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Ostdeutsche in Eliten nach wie vor selten vertreten

Neue Datenerhebung von Universität Leipzig und MDR: Ostdeutsche in Führungspositionen stark unterrepräsentiert. Ein Grund ist der Karriereweg.

Von Nora Miethke
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Blick auf die MDR-Zentrale in Leipzig: Der Sender und die Universität Leipzig haben ihre Daten zu Eliten in Ostdeutschland vorgestellt.
Blick auf die MDR-Zentrale in Leipzig: Der Sender und die Universität Leipzig haben ihre Daten zu Eliten in Ostdeutschland vorgestellt. © MDR

Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sind Ostdeutsche in Führungspositionen bezogen auf ihren Bevölkerungsanteil stark unterrepräsentiert – bundesweit, aber auch in Ostdeutschland selbst. Ein in den letzten Jahren erwartetes Nachrücken Ostdeutscher in die Eliten und ein Ansteigen der Anteile fand so gut wie nicht statt. Das zeigt eine aktuelle Datenerhebung von MDR und der Universität Leipzig. Sie wurde am Dienstag in Anwesenheit von Carsten Schneider, Ostbeauftragter der Bundesregierung, in Berlin, im Vorfeld des Ostdeutschen Wirtschaftsforums nächste Woche vorgestellt.

Zwar ist der Gesamtanteil Ostdeutscher in den bundesdeutschen Topelite-Positionen seit 2016 von zwei auf 3,5 Prozent gestiegen, doch bei einem ostdeutschen Bevölkerungsanteil von 17 Prozent immer noch viel zu gering. Noch eklatanter ist die Situation in den Bundesländern zwischen Ostsee und Thüringer Wald selbst. Bei einem Anteil von über 80 Prozent an der Wohnbevölkerung in den fünf ostdeutschen Bundesländern hat sich der Anteil von Ostdeutschen in den vergangenen sechs Jahren nur von 23 auf 26 Prozent erhöht.

Während in der Justiz und Wissenschaft, in denen die fachliche Qualifikation ein wesentliches Auswahlkriterium ist, ein Nachrücken Ostdeutscher in Elitepositionen festzustellen sei, wären in der Politik, Wirtschaft und den Medien teilweise Rückgänge zu verzeichnen, heißt es in der Studie. Die Ergebnisse im Einzelnen:

Politik: In den Landesregierungen lagen die Anteile Ostdeutscher in den Jahren 1991, 2004 und 2016 bei mindestens 70 Prozent, aktuell liegen sie bei nur noch 60 Prozent. Zwar haben Vier der fünf Ministerpräsidenten und –Präsidentin eine ostdeutsche Biografie, doch in den Regierungskabinetten seien insgesamt immer weniger Posten von Ostdeutschen besetzt. Dagegen hat sich der Anteil nter den Staatssekretär und Staatssekretärinnen seit 2016 stetig gestiegen auf nunmehr 52 Prozent.

Wirtschaft: In der Leitung der 100 größten ostdeutschen Unternehmen ist der Anteil Ostdeutscher von 52 Prozent (2004) und 45 Prozent (2016) auf 27 Prozent gesunken. Auf der Stellvertreterposition liegt er bei 20 Prozent. Von den 247 Vorstandsmitgliedern der 40 Dax-Konzerne haben nach dieser aktuellen Erhebung nur noch zwei eine ostdeutsche Herkunft. 2016 waren es noch drei.

Wissenschaft: An der Spitze der nach Studierendenzahl 100 größten Hochschulen steht nur an einer Einrichtung eine Ostdeutsche – Gesine Grande, gebürtige Leipzigerin. Sie ist seit 2020 Präsidentin der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Unter den Kanzler und Kanzlerinnen sind es 50 Prozent. Die Werte sind im Zeitvergleich stabil. An der Spitze ostdeutscher Forschungsinstitute stieg der Anteil Ostdeutscher von 15 auf 20 Prozent.

Justiz: In der gesamten Richter- und Richterinnenschaft oberster ostdeutscher Gerichte stieg der Anteil Ostdeutscher stetig auf mittlerweile 22 Prozent nach 13 Prozent im Jahr 2016. Der Ost-Anteil an den Bundesgerichten erhöhte sich von zwei auf jetzt fünf Prozent. 2021 erreichte erstmals eine Ostdeutsche die Position einer Vorsitzenden Richterin.

Medien: In den Chefredaktionen der großen Regionalzeitungen ging der Anteil Ostdeutscher von 62 Prozent (2016) auf 43 Prozent zurück. In der jeweiligen Verlagsleitung stieg er von 9 auf 20 Prozent. In den Führungsgremien der drei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die ihr Sendegebiet ganz oder teilweise in Ostdeutschland haben, stieg der Anteil Ostdeutscher stetig an, auf mittlerweile 31 Prozent.

Karriereweg der Ost-Eliten führt über Berlin und Westen

Die regionale Analyse der Karrierestationen und Studienorte zeigt zudem, dass die Aufstiegswege in Elitepositionen vor allem über die Hauptstadt Berlin und Westdeutschland verlaufen. So studierte nur die Hälfte der erfassten Ostdeutschen in Führungsverantwortung auch im Osten. Die weiteren Karrierestationen liegen sogar nur zu 43 Prozent in Ostdeutschland. Das verringert also die Chancen, es aus der sächsischen oder thüringischen Heimatregion heraus in bundesdeutsche Spitzenjobs zu schaffen.

„MDR und die Universität Leipzig legen mit der Datenauswertung den Finger in eine Wunde, die viele Ostdeutsche noch immer schmerzt. Umso mehr, weil ihr Anteil auf Führungspositionen in Politik, Wirtschaft und Medien 30 Jahre nach der Wende sogar wieder zurückgeht“ betonte der Leiter der Wirtschaftsredaktion des MDR, Achim Schöbel.

„Ostdeutsche sind in Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. Das muss sich, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, ändern“, betonte Schneider. Denn es gehe dabei um Teilhabechancen und darum, ob ostdeutsche Sichtweisen und Erfahrungen in Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden, so der Ostbeauftragte. Er kündigte an, bis Ende 2022 ein Konzept vorzulegen, wie die Repräsentation Ostdeutscher in Führungspositionen und Entscheidungsgremien in allen Bereichen verbessert werden kann.