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So wirbt Sachsen jetzt um Ausländer

Weil Arbeitskräfte fehlen, sucht Sachsen gezielt in Vietnam, Ägypten und noch drei Regionen. Minister Dulig und Arbeitgeber sind aber nicht in allem einig.

Von Georg Moeritz
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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (l.) und Wirtschaftsminister Martin Dulig unterzeichneten beim Fachkräftegipfel einen Pakt zur Gewinnung internationaler Arbeitskräfte.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (l.) und Wirtschaftsminister Martin Dulig unterzeichneten beim Fachkräftegipfel einen Pakt zur Gewinnung internationaler Arbeitskräfte. ©  dpa/Robert Michael

Dresden. Ist Sachsen ausländerfeindlich oder ein Land, das Zuwanderer umwirbt und willkommen heißt? In Dresden haben am Mittwoch Minister und Vertreter von Wirtschaft und Verbänden einen Pakt zur Gewinnung internationaler Fach- und Arbeitskräfte für Sachsen unterschrieben. Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) sagte dabei, als Erstes müsse „in die eigenen Menschen“ investiert werden.

Wertschätzung, gute Löhne und Weiterbildung für die vorhandenen Arbeitskräfte seien nötig. Doch ohne Zuwanderung gehe es nicht – das betonte auch Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). „Wir gründen eine Koalition der Willigen“, sagte er.

Im Jahr 2030 fehlen nach unterschiedlichen Schätzungen 150.000 bis 200.000 Arbeitskräfte in Sachsen. Sie alle zu ersetzen sei nicht möglich, sagte Dulig. Daher müssten zusätzlich Maschinen und Digitalisierung die Arbeitswelt verändern. Kretschmer sagte, Sachsen sei ein attraktives Land, das Thema Fachkräfte sei lösbar. Doch die Sorge darum führe zu depressiver Stimmung in vielen Betrieben. Dabei gehe es nicht nur um die Industrie, auch die Pflegedienste auf dem Lande müssten abgesichert werden. Nun sei eine „Koalition der Willigen“ gegründet, um voranzukommen.

Was ist im Pakt konkret vereinbart worden?

In dem Pakt vereinbaren Staat und Wirtschaftsverbände, Arbeitskräfte anzuwerben. Auch Schulabsolventen sollen ins Land geholt werden, um eine Ausbildung zu absolvieren – oder ein Studium, mit dem Ziel, hier zu arbeiten. Bisher bleibt nicht einmal jeder fünfte ausländische Student nach dem Abschluss in Sachsen. Vorgaben mit Zahlen stehen in der Vereinbarung nicht. Grundsätzlich bleibt es Aufgabe der Unternehmen, sich um die Gewinnung ihres Personals zu kümmern und es „mit guten Arbeitsbedingungen zu halten“.

Wer hat nun welche Pflichten zu erfüllen?

Der Pakt ergänzt einen Maßnahmenplan, der voriges Jahr veröffentlicht wurde. Der Freistaat Sachsen verspricht in dem Pakt, im Ausland mehr Präsenz zu zeigen und Marketing für den Standort zu betreiben. Dazu sollen auch Auslandsvertretungen eingerichtet werden. Bisher gibt es sie in Brüssel, Prag und Breslau. Die Kammern verpflichten sich, abgestimmt zu arbeiten und die Prüfung von Abschlüssen zu übernehmen. Sie sollen alle zwei Jahre rollierend eine Leitkammer zur Koordination bestimmen. Die Wirtschaftsvereinigungen verpflichten sich, ihre Mitglieder zu ermuntern, Stellenangebote der Bundesagentur für Arbeit zu nennen. Die sei eine „starke Organisation“, betonte Kretschmer.

Mehr als 20 Unterschriften trägt der Pakt, darunter die von Kretschmer und Dulig.
Mehr als 20 Unterschriften trägt der Pakt, darunter die von Kretschmer und Dulig. © dpa

Bei der Bundesregierung werde sich Sachsen dafür einsetzen, Einreisedokumente für Fachkräfte zügiger auszustellen. Die Konsulate im Ausland müssten besser ausgestattet werden. In dem sächsischen Pakt verpflichtet sich die Landesregierung, das Marketing für den Standort auszubauen und ein mehrsprachiges Informationsportal im Internet zu schaffen. Im Ausland soll es mehr sächsische Verbindungsbüros geben, in sächsischen Kommunen mehr „Welcome Center“. Kretschmer wünschte sich, dass Zuwanderer in den Ausländerbehörden mit einem Lächeln und positiver Haltung willkommen geheißen werden.

Wie werden die Anwerbeländer ausgesucht?

Sachsen will gemeinsam mit der Arbeitsagentur Regionen ermitteln, in denen eine Rekrutierung lohnenswert erscheint. Zunächst stehen auf der Liste Vietnam, Ägypten, Brasilien, eine noch zu bestimmende Region in Indien sowie Staaten in Zentralasien, zum Beispiel Kirgisistan. Die Industrie- und Handelskammer Dresden hat zudem die Türkei vorgeschlagen. Kretschmer sagte, in Indien gebe es einen „gigantischen Bevölkerungsüberschuss“, in solchen Staaten nehme Deutschland niemandem etwas weg. In Kirgisistan gebe es ehemalige Wolgadeutsche und ein erstes Projekt. Dulig sagte, die Liste sei nicht abgeschlossen. Nicht alles werde gelingen, vielleicht nicht jeder Staat dabei bleiben.

