsstätten Dresden, Dessau und München bis 2024 gut 100 Ingenieure binden. Der Global Player mit 170 Mitarbeitenden und 14 Millionen Euro Jahresumsatz freut sich nun, „erstmals in der Unternehmensgeschichte in dieser Größenordnung für unser Heimatbundesland Sachsen tätig werden zu können“.

Größter Sachsen-Live-Gemeinschaftsstand

Der Job mit bis zu 150.000 Ingenieurstunden kompensiere die wegen der Sanktionen eingeschlafenen Russland-Kontakte und den Einbruch im China-Geschäft, nachdem die Asiaten ihr Hochgeschwindigkeitsnetz fertiggestellt haben. „Wir sind im Schweinezyklus unterwegs“, sagt Hanneforth und meint die periodische Schwankung von Angebotsmenge und Marktpreis.

„Wir produzieren nicht selbst und sind so interessant für Hersteller ohne eigene Entwicklung“, sagt der Manager. Auch wenn es bei Branchenriesen wie Stadler, Vossloh, Bombardier Engpässe gebe, klopften sie bei den Sachsen an. „Wir sind der größte unabhängige Schienenfahrzeugentwickler der Welt“, sagt der 51-jährige stolz.

Ähnlich selbstbewusst treten derzeit auch die anderen fast 80 sächsischen Aussteller auf der größten Bahntechnik-Messe der Welt in Berlin auf. „Die nie da gewesene Präsenz beweist, dass die Branche stark und innovativ ist“, sagt Sachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Martin Dulig (SPD), der sich am Mittwoch ein Bild auf der Innotrans macht. „Mit 29 Ausstellern haben wir den größten Sachsen-Live-Gemeinschaftsstand, den es je auf einer Messe gab“, so Dulig. Zusammen mit Auftritt von Rail.S mit 14 Anbietern fülle der Freistaat eine komplette Halle. Hinzu kämen Dutzende weitere Aussteller in Eigenregie.

Das Wartungsriese Railmaint mit fast 1.000 Mitarbeitenden und Sitz in Delitzsch ist größter Aussteller am WFS-Stand. Er zeigt auf der Messe ein innovatives Prüfgerät.
Das Wartungsriese Railmaint mit fast 1.000 Mitarbeitenden und Sitz in Delitzsch ist größter Aussteller am WFS-Stand. Er zeigt auf der Messe ein innovatives Prüfgerät. © Railmaint

Den Sachsen-Live-Stand verantwortet die landeseigene Wirtschaftsförderung Sachsen WFS. „Die starke Beteiligung der Firmen, fast jedes dritte sächsische Unternehmen der Branche ist hier präsent, zeigt die große technologische Breite und das vielfältige Know-how, das Sachsen als Bahntechnikstandort ausmacht“, sagt WFS-Geschäftsführer Thomas Horn. Firmen wie ADZ Nagano in Ottendorf-Okrilla, Lausitz Elaste in Rothenburg, Norafin Industries in Mildenau, Ima Materialforschung und Anwendungstechnik in Dresden, Railmaint in Delitzsch seien attraktive Partner, wenn es um zukunftsfähige Antriebe und neue Mobilität geht, so Horn.

Auch Rail.S-Chef Arnd Stephan freut sich, dass die Leitmesse nach zwei Jahren Zwangspause wieder stattfindet: „Rail.S ist mit über 100 Mitgliedern eines der Top-3 Branchennetzwerke der deutschen Bahnindustrie“, sagt er. Stellvertretend für die Innovationen nennt er ein Leichtbaumodul für Fahrzeugdächer von CG Rail in Dresden, das große Lasten tragen kann, ohne dass die Fahrzeuge schwerer werden. Außerdem Skeleton Technologies in Großröhrsdorf, das ein Hochleistungs-Energierückgewinnungssystem entwickelt hat. Großes Interesse erwartet Stephan auch für den Smart Rail Connectivity Campus, der bei Annaberg-Buchholz eine Teststrecke für Bahntechnik von morgen betreibt.

Die Innovation von Industrie-Partner in Coswig ermöglicht eine smarte, digitale und effiziente Bremsprobe nach der Zugbildung ohne Lok. Der Betrieb hat gut 80 Beschäftigte.
Die Innovation von Industrie-Partner in Coswig ermöglicht eine smarte, digitale und effiziente Bremsprobe nach der Zugbildung ohne Lok. Der Betrieb hat gut 80 Beschäftigte. © Industrie-Partner

„Sachsen steht seit über 175 Jahren für Innovationen im Bahnwesen“, heißt es von der WFS. Die erste in Deutschland gebaute Lok „Saxonia“ stammt von dort. Seit der Entwicklung des Ingenieurs Johann Andreas Schubert habe sich der Freistaat „zu einem führenden Bahntechnik-Standort entwickelt und gehört zu den Top-3-Zentren der Branche in Deutschland“. 13.000 Mitarbeiter in gut 240 Unternehmen erwirtschafteten jährlich eine Milliarde Euro Umsatz, 25 Forschungseinrichtungen und Hochschulen seien in Bahntechnik tätig. Firmen wie Alstom und Niles Simmons Hegenscheidt trügen 20 Prozent zum deutschen Branchenumsatz bei. Sachsens Bedeutung für den Sektor unterstreiche auch das 2019 in Dresden angesiedelte Deutsche Zentrum für Schienenverkehrsforschung.

„Nie habe Mobilität mehr im Zentrum zentraler Zukunftsfragen gestanden“, sagt Andre Rodenbeck, Präsident des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland zum Messestart. Die Bahnindustrie stehe „vor nie da gewesenen Herausforderungen: volatile Lieferketten, unvorhersehbare Preissteigerungen bei Rohstoffen und Energie“.

Railbeton Haas mit 135 Leuten in Chemnitz setzt neue Maßstäbe für Bahnübergänge. Ihr Baukastensystem aus Stahlbeton sorgt für schnelle Montage und Langlebigkeit.
Railbeton Haas mit 135 Leuten in Chemnitz setzt neue Maßstäbe für Bahnübergänge. Ihr Baukastensystem aus Stahlbeton sorgt für schnelle Montage und Langlebigkeit. © Railbeton Haas

Auch Tilo Hanneforth von Hörmann Vehicle Engineering sieht die Branche im Umbruch. Die Nachfrage nach Bahnen nehme zu, vor allem für den Nahverkehr. Brennstoffzellen seien das große Thema. „Da passiert was“, sagt er und holt die Präsentation einer H2-Straßenbahn aus der Schublade.

Branchentreff Innotrans

  • Rund 3.000 Aussteller aus 60 Ländern und 153.000 Fachbesucher erleben alle zwei Jahre in Berlin Schieneninnovationen und zukunftsweisende Transportlösungen.
  • Auf 200.000 Quadratmetern und gut drei Kilometern Gleis zeigt die Innotrans das gesamte Spektrum der Bahnindustrie.
  • Zum Angebot zählen u. a. digitalisierte Hochgeschwindigkeitszüge, automatisierte U-Bahnen, alternative Antrieben, intelligente Güterwagen, vorausschauende Wartung, Cybersecurity und smarte Infrastruktur. (SZ/mr)