Welche Erfahrungen gibt es mit den Anwerbestaaten?

In Sachsen leben schon viele Vietnamesen, außerdem gibt es in Vietnam mit Hilfe sächsischer Kammern bereits eine duale Ausbildung nach deutschem Muster an 56 Berufsschulen. Leipzigs IHK-Präsident Kristian Kirpal sagte der Sächsischen Zeitung, dieses Jahr flögen sächsische Meister zur Prüfung der Lehrlinge hin. In Ägypten gebe es seit fast zehn Jahren eine Zusammenarbeit zur Ausbildung in der Gastronomie – doch das Land sei politisch schwierig, vor einer Anwerbung müssten erst staatliche Abkommen geschlossen werden.

Wie läuft das bestehende Projekt mit Kirgisistan?

In Kirgisistan ist durch private Kontakte ein Projekt zustande gekommen, bei dem etwa 40 Jugendliche Deutsch lernen und sich auf eine Ausbildung in Sachsen vorbereiten. Das Zefas Zentrum für Fachkräftesicherung und Gute Arbeit Sachsen kümmert sich darum. Allerdings scheint die Hoffnung nicht erfüllt zu werden, auch Bewerber für Bau und Gastronomie zu finden. Die Interessenten bevorzugen jetzt Computerberufe. Kleinere Unternehmen in Sachsen äußern zudem Bedenken, ob sie Tausende Euro für die Vorbereitung aufbringen müssen. Handwerkspräsident Jörg Dittrich sagte, ein Zehnmannbetrieb könne kaum Bewerber in Übersee suchen. Doch die Wirtschaft müsse das Anwerben in die Hand nehmen: „Wir wollen keine Zuwanderungsindustrie und Schleppervereinigungen.“

Womit kann Sachsen im Wettbewerb mit anderen werben?

Während Politiker auf der Konferenz vorsichtig darauf hinwiesen, dass andere Länder auch um Fachkräfte werben, zählte Mahboobeh Werner aus dem Iran die Vorteile Sachsens auf. Die Projektleiterin für Elektrotechnik bei Sunfire in Dresden sagte, in Teheran habe sie Stau und Schmutz erlebt. Dann sei sie in einen Ort in Bayerischen Wald gekommen. Doch dort war zu wenig los. Nun erlebe sie die mittelgroßen Städte in Sachsen mit guten Angeboten für Familien, Sport und Buslinien. Es sei lebendig, sauber, und die Kindertagesstätten mit Öffnungszeiten von 6 bis 17 Uhr seien ein „supertolles Argument für Zuwanderer, die studieren und arbeiten wollen“. Zudem lobte Werner, wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Praxis gelebt werde. Sie habe Verantwortung für Personal und Geld. In Sachsen sei es leichter als etwa in Frankfurt, eine große und bezahlbare Wohnung zu bekommen. Sachsen hat auf einer Internetseite namens "Heimat für Fachkräfte" Informationen zusammengestellt.

Und was ist mit Sachsens Ruf bei Willkommenskultur?

Handwerkspräsident Dittrich sagte, so mancher Sachse wolle mit dem Thema Zuwanderung in Ruhe gelassen werden. Doch so könne Sachsen seine sozialen Standards nicht halten. Verbitterung und Angst vor der Zukunft seien verbreitet, weil lange Zeit junge Leute auf der Suche nach Arbeit abgewandert seien und nun fehlten. Minister Dulig nahm das Wort Ausländerfeindlichkeit nicht in den Mund, aber er sagte: „Uns wird gesagt, Ihr habt in Sachsen besondere Probleme. Das stimmt, aber wir gehen sie an.“ Matthias Matz, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands VSW Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft, sagte, die Sachsen seien reisefreudig und neugierig auf die Welt: „Wir exportieren!“, sagte Matz.

Was ist nach dem Anwerbepakt noch zu tun?

Matz sagte, der Arbeitgeberverband unterstütze den Pakt und wolle nicht die ausgewählten Regionen zerreden. Doch er sehe auch landespolitischen Aktionismus und die Gefahr von Eintagsfliegen. Inder würden wohl kaum gezielt nach Sachsen suchen, und ein sächsisches Unternehmen suche keine Kirgisen aus einem Katalog, sondern müsse sie kennenlernen. Vorhandene Bewerber bekämen Visa nur schleppend, das müsse Berlin klären.

Robert Czajkowski, Vorstand des Vereins Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen, schlug die Umbenennung der Ausländerbehörden in Willkommensbehörden vor. Das Sächsische Integrations- und Teilhabegesetz müsse endlich fertig werden.

Sachsens DGB-Chef Markus Schlimbach sagte, in vielen sächsischen Betrieben würde ohne Polen und Tschechen schon lange nichts mehr gehen. Doch aus den Nachbarländern seien nicht mehr viele Bewerber zu bekommen, die Wirtschaft dort benötige selbst die Fachkräfte. Nun müsse auch in ferneren Staaten gesucht werden. Die Beschäftigten dürften nicht benachteiligt werden.

Der Dresdner Dachdecker Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, nannte den Fachkräftemangel die größte Herausforderung für das sächsische Handwerk. Selbst wenn alle anderen großen Krisen vorbei wären, würden noch immer die Fachkräfte fehlen. „Wir brauchen geregelte Zuwanderung“, sagte Dittrich. Handwerker könnten aber nicht zur Bewerbersuche nach Asien fliegen. Für die Ausbildung und Integration der Bewerber aus Übersee müsse der Staat den Betrieben Fördergeld zahlen